Ja, wir haben einen Häkel­penis im Regal“

Datum
27. August 2015
Autor*in
Jana Borchers
Redaktion
politikorange
Thema
#Vielfalt im Journalismus 2015
MM1

MM1

Foto: Julian Kugoth

Das MISSY MAGA­ZINE wurde in einer Zeit gegründet, als es neben der EMMA keine einzige femi­nis­ti­sche Zeit­schrift gab. In gemüt­li­cher Wohn­zimmer-Atmo­sphäre spricht Chef­re­dak­teurin Katrin Gott­schalk über Frau­en­ma­ga­zine, unan­ge­nehme Chefs und darüber, was Viel­falt für sie bedeutet.

Wer beim Besuch des MISSY MAGA­ZINEs eine große, schicke Redak­tion erwartet, viel­leicht ein biss­chen wie in dem Film Der Teufel trägt Prada“, der wird in jedem Fall enttäuscht werden. Unscheinbar verbirgt sich der Sitz der Zeit­schrift in einer Seiten­straße nahe des Hacke­schen Marktes. Der Schriftzug Missy Maga­zine“ ist nur auf dem Klin­gel­schild links neben der schwarzen Eingangstür zu lesen. Erst wer die knar­renden Stufen des schmalen Trep­pen­hauses erklimmt, gelangt zum Büro des Maga­zins.

Gegründet wurde das MISSY MAGA­ZINE von Stefanie Lohaus, Chris Köver, Marga­rita Tsomou und Sonja Eismann. Vorbild war das ameri­ka­ni­sche Magazin BUST, welches Chris ihrer Studi­en­freundin Stefanie eines Tages mitbrachte, wie Chef­re­dak­teurin Katrin Gott­schalk erzählt. Weil sie der Meinung waren, dass ein ähnli­ches Magazin in Deutsch­land noch fehle, reichten sie beim Hobnox Evolu­tion Contest die Idee für das MISSY MAGA­ZINE ein. Der Wett­be­werb lobte 25.000 € Preis­geld für den besten Heft­vor­schlag aus. Per Online-Abstim­mung wurde MISSY zum Sieger gewählt, das Preis­geld diente als Start­ka­pital. Im Herbst 2008 erschien die erste Ausgabe.

Redak­tion mit Wohn­zimmer-Atmo­sphäre

In den Räumen der Redak­tion, die aus zwei Büros und einem unwe­sent­lich größerem Konfe­renz­raum besteht, hätte man auch eine 2er-WG einrichten können. Und wenn Chef­re­dak­teurin Katrin Gott­schalk eine*n durch die Räum­lich­keiten führt, fühlt man sich – wie sie selbst auch sagt – tatsäch­lich eher wie beim Besuch bei einer Freundin, die einem ihre Wohnung zeigt.

Wahr­schein­lich würde eine große, schicke Redak­tion aber auch gar nicht zum MISSY MAGA­ZINE passen. Das MISSY MAGA­ZINE ist eine Frau­en­zeit­schrift. Und irgendwie auch nicht. Musik, Film, Kunst, Politik, Sex, DIY [Do it yourself, Anm. d. Red.] und mehr“ steht bei der Print-Ausgabe klein­ge­druckt unter dem Titel. Darüber mit femi­nis­ti­scher Haltung zu berichten, ist Idee und Ziel des MISSY MAGA­ZINEs. Im Gegen­satz zu anderen Frau­en­zeit­schriften wollen wir unseren Leser*innen nicht erklären, wie sie besser werden und leben können“, fasst Katrin Gott­schalk zusammen. Es soll nicht um Äußer­lich­keiten gehen, sondern um Inhalte.“

Mit zehn habe ich mich zu Fasching als Jour­na­listin verkleidet“

Katrin Gott­schalk arbeitet seit 2011 beim Missy Magazin. Jour­na­listin habe sie schon immer werden wollen: Als ich zehn Jahre alt war, habe ich mich tatsäch­lich zu Fasching als Jour­na­listin verkleidet. Ich habe ne Basecap verkehrt herum getragen und mir aus einer Klopa­pier­rolle und einer Styro­por­kugel ein Mikrofon gebas­telt.“ Schon während der Schul­zeit schrieb sie neben der Schü­ler­zei­tung auch für die Jugend­zeit­schrift SPIESSER, nach dem Abitur arbei­tete sie dort weiter, war bald mit zuständig für das Zusam­men­stellen des Heftes und über­nahm die Redak­ti­ons­lei­tung für Sachsen. Trotz Spaß an der Arbeit haben sie gewissen Struk­turen abge­stoßen: Da gab es ganz klas­sisch einen Verlags­chef und einen Chef­re­dak­teur, so Typen, die eigent­lich ein biss­chen unaus­steh­lich sind. Dann bin ich da auch weg und war ein Jahr im Ausland, hatte ange­fangen zu studieren. Und ich wusste, dass ich das immer noch gerne machen würde, aber ich war auch ein biss­chen abge­schreckt von den Kollegen und diesen Männer­struk­turen, in denen Frau­en­mei­nungen einfach weniger ernst genommen werden. Da wusste ich nicht, ob ich da noch Lust drauf habe.“

MM2

Katrin Gottschalk erzählt über das Magazin. Foto: Julian Kugoth

Zwischen Bachelor- und Master­stu­dium machte sie ein Prak­tikum beim MISSY MAGA­ZINE und fing anschlie­ßend parallel zum Studium an, dort zu arbeiten. Das war dann sehr schön zu merken, dass das auch anders funk­tio­nieren kann, dass man einen unan­ge­nehmen Chef auch vermeiden kann, indem man eigene Struk­turen schafft.“

Dass gewisse Unge­zwun­gen­heiten sicher­lich Bestand­teil dieser eigenen Struk­turen sind, wird im Gespräch mit Gott­schalk deut­lich: Sie lacht viel, strei­chelt ab und zu den Hund einer Freundin, den sie gerade betreut und mit in die Redak­tion gebracht hat, oder baut sich beim Reden Frisuren in die Haare und lässt sie dann dann wieder zusam­men­fallen.

Ja, wir haben einen Häkel­penis im Regal stehen“, sagt sie auch einmal.

Menschen, die sonst nicht gehört werden, zu Wort kommen lassen

Auf die Frage, was Viel­falt für sie bedeutet, betont sie, dass es wichtig sei, Meinungen darzu­stellen, die sonst nicht gehört werden. Dabei geht es für sie vor allem darum, Menschen mit ganz unter­schied­li­chen Lebens­um­ständen, beispiels­weise aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihrer Haut­farbe oder auch ihrer Körper­form, zu Wort kommen zu lassen.

Dieser Aspekt wird beim Magazin vor allem dann berück­sich­tigt, wenn Aufträge für Text und Bild vergeben werden. Neben Frauen sollen nach Möglich­keit auch Menschen reprä­sen­tiert werden, die sich nicht in männ­lich oder weib­lich kate­go­ri­sieren lassen wollen, die Trans* sind oder sich keinem der beiden Geschlechter zuge­ordnet fühlen.

Hier in der Redak­tion sind wir relativ homogen, was den sozialen Hinter­grund angeht, inso­fern, dass alle studiert haben. Aber es sind nicht alle hete­ro­se­xuell, nicht alle aus West­deutsch­land, es haben nicht alle deut­sche Wurzeln oder die gleiche Körper­form. Und es defi­nieren sich gar nicht alle als Frauen“, erzählt Gott­schalk. Also im Verhältnis zu anderen Redak­tionen eine ganz gute Mischung, aber es kann auf jeden Fall noch besser werden“, fügt sie selbst­kri­tisch hinzu.

Meinungs­ver­schie­den­heiten auch inner­halb der Redak­tion

Das 14-seitige Dossier der jüngsten Ausgabe thema­ti­siert die Situa­tion von Frauen in Grie­chen­land und was die Krise mit den Geschlech­ter­ver­hält­nissen macht. Da erzählen Griech*innen, wie die Anzahl sexu­eller Beläs­ti­gungen gegen Frauen am Arbeits­platz gestiegen ist und diese dadurch zurück an den Herd gedrängt werden. Andere Frauen, deren Männer arbeitslos geworden sind, werden mit ihren schlecht bezahlten Jobs plötz­lich zu Fami­li­en­er­näh­rerinnen. Das ist unser femi­nis­ti­scher Ansatz: zu gucken, wie sich diese Krise bis auf die kleinsten Ebenen auswirkt, was es für Diskri­mi­nie­rungs­formen gibt, was passiert, und wie man das ändern kann.“

Was ins Heft kommt, ist immer das, worauf sich die Redak­tion einigen kann. Gott­schalk betont aber, dass es Meinungs­ver­schie­den­heiten zu gewissen Themen natür­lich trotzdem gebe: Ein schwie­riges Thema sind immer Musiker*innen, Nicki Minaj zum Beispiel, die sich bewusst in sexua­li­sierte Posen begeben, was einer­seits etwas Selbst­er­mäch­ti­gendes haben kann, ande­rer­seits aber auch eine Repro­duk­tion von bestimmten Bildern ist.“

Einmal, als es gerade um den Austausch mit ihren Leser*innen geht, bemerkt Katrin Gott­schalk schel­misch lächelnd: Die Zeit­schrift Freundin gibt es zwar schon, aber Missy ist eigent­lich auch sowas wie eine Freundin“. Eine Freundin besucht zu haben – dieses Gefühl bleibt auch nachdem man das Redak­ti­ons­ge­bäude wieder verlassen hat.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild