Ein Jahr Café Ukraine

Datum
04. April 2023
Autor*in
Arne Seyffert
Redaktion
politikorange
Themen
#Ukraine23 #Leben
Artikel-Arne-Ukraine-Moritz Heck

Artikel-Arne-Ukraine-Moritz Heck

by Moritz Heck
Das Café Ukraine feiert seinen einjäh­rigen Geburtstag. Hier treffen sich ukrai­ni­sche Geflüch­tete, um sich zu vernetzen und gegen­seitig zu stärken. Ohne einige Menschen wäre das nicht möglich.

Das Café Ukraine leistet wert­volle Flücht­lings­hilfe für inzwi­schen 4500 Mitglieder. Mit großer Herz­lich­keit kümmern sich Natalie und Maryna um ihre Gäste, die das Hilfs­an­gebot dankbar entge­gen­nehmen. Aber auch Menschen wie Dasha und Peter und Horst von der Mahn­wache arbeiten mit und unter­stützen den Verein. In den ersten Kriegs­mo­naten gab es eine sehr große Spen­den­be­reit­schaft, die aller­dings jetzt stark nach­ge­lassen hat. Überall herrscht ein Mangel an gezielten Spenden für ukrai­ni­sche Menschen. Aktuell finan­ziert sich das Café durch die Berliner Stadt­mis­sion. Im Juni läuft die Unter­stüt­zung der kirch­li­chen Orga­ni­sa­tion aller­dings aus. Wie es dann mit dem Café weiter­geht, weiß niemand so richtig.

Dasha

Ganz anders als viele deut­sche Medien die Ukraine derzeit porträ­tieren, ist das Café Ukraine ein fröh­li­cher Ort. Es scheint, als will der Ort das ganze Trübsal verdrängen, das derzeit mit der Ukraine verknüpft ist. Genau diese Fröh­lich­keit strahlt auch Dasha aus. Dasha kommt ursprüng­lich aus Russ­land und ist vor 20 Jahren nach Deutsch­land gekommen. Auch sie ist heute, am ersten April, zur Geburts­tags­feier des Café Ukraine” gekommen. Hier ist sie als Medi­en­päd­agogin tätig und betreut die Gäste des Cafés. Gemeinsam mit Ukrainer*innen, Deut­schen und Kasach*innen wird sich hier ausge­tauscht, werden ukrai­ni­sche Spezia­li­täten verspeist und Figuren aus Salz­knete gebas­telt. Beson­ders die Selbst­stän­dig­keit, mit der sich die ukrai­ni­schen Frauen um die Flücht­lings­hilfe kümmern, hat Dasha beein­druckt. Was kann man gegen den Scheiß­krieg schon tun?“, fragt sie. Defi­nitiv sei es wichtig, für andere da zu sein. Für Geflüch­tete aus der Ukraine sei dieser Ort die Rettung vor dem sozialen Abstieg.

Natalie

Natalie, die Grün­derin des Vereins, hat am Geburtstag alle Hände voll zu tun. Als sie am vierten März letzten Jahres in Berlin ankam, suchte sie sofort Gleich­ge­sinnte, mit denen sie anderen Geflüch­teten helfen konnte. Schon drei Tage später grün­dete sie mit Unter­stüt­zung der Berliner Stadt­mis­sion das Café Ukraine”. Jeden Donnerstag gibt es hier im Café einen Treff­punkt: Es gibt Live-Musik, selbst geba­ckenen Kuchen und Raum für Austausch. Die Ange­bote sind kostenlos. Damit die Ukrainer*innen sich in Berlin nicht aus den Augen verlieren, sei es Natalie wichtig gewesen, einen geschützten Ort zu schaffen, an dem sie ihre Kultur pflegen können.

Ein größeres Problem ist die Sprach­bar­riere, meint Natalie. Auch wenn Berlin als Stadt zuge­wandt und offen ist, gebe es nur wenige Menschen, die ukrai­nisch spre­chen. Sprache ist ein elemen­tarer Teil der eigenen Kultur, deshalb ist es für ukrai­ni­sche Menschen so wichtig, in ihrer eigenen Sprache zu kommu­ni­zieren. Ande­rer­seits müssen sich Ukrainer*innen auch mit Deut­schen verstän­digen können. Dafür haben sie eine neue Initia­tive ins Leben gerufen: Das Spiel-Sprach-Café. Hier lernen die Geflüch­teten durch Spiele, wie Deutsch funk­tio­niert. Ein stär­kerer Austausch zwischen den ukrai­ni­schen und deut­schen Menschen sei drin­gend nötig, damit Deutsch besser gelernt werden kann, findet Natalie. Meist kommen zwischen 15 und 30 Leute aus vielen osteu­ro­päi­schen Ländern: Kasach*innen lernen mit Ukrainer*innen, Russ*innen und Belaruss*innen gemeinsam. Aber die Begeg­nungen gehen weit über Europa hinaus: Japa­ni­sche, indi­sche und soma­li­sche Gruppen kommen zusammen und reden über ihre Flucht­er­fah­rungen und ihre Heimat aus. Ganz gleich, ob sie mit 150 Frei­wil­ligen die Warschauer Straße aufräumen oder gemein­same Yoga­stunden machen, das wich­tigste ist das Gemein­schafts­ge­fühl. Wir haben alle dasselbe erlebt. Darum sind wir für alle Begeg­nungen offen.”

Peter und Horst

Die Ukraine wird siegen.” Das steht auf dem Rücken von Peters Pulli, den er stolz präsen­tiert. Er ist heute im Café, weil er den Geflüch­teten unbe­dingt helfen möchte. Seit einem Jahr steht er als Mahn­wache” vor der russi­schen Botschaft und demons­triert gegen den russi­schen Angriffs­krieg. Heute ist er mit seinem Kollegen Horst hier, der mit 82 Jahren eines der ältesten Mitglieder des Vereins ist. Auch er steht jeden Tag, bei Wind und Wetter”, vor der Botschaft. Oft seien Peter und Horst das Ziel von Angriffen und Anfein­dungen. Sie würden als Neonazis und Faschisten beschimpft werden, sagt Peter. Als Sarah Wagen­knecht mit rund 13.000 Anhänger*innen für einen sofor­tigen Stopp der Waffen­lie­fe­rungen an die Ukraine demons­trierte, sei es am schlimmsten gewesen. Die Polizei habe Peter und Horst vor den gewalt­tä­tigen Angriffen schützen müssen. Die Angriffe sind auch von russisch­spra­chigen Menschen ausge­gangen, sagt Peter. Wir wurden belei­digt und ange­spuckt.” Peter glaubt, dass der Krieg nicht am Verhand­lungs­tisch beigelegt werden kann. Jetzt würden nur Waffen­lie­fe­rungen helfen, findet Peter.

Maryna

Maryna ist eben­falls eine der Orga­ni­sa­to­rinnen des heutigen Geburts­tages. Sie kommt aus Winnyzja, einem klei­neren Ort in der Ukraine, der viele Todes­opfer zu beklagen hat. Um den furcht­baren Nach­richten zu entkommen, enga­giert sie sich im Café. Heute ist sie mit Kochen beschäf­tigt: Es gibt Borschtsch, Wareniki und Knob­lauch­brot.

Auf die Frage, ob sie sich manchmal über­for­dert fühlt, lacht sie nur: Immer!” Weniger arbeiten möchte sie trotzdem nicht, denn das Café raubt ihr nicht nur Kraft und Nerven, es gibt ihr auch Energie und vor allem Ablen­kung. Zuvor sei sie oft ängst­lich gewesen, aber das habe sich mit dem Enga­ge­ment geän­dert. Als sie noch neu in Deutsch­land war, sei sie oft gefragt worden, was ihr am Land nicht gefalle. Darauf konnte sie nur immer wieder antworten, dass sie zufrieden sei. Sie hatten eine Unter­kunft, sie waren sicher, und: Es gibt keine Rake­ten­ein­schläge.” Trotzdem sei die Frage, ob sie bleiben möchte oder nicht, sehr schwer zu beant­worten. Flucht in ein völlig neues Land ist immer mit Heimat­ver­lust verbunden. Teil­weise wohnt auch die eigene Familie in der Ukraine. Die Fahrten in die Heimat können sehr schmerz­haft sein, weiß Maryna. Sie vermisst ihr Land und ist hin- und herge­rissen zwischen dem sicheren Ausland und ihrer Heimat. Ihr Ehemann konnte mit ihr die Ukraine verlassen, da er schon etwas älter war. Ganz allein ist sie also nicht. Maryna wird sich weiter um Geflüch­tete kümmern, ganz gleich, was noch auf sie zukommt.


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