Heimat ist, wo der Tee am besten schmeckt

Datum
17. September 2020
Autor*in
Lisa Grefer
Redaktion
politikorange
Themen
#heimatkongress 2020 #Leben
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Das bundes­weite Verzeichnis des Imma­te­ri­ellen Kultur­erbes umfasst mitt­ler­weile 95 verschie­dene Kultur­formen. Welche Rolle spielen diese Tradi­tionen in Bezug auf Heimat? poli­ti­ko­range-Redak­teurin Lisa Grefer geht dieser Frage genauer nach.

Heimat – ein schwierig zu defi­nie­render Begriff. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Inter­pre­ta­tion von diesem Ausdruck. Für die meisten ist es ein äußerst persön­li­ches Gefühl von Zuge­hö­rig­keit, verbunden mit indi­vi­du­ellen Erin­ne­rungen und Erfah­rungen. Aber auch Tradi­tionen können das Bild jedes Einzelnen von seiner Heimat prägen. Das können die Stern­singer sein, die am Drei­kö­nigstag von Haus zu Haus ziehen, das Skat-Spiel, zu dem man sich am Abend mit Freunden trifft, oder einfach eine leckere Scheibe deut­sches“ Brot nach Omas Rezept.

Eins haben diese drei Dinge jedoch gemeinsam: Sie stehen im bundes­weiten Verzeichnis des Imma­te­ri­ellen Kultur­erbes. Nach Defi­ni­tion der UNESCO-Konven­tion umfasst dies Bräuche, Darstel­lungen, Ausdrucks­formen, Wissen und Fertig­keiten sowie die dazu gehö­rigen Instru­mente, Objekte, Arte­fakte und kultu­rellen Räume (…), die Gemein­schaften, Gruppen und gege­be­nen­falls Einzel­per­sonen als Bestand­teil ihres Kultur­erbes ansehen.“ Welche Bedeu­tung der Schutz solcher Tradi­tionen für Europa hat wurde auch im Rahmen des digi­talen Bundes­kon­gresses Heimat in Europa des Bundes Heimat und Umwelt disku­tiert. Im Panel Europa vor Ort“ erklärt Dr. Frank Thiel, Vorstands­mit­glied der Deut­schen Flößerei-Verei­ni­gung, imma­te­ri­elles Kulturgut habe auch immer was mit Wissen zu tun“. Gebe man dieses nicht weiter, gehe es infol­ge­dessen mit der Zeit verloren. Josef Ober­hofer, Verbands­ge­schäfts­führer Heimat­pfle­ge­ver­band Südtirol, zufolge sei es sogar die Pflicht eines jeden Menschen (…) imma­te­ri­elles Kultur­erbe an die nächste Gene­ra­tion weiter­zu­geben“. Er begründet dies damit, dass unsere Zukunft auf den Erfah­rungen der Vergan­gen­heit aufbaue.

Spal­tung und Ausgren­zung

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Fachbereichsleiterin der Deutschen UNESCO-Kommission: Christine Merkel. Foto: privat

Chris­tine M. Merkel ist Fach­be­reichs­lei­terin bei der Deut­schen UNESCO-Kommis­sion. Sie glaubt: Behei­ma­tung ist etwas Aktives und durchaus Hand­festes, nicht nur ein Gefühl. Es ist zudem nichts exklu­sives, viele Menschen leben heute mit Verbin­dungen zu mehreren Heimat­län­dern und/​oder ‑Regionen. Tradi­tionen können dazu positiv beitragen, wenn sie mit einer welt­of­fenen Einstel­lung gepflegt werden, zu Wandel bereit sind und Neuan­kömm­linge will­kommen heißen.“ Andern­falls kann Brauchtum auch eine spal­tende Rolle einnehmen und ganze Bevöl­ke­rungs­gruppen ausschließen. Viele Bräuche sind daran gebunden, wer wann an welchem Ort geboren wurde, mit welchem Geschlecht oder auch welcher Glau­bens­rich­tung“, meint Merkel. Ein Bayer werde wenig von der Helgo­länder Dampf­börte verstehen, ein Mädchen fände im Säch­si­schen Knaben­chor keinen Platz und Athe­isten glauben nicht, dass Stern­singen einen Segen in ihr Haus bringen. Laut Merkel sei es hier beson­ders span­nend, durch aktive Ausein­an­der­set­zung gemeinsam im 21. Jahr­hun­dert anzu­kommen.“

In Ostfries­land bringt Tee die Menschen an einen Tisch

Aber es gibt auch die Fälle, in denen Tradi­tionen Menschen zusam­men­führen. Das Teetrinken stellt in der Familie, im Freundes- und Bekann­ten­kreis sowie im Berufs­leben einen Moment der gemein­samen Auszeit und Ruhe dar, die zum gemüt­li­chen Plau­dern, dem ´Klönen´, genutzt wird“, sagt Dr. Matthias Stenger, Leiter eines Teemu­seums in der nieder­säch­si­schen Stadt Norden. Für ihn ist die Ostfrie­si­sche Teekultur immer auch ein Stück Heimat“. Er initi­ierte die Aufnahme dieser Praxis in das Bundes­weite Verzeichnis des imma­te­ri­ellen Kultur­erbes. Meine aus Bayern stam­mende Schwie­ger­mutter hatte im Deutsch­land­funk gehört, dass Deutsch­land der Konven­tion beigetreten wäre und erzählte mir davon“, erin­nert sich Stenger. Er sieht einen direkten Zusam­men­hang zwischen dieser Tradi­tion und seinem Verständnis von Heimat: Die Praxis dieser Momente des Zusam­men­kom­mens und des Austau­sches von Kindes­beinen an wirkt iden­ti­täts­stif­tend und wird daher sowohl auf Reisen als auch bei Fortzug weiter prak­ti­ziert, um ein Stück vertraute Heimat mitzu­nehmen bzw. bei sich zu haben.“

Auch Brauchtum geht mit der Zeit

Letzt­end­lich habe die erste Phase der Globa­li­sie­rung das Bewusst­sein geschärft, dass man sich um die Viel­falt kultu­reller Ausdrucks­formen dauer­haft aktiv kümmern muss“, so Merkel. Kultur­po­litik sei nötig, um sowohl zeit­ge­nös­si­sche Produk­tion als auch die Viel­falt an Tradi­tionen zu schützen und zu fördern.“ Und das könne bereits im kleinen Kreis anfangen: Eine schöne Möglich­keit ist auch, bei Fami­li­en­festen oder Jubi­läen eine Tradi­tion oder eine Kultur­praxis, die einem selbst beson­ders am Herzen liegt, in den Mittel­punkt zu stellen und Freunde und Bekannte mit der eigenen Begeis­te­rung anzu­ste­cken“, sagt Merkel. Die Expertin für für Imma­te­ri­elles Kultur­erbe findet abschlie­ßend: Indi­vi­du­elles Inter­esse und aktives Erkunden sind zentral, um den Schutz und die Förde­rung der Viel­falt kultu­reller Ausdrucks­formen in jeder Gene­ra­tion immer wieder neu zu wecken und zukunfts­taug­lich zu erfinden´“.


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