Im Ausland die Welt verän­dern?

Datum
04. Januar 2023
Autor*in
Lena Brenken
Redaktion
politikorange
Thema
#Leben
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Work­camps, darunter kann sich gerade unsere Gene­ra­tion sehr wenig vorstellen. Ist das jetzt einfach Urlaub mit etwas mehr Aufwand oder doch ein 30 Stunden Job im Ausland? Ich, poli­tikjam (nun poli­ti­ko­range) Redak­teurin Lena, habe in den Ferien an einem Work­camp in Tsche­chien teil­ge­nommen und berichte von meinen Erfah­rungen.

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Foto: Lena Brenken.

Für den Abschluss­jahr­gang 2023 starten schon jetzt die Vorbe­rei­tungen auf das weitere Leben. Studium, Ausbil­dung oder doch ein Jahr Frei­wil­li­gen­dienst? Das Letz­tere scheint gerade in meinem Umfeld immer beliebter zu werden und diesen Eindruck habe nicht nur ich. Mehr als 80.000 Menschen absol­vieren deutsch­land­weit nach der Schule ein frei­wil­liges soziales oder ökolo­gi­sches Jahr. Ich finde soziales Enga­ge­ment auch essen­ziell für die Gesell­schaft und Auslands­er­fah­rungen mache ich auch gerne, doch nach der Schule will ich eigent­lich sofort studieren, daher bin ich hier fündig geworden: kurze Work­camps im Ausland. Doch sind diese über­haupt sinn­voll für die Gesell­schaft oder doch eher persön­liche Auslands­er­fah­rungen? Kann ich in ein paar Wochen wirk­lich etwas bewegen? Und sind solche Kurz­auf­ent­halte am Ende doch mehr Urlaub als Arbeit?

Wie habe ich mein Camp gefunden?

Nach einer kurzen Suche auf Portalen wie raus​von​zu​haus​.de bin ich schon fündig geworden, denn kurze Frei­wil­li­gen­dienste werden in fast jedem Land ange­boten. Natür­lich sind die Camps in Südost­asien oder Amerika sehr verlo­ckend, doch auch wahn­sinnig teuer. Ich werde stutzig, teil­weise kosten diese Camps mehr als ein durch­schnitt­li­cher Urlaub im Inland, Anreise muss ich nämlich selber bezahlen, plus eine Gebühr vor Ort und die Vermitt­lungs­ge­bühr meiner Orga­ni­sa­tion IGB. Work­camps bucht man nämlich nicht über eine normale Reise­ver­mitt­lung – sie sind Jugend­aus­tausch­pro­gramme, die in der Regel weniger kosten als eine Jugend­reise, da man hier eine gemein­schafts­för­dernde Arbeit im sozialen oder ökolo­gi­schen Bereich ausübt. Ebenso werden diese Programme auch von vielen Vereinen geför­dert, da sie dem inter­kul­tu­rellen Austausch dienen und Eigen­schaften wie Tole­ranz und Eigen­in­itia­tive fördern. Am Ende bewerbe ich mich in Frank­reich und Tsche­chien und bekomme im letz­teren Land tatsäch­lich eine Zusage. Im Juli geht es also für mich etwas mehr als eine Woche nach Tsche­chien, Anreise per Bahn ist hier am umwelt­freund­lichsten und auch aus Nord­deutsch­land vergleichs­weise schnell. Manche meiner Freunde verstehen meinen Enthu­si­asmus über das bevor­ste­hende Projekt jedoch nicht: Lena, bezahlst du also, um in den Ferien arbeiten zu dürfen?“. Sie haben einen aus ihrer Sicht berech­tigten Einwand, meine Freude bleibt jedoch trotzdem groß, es geht hier ja schließ­lich auch um das Gemein­wohl und nicht ausschließ­lich um einen güns­tigen Urlaub. So denken auch viele Menschen, die ein Work­camp besucht haben, die Zugangs­studie zum inter­na­tio­nalen Jugend­aus­tauch zeigt, dass es nicht einen einzelnen ausschlag­ge­benden Grund gibt, sondern dass die meisten Menschen aufgrund von vielen Faktoren wie Spaß, neue Erfah­rungen, andere Kultur kennen­lernen etc. mitma­chen.

Anreise und der erste Tag

Die Anreise verlief außer der obli­ga­to­ri­schen Verspä­tung der Deut­schen Bahn über­ra­schend gut, ich hatte aber auch schon etwas mehr Zeit einge­plant. Nach einem Zwischen­stopp in Prag geht es nach Mělník, eine Klein­stadt, circa eine Stunde von Prag entfernt. In dieser treffe ich auf meine Gruppe, die ich vorher einmal per Zoom kennen­lernen durfte. Ich bin zwar nicht die jüngste, aber mit 17 Jahren komme ich nicht gegen ein paar 30-Jährige an. Work­camps sind für junge Menschen konzi­piert, aber bei vielen gibt es keine klare Alters­grenze. Wichtig ist nur, dass die teil­neh­mende Person sich körper­lich zu den Aufgaben vor Ort in der Lage fühlt und eine aufge­schlos­sene Haltung hat. Diese kommen aus verschie­denen euro­päi­schen Ländern und machen mit, da sie günstig reisen wollen, ihren Lebens­lauf aufbes­sern oder sich einfach enga­gieren wollen. Meist ist es eine Mischung aus allem. Nach der gemein­samen Busfahrt in das Dorf Vysoka und das Auspa­cken im Grup­pen­schlaf­saal für alle weib­li­chen Personen geht auch schon das Abend­essen und die Einwei­sung los. Wir sind 10 Helfer*innen inklu­sive unserer zwei Camp­leader, die für unsere tsche­chi­sche Orga­ni­sa­tion arbeiten. Wir selber haben zwei freie und fünf Arbeits­tage, sowie einen An- und Abrei­setag, es ist sozu­sagen eine normale Arbeits­woche. Die Aufgaben sind körper­lich ausdau­ernde wie zum Beispiel das Abreißen einer Stein­treppe oder Garten­ar­beit. Obwohl wir auf keinem voll funk­ti­ons­fä­higen Bauernhof wohnen, sind ein paar Beete noch vorhanden. Es gibt daher auch die Möglich­keit, diese instand zu halten, ebenso können Stühle bemalt werden und zu den Mahl­zeiten muss auch für die gesamte Gruppe gekocht werden. Diese viel­fäl­tigen Aufgaben sind der Tatsache geschuldet, dass unser Gast­geber sich 2014 einen alten Bauernhof gekauft hat und diesen in ein Kunst­zen­trum umfunk­tio­niert hat. Es werden zum Beispiel in der alten Scheune Fotos ausge­stellt und im alten Stall befindet sich eine Musik­bühne mit Equip­ment. Einige Gebäude müssen jedoch noch umge­baut werden, um für die Kunst­pro­jekte genutzt werden zu können. Da Vysoka ein sehr kleines Dorf ist, gibt es dort außer­halb der Schule keine Räume für Kunst und Krea­ti­vität, weswegen das Farm­studio dem Dorf und den anlie­genden Dörfern einen wich­tigen Raum bietet. In der Haupt­stadt Prag und in größeren Städten Tsche­chien sind Theater, Konzert­häuser und Museen keine Selten­heit, auf dem Land fehlt es aber noch an solchen Ange­boten. Allge­mein klingen die Tage sehr anstren­gend, ich freue mich jedoch trotzdem.

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Die Stelle wo mal die Treppe stand. Foto: Lena Brenken.

Zeit im Camp

Im Camp habe ich viel Neues gelernt und bin an meine körper­li­chen wie auch geis­tigen Grenzen gekommen. Ich bin zwar gerne draußen, doch bei über 30 Grad Steine in eine Grube werfen ist gewöh­nungs­be­dürftig. Mit vielen Menschen 24/7 aufein­ander zu hocken und kaum Zeit alleine zu verbringen war mir teil­weise zu viel, so nett die Leute auch waren. Die neuen Erfah­rungen haben mir aber trotzdem viel gebracht, an meine Grenzen zu kommen war eine Erwar­tung an das Work­camp, die ich schon im Vorfeld hatte. Nicht nur deshalb war das Work­camp ein voller Erfolg. Unsere Gruppe hat es in einer Woche geschafft, eine Stein­treppe abzu­reißen, viele Stühle zu bemalen, Garten­ar­beiten zu erle­digen und dabei auch sicher nicht zu verhun­gern. In der Frei­zeit waren wir viel im Pub (der einzige des Dorfes) und haben versucht einige Wörter Tsche­chisch mit den Anwoh­nenden zu spre­chen. Es war zwar nicht viel, aber das Gefühl dazu­zu­ge­hören kam trotzdem in diesen Momenten auf. Ebenso haben wir einen Foto­grafie- und einen Work-Expe­ri­ence Work­shop besucht und vor allem viel geredet über die unter­schied­li­chen Kulturen in unserer kleinen Gruppe. Es gab am Anfang einen kultu­rellen Abend, an dem wir spani­schen Kuchen und türki­sches Marzipan probieren durften. Auch bei den vielen Privat­ge­sprä­chen habe ich z.B. etwas über den Alltag eines Poli­tik­stu­denten in der Türkei oder das fran­zö­si­sche Schul­system lernen dürfen. Der Wander­aus­flug und der Tag in der nahe­ge­le­genen Klein­stadt Melnik haben mir auch die Seiten von Tsche­chien gezeigt, die man als Tourist*in in Prag oder anderen großen Städten nicht gesehen hätte. Denn dort konnten wir das dörf­liche Leben und die Gewohn­heiten des Landes abseits der bekannten Sehens­wür­dig­keiten und Urlaubs­ziele erleben. Am Ende der Woche waren alle sehr müde und der Abschied fiel trotzdem schwer.

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Tschechische Natur. Foto: Lena Brenken.

Fazit

Aufgrund meiner Erfah­rungen kann ich ein Work­camp sehr empfehlen, um die Menschen und Gege­ben­heiten in einem Land noch inten­siver und vor allem güns­tiger kennen­zu­lernen. Ein Urlaub ist es trotzdem aufgrund der Arbeit nicht ganz, und das muss man sich auch von vorn­herein bewusst­ma­chen. Eine aufge­schlos­sene Einstel­lung haben, um das Erlebnis genießen zu können, ist nicht nur von Vorteil, sondern unbe­dingt erfor­der­lich. Die Zugangs­studie hat damals ergeben, dass 63% aller Jugend­li­chen und jungen Erwach­senen poten­ziell Inter­esse an einem Work­camp haben könnten. Falls du nach diesem Artikel Inter­esse bekommen hast, kann ich die Reise nur empfehlen, denn in meinem Work­camp hatte ich das Gefühl, etwas vor Ort bewegen zu können, die Welt verän­dert hat es wohl nicht, mich als Person dafür jedoch sehr, Grund dafür waren die vielen inter­na­tio­nalen Begeg­nungen und neuen Erfah­rungen.


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