Ich bin ihr Feind­bild“

Datum
03. Mai 2023
Autor*in
Lisa Schmachtenberger
Redaktion
politikorange
Themen
#Pressefreiheit23 #Medien
Pressefreiheit Redaktion Interview mit Kili Weber

Pressefreiheit Redaktion Interview mit Kili Weber

Kili Weber erfährt in ihrer Berichterstattung auf rechten Demonstrationen Hass und Gewalt. Aus Sicherheitsgründen möchte sie deswegen nicht gezeigt werden. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Ella Seeger
Verbale, körper­liche und sexua­li­sierte Gewalt sind für die freie Jour­na­listin Kili Weber an der Tages­ord­nung. Unter­stüt­zung erhält sie dabei kaum – so wie viele andere Journalist*innen in Deutsch­land.

Ihre Wohnung verlässt Kili Weber nur, wenn es nicht anders geht. Zu groß ist die Gefahr, dass sie unter­wegs ange­griffen, belei­digt oder verfolgt wird. Ich bin mitt­ler­weile zu einem eigenen Feind­bild in der Szene geworden“, sagt sie selbst. Kili Weber ist freie Jour­na­listin und berichtet von rechten Demons­tra­tionen in Leipzig und Umge­bung, Angriffe sind für sie in ihrer Arbeit an der Tages­ord­nung. Auf Demons­tra­tionen wird ihr Name von Neonazis in Sprech­chören gerufen, privat erhält sie Gewalt‑, Mord- und Verge­wal­ti­gungs­dro­hungen – als weib­lich gele­sene Person zieht sie die Aufmerksam der Demons­tra­ti­ons­teil­nehmer *innen beson­ders auf sich.

Miso­gynie und Anti­fe­mi­nismus sind Kern­ele­mente der rechten Ideo­logie“, sagt sie selbst. Am Anfang war das krass, aber mitt­ler­weile bin ich abge­stumpft.“ Es sei für sie immer schwie­riger, das Gefah­ren­po­ten­tial von Situa­tionen einzu­schätzen. Auch deswegen hat Kili Weber auf Demons­tra­tionen immer Begleit­schutz von der Zivil­or­ga­ni­sa­tion Between the lines“. Die Begleit­per­sonen schützen Kili vor Angriffen, weisen sie auf gefähr­liche Situa­tionen hin und sorgen dafür, dass sie ihre Bericht­erstat­tung fort­setzen kann.

Kili Weber ist damit nicht alleine. Für 2021 verzeichnet das Euro­päi­sche Zentrum für Medien- und Pres­se­frei­heit (ECPMF) 83 tätliche Angriffe gegen Journalist*innen – so viele wie nie zuvor. 75% der Angriffe fand laut den Forscher*innen im Rahmen von Querdenken“-Demonstrationen statt, die Dunkel­ziffer der nicht gemel­deten Über­griffe ist aber um ein Viel­fa­ches höher.

Die Viel­zahl der Über­griffe bleibt ohne Anzeige

Dank ihres Begleit­schutzes ist Kili Weber bisher bei ihrer Bericht­erstat­tung noch nicht ernst­haft verletzt worden. Hass­rede ist für sie und andere Journalist*innen Teil des Arbeits­all­tags geworden. Viele Betrof­fene sitzen solche verbalen Angriffe einfach aus“, sagt Tobias Gostomzyk, Professor für Medi­en­recht an der Tech­ni­schen Univer­sität Dort­mund. Zwar könne Hass­rede bisweilen als Straf­tat­be­stand ange­zeigt werden, etwa bei Belei­di­gungen oder Bedro­hungen. Diesen Schritt gingen aller­dings nur die wenigsten Betrof­fenen, da eine Anzeige nicht immer erfolg­reich ist. Denn welche Äuße­rungen noch unter die Meinungs­frei­heit fallen oder als bereits als strafbar gelten, ist in vielen Fällen eine Grat­wan­de­rung. Trotzdem empfiehlt Prof. Gostomzyk, Beweise zu sichern – auch, wenn es um körper­liche Angriffe geht.

Werden Journalist*innen auf Demons­tra­tionen körper­lich ange­gangen, können sie bei der Polizei Schutz suchen oder die Beamt*innen auf eine ausufernde Situa­tion aufmerksam machen. Aber auch das passiere laut Gostomzyk äußerst selten, denn: Journalist*innen und die Polizei haben ein ambi­va­lentes Verhältnis. Nicht umsonst hat der Pres­serat eigene Verhal­tens­grund­sätze für Polizei und Medien formu­liert.“ Diese Einschät­zung deckt sich auch mit den Erfah­rungen von Kili Weber. Vor allem auf Demons­tra­tionen in großen Städten ermög­liche die Polizei ihr die Ausübung ihrer Arbeit. In klei­neren Orten sei es aber schon oft vorge­kommen, dass Polizist*innen gefähr­liche Situa­tionen herun­ter­ge­spielt, unbe­grün­dete Kontrollen durch­ge­führt oder Kili und ihren Begleit­schutz einge­schüch­tert hätten.

Sicher­heits­netze statt frei­wil­liger Schutz­kon­zepte

Mit der Bericht­erstat­tung aufzu­hören, ist für sie aber keine Option: Jemand muss darüber berichten. Ich kann nicht aufhören, ich muss weiter­ma­chen.“ Ihr ist wichtig, durch ihre Arbeit genau zu doku­men­tieren, was auf den Demons­tra­tionen vor sich geht: Wenn man nicht weiß, wer da läuft, könnte man denken, dass es nur besorgte Bürger*innen“ sind. Dass das orga­ni­sierte Nazis sind, muss gesehen werden.“

Doch verbale, körper­liche und sexua­li­sierte Gewalt belasten sie – um das Erlebte aufzu­ar­beiten, nimmt sie deswegen psycho­lo­gi­sche Hilfe in Anspruch. In recht­li­chen Fragen wird Kili von einer Anwältin der Opfer­be­ra­tung des RAA Sachsen e.V. beraten, ansonsten ist sie auf sich alleine gestellt. Anders als bei fest ange­stellten Journalist*innen, die in juris­ti­scher Hinsicht von ihrem Medi­en­haus unter­stützt werden.

Um freie Journalist*innen wie Kili Weber in ihrer Arbeit besser zu unter­stützen, braucht es laut Medi­en­rechtler Tobias Gostomzyk im Kern weniger Verbes­se­rungen im Geset­zes­text, sondern vor allem über­grei­fende und unab­hän­gige Hilfs­an­ge­bote für Journalist*innen: Was helfen würde, sind konkrete Ansprechpartner*innen; Jurist*innen, Psycholog*innen oder Hotlines für die Betreuung nach Angriffen.“ Die Nach­schär­fung von Gesetzen schaffe noch kein Sicher­heits­netz.

Seit 2022 gibt es zwar einen Schutz­kodex für Journalist*innen, der unter anderem von Reporter ohne Grenzen und der dju (Deut­sche Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen-Union) initi­iert wurde. Für Medi­en­häuser ist dieser Kodex aller­dings gene­rell nicht verpflich­tend und auch freie Journalist*innen werden nicht mitein­be­zogen. Was unsere Sicher­heit angeht, stehen wir Freie komplett alleine da“, sagt Kili Weber. Auch für Tobias Gostomzyk ist das nur schwer nach­voll­ziehbar: Alle Journalist*innen berichten, alle haben das gleiche Inter­esse von Sicher­heit. Ob und wie für die Sicher­heit von Journalist*innen gesorgt wird, sollte nicht nur von dem jewei­ligen Medi­en­haus abhängig sein.“


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