Ich will die Welt verän­dern“

Datum
27. November 2016
Autor*in
Dilara Acik
Redaktion
politikorange
Thema
#up2youth 2016

Ali Can hat mit 22 die Hotline für besorgte Bürger“ gegründet. Dort spricht er wert­frei mit besorgten Bürgern und Bürge­rinnen über ihre Ängste – meist bei Flücht­lings­fragen. Dilara Acik erkun­digte sich.

Du hast eine Hotline für besorgte Bürger gegründet. Klin­gelt dein Handy seitdem unun­ter­bro­chen? 

Am Anfang schon, da hat das Handy sehr oft geklin­gelt. Sogar über die Sprech­zeiten hinaus. 

Wie kam dir die Idee? 

Ich will die Welt verän­dern. Deswegen fange ich erst bei mir an. In meiner näheren Umge­bung präge ich Wert­schät­zung. Wert­schät­zung für besorgte Bürger heißt, ihnen erst mal zuzu­hören und zu verstehen, was hinter den Parolen steckt. Auch bei AFDlern. Meist sind es Bedürf­nisse. 

Könnte man sagen, dass du mit deiner Hotline eine Art Inte­gra­ti­ons­hilfe für Frem­den­feind­liche bewirkst? 

Ja, absolut. Ich höre erst einmal zu. Wenn beispiels­weise gesagt wird, dass Flücht­lingen sich inte­grieren müssen und dass man deut­sche Werte beibe­halten muss, dann frage ich nach, was sind für dich deut­sche Werte? Ist es, Socken in Sandalen zu tragen, Sauer­braten zu essen oder Karo­hose und Curry­wurst? Manchmal sagen Leute, sie wären gegen die Isla­mi­sie­rung des Abend­landes. Sie bestehen auf christ­li­chen Tradi­tionen, auch da frage ich nach. Dann merken die: Ups, stimmt, Nächs­ten­liebe. Und dann beginnt ein Denk­pro­zess.

Wer hat diese Woche ange­rufen? 

Diese Woche hat ein junger Mensch ange­rufen, der sich für Flücht­linge enga­gieren will. Er hat aber gehört, dass es zu viele Probleme gibt. Er wollte fragen, was daran wahr ist und ob er auch von zu Hause aus helfen kann. Meist rufen mehr Männer an.

Wer hat dich in letzter Zeit nach­denk­lich gestimmt? 

Ein AFD-Wähler hat mit mir vor kurzem über die Ober­grenze gespro­chen. Er meinte, wir können doch nicht wirk­lich jeden aufnehmen. Da hat er ja Recht. Deutsch­land nimmt auch nicht jeden auf. Aber wo ziehen wir die Grenze? Bei drei Millionen? Fünf Millionen? Diese Frage hat mich sehr berührt, weil ich selber keine Antwort weiß. 

Was hast du ihm dann gesagt? 

Bisher geht es noch gut. Wir können Flücht­linge aufnehmen. Aber ich weiß selber, dass es schwierig ist und ich rätsel noch darüber. 

Hast du bei einem Gespräch schon mal die Fassung verloren?

Nein. Das ist ja das Unge­wöhn­liche bei meiner Hotline, dass man immer Distanz zu seinen Gefühlen hat und sich nie etwas zu Herzen nimmt. Einmal hat mich jemand 20 Sekunden lang beschimpft. Auch da musste ich die Fassung bewahren und sehen, ob er noch mit sich reden lässt.

Wie machst du das? 

Ich habe erkannt, dass Wert­schät­zung sehr wichtig ist. Und dass manche Menschen sich echauf­fieren müssen, bevor sie rational spre­chen können. Wie wenn man beim Kochen den Deckel hebt, dann kommt zuerst ganz viel heiße Luft raus. Der Topf brodelt. Wenn man den Deckel drauf lässt, kocht er irgend­wann über. Und so sind die Menschen auch, sie brau­chen eine Platt­form, wo sie die Luft raus­lassen können.

Du selbst bist mit zwei Jahren nach Deutsch­land gekommen und lebst seitdem hier. Was ist für dich Heimat?

Es gibt keinen festen Ort. Heimat ist da, wo ich mich in sozialen Bezie­hungen wohl fühle und ich mich nicht erklären muss. Insge­samt fühle ich mich so in Deutsch­land wohl. Das ist auch meine Heimat.

Hast du einen deut­schen oder türki­schen Pass? 

Ich habe seit einem Jahr sogar den deut­schen Pass, um wählen zu dürfen. Außerdem will ich in unserer Gesell­schaft stärker parti­zi­pieren.

Fühlst du dich denn auch deutsch? 

Was heißt denn sich deutsch zu fühlen? Mit einem Pass? Deutsch sein ist ja nicht etwas, was sich mit dem Pass ändert. Das ist ein Gefühl. Manche Deut­sche fühlen sich ja sogar nicht deutsch. Diese wandern aus.

Du studierst auf Lehramt. Könn­test du dir auch vorstellen, eines Tages Poli­tiker zu werden?

Ja, das könnte ich mir gut vorstellen. Entweder werde ich Poli­tiker, Jour­na­list oder Welt­ver­bes­serer.

Welt­ver­bes­serer bist du ja schon oder? 

Ja, irgendwie schon.

Was denkst du, sollte man bei der Flücht­lings­po­litik ändern?

Wir sollten ganz klar zwei Sachen machen. Uns um die Einhei­mi­schen kümmern, die hier leben – wir sollten Brücken­bauer ausbilden. Außerdem sollten wir unbe­dingt, und das haben sogar AFDler mit mir gemein, die Flucht­ur­sa­chen bekämpfen. Dann müssten Menschen gar nicht diese schwie­rige Flucht auf sich nehmen und viel­leicht im Mittel­meer ertrinken.


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