Inno­va­tion mit Post-its

Datum
27. November 2016
Autor*in
Helene Fuchs
Redaktion
politikorange
Thema
#up2youth 2016

Einen Groß­teil der YouthCon 2016 verbringen die Teil­neh­menden in Work­shops. Doch was genau passiert dort eigent­lich? Helene Fuchs hat sich under­cover in einen Work­shop gesetzt und direkt miter­lebt, wie die Teil­neh­menden die Methode des Design Thin­king kennen­ge­lernt haben.

Der Morgen nach der Abschluss­party. Verschla­fene Gesichter, halb­ver­deckt von Kaffee­tassen. Langsam und verspätet begeben sich alle nach und nach zu den einzelnen Work­shops. Im Semi­nar­raum S1 hat man hohe Ziele: Design Thin­king soll erklärt werden. Es handelt sich um eine Möglich­keit, menschen­zen­trierte Lösungen für Probleme zu entwi­ckeln. Wie genau? Das scheint keiner so recht zu wissen. Trotz Müdig­keit wirken alle gespannt. Ich glaube, es wird kreativ“, ist offenbar der einzige Anhalts­punkt. Auch das Internet, das ich vorher fleißig konsul­tiert habe, gibt nicht mehr her. Ich erfahre nur: Diese Idee liegt momentan total im Trend und exis­tiert in unzäh­ligen Vari­anten und Anwen­dungs­be­rei­chen.

Perfek­tion? Nein!

Es ist nicht alles so schwierig, wie es sich erstmal anhört“, lautet die Prämisse unseres Work­shop-Leiters Marian Turowski. Der 27-jährige hat die Methode in Potsdam studiert, neben seinem Haupt­fach Wirt­schafts­in­ge­nieur­wesen. Gut gelaunt beginnt er uns zu erklären, wie man wie ein Desi­gner denkt“. Genau bedeutet das, Menschen und deren Bedürf­nisse in den Mittel­punkt von Ideen zu stellen. Für komplexe Frage­stel­lungen, die dyna­misch und nicht linear sind, fällt es uns deut­lich schwerer, Lösungen zu finden. Die Methode soll dem entge­gen­wirken und Werte, Tech­no­logie und Wirt­schaft­lich­keit vereinen. Das Ganze sei voll­kommen ergeb­nis­s­offen und defi­nitiv nichts für Perfek­tio­nisten und Perfek­tio­nis­tinnen. Soweit die Erklä­rungen von Marian.

Auf diese kurze Einfüh­rung in die Methode, die uns immer noch über die genauen Inhalte im Dunklen lässt, folgt der prak­ti­sche Teil. Unsere Aufgabe: Das ideale Porte­mon­naie kreieren. Zunächst sollen wir einen Entwurf zeichnen, was die Mehr­heit der Teil­neh­menden genervt aufstöhnen lässt. Ich kann aber nicht malen!“, höre ich von allen Seiten. Und auch ich bezweifle, dass irgend­je­mand später erkennen kann, was genau auf meinem Blatt abge­bildet ist. Marians Antwort: Stich­wort: Perfekt­heit, Antwort: Nein!“

Radikal und verrückt denken

Wir krit­zeln also meist mehr schlecht als recht auf unsere Blätter und machen uns Gedanken, was eigent­lich alles in unserem Geld­beutel verstaut werden muss. Nach zwei Minuten kommt es jedoch zu einem Perspek­tiv­wechsel: Wir beginnen, uns mit unserem Gegen­über auszu­su­chen und versu­chen heraus­zu­finden, was dem anderen wichtig ist. Die Anwei­sung, nach Emotionen beim Gespräch über Porte­mon­naies zu suchen, bringt den Saal zunächst zum Lachen. Aber als ich die Vermu­tung äußere, dass mein Partner viel Wert auf Sicher­heit legt und er mir dann erklärt, er sei Poli­zist, verstehe ich diese Zusam­men­hänge besser.

Ein paar Minuten fröh­li­chen Austauschs später sollen wir schließ­lich eigene Ideen zur Lösung entwi­ckeln. Es heißt also: Weiter­zeichnen! Quan­tität statt Qualität lautet das Motto. Denkt radikal und verrückt!“, fordert uns Marian auf. Die Entwürfe sollen dann mit Hilfe von Krepp­band, Alufolie, Mode­ra­ti­ons­karten und Pfei­fen­rei­ni­gern gebas­telt werden. Abstrakte Ideen anfassbar machen ist ein zentraler Punkt des Design Thin­king. Ich klebe also acht Minuten lang Post-its zusammen und versuche, mich nicht von der mangelnden Ästhetik meines Werks entmu­tigen zu lassen. Meinem Streben nach Perfek­tion wird ein starker Dämpfer versetzt, was mir aller­dings weniger ausmacht als zu Beginn befürchtet. Und auch die strikte Zeit­be­gren­zung beflü­gelt mich eher, als dass dadurch meine Krea­ti­vität gehemmt wird.

Als wir unseren Part­nern die Ergeb­nisse vorstellen, zeigt sich: Die Perspek­tive zu verän­dern ist gar nicht so schwer. Und führt sogar bei den meisten zu prak­ti­ka­bleren Ergeb­nissen als der eigene Entwurf vom Anfang. Ich bin über­rascht von der guten Idee meines Gegen­übers, Karten oder Kassen­zettel lepo­rel­lo­artig anzu­ordnen und immer mehr davon über­zeugt, dass das Konzept gut funk­tio­niert.

Keine Angst vor Miss­erfolgen

Die Verbes­se­rungs­vor­schläge der anderen können wir aufgrund der fehlenden Zeit genauso wenig umsetzen, wie eines der wich­tigsten Prin­zi­pien der Methode – in diversen Teams zu arbeiten. Was aber der Work­shop eindrucks­voll vermit­telt, ist das Vertrauen in die eigene Krea­ti­vität und Intui­tion. Laut Marian liegt dort der Schlüssel zu Inno­va­tion. Beob­achten, nach­fragen, erleben und die Perspek­tive wech­seln müssen nicht kompli­ziert sein. Es reichen ein wenig Vorbe­rei­tung, Mode­ra­ti­ons­karten oder Post-its und der Mut zum Schei­tern, um neue Ansätze zu finden.

Es sei völlig legitim, im Falle eines Miss­erfolgs nochmal neu anzu­fangen oder einzelne Schritte zu wieder­holen, erklärt uns Marian. Fail early and often“ ist auch die Lektion, die mir am meisten im Gedächtnis bleibt. Und so werde ich wohl in Zukunft bei meiner Projekt­pla­nung in Kürze jeder Idee nach­gehen und zur Not auch mal was basteln.


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