Bye, bye Europa – Bricht die USA auf der MSC mit ihren trans­at­lan­ti­schen Verbün­deten?

Datum
06. März 2025
Autor*in
Alma Jung
Redaktion
politikorange
Thema
#Politik
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Michael Kuhlmann
Auf der dies­jäh­rigen Münchner Sicher­heits­kon­fe­renz wurden lang­fris­tige Trends deut­li­cher als es einigen Transatlantiker*innen lieb ist. Die Versamm­lung entpuppte sich mehr und mehr zum Schau­platz der Entfrem­dung.

Auf der dies­jäh­rigen Münchner Sicher­heits­kon­fe­renz wurden lang­fris­tige Trends deut­li­cher als es einigen Transatlantiker*innen lieb ist. Die Versamm­lung, die auch seit 61 Jahren auf der engen Zusam­men­ar­beit von Deutsch­land und EU mit den USA aufbaut und darauf begründet wurde, wurde mehr und mehr zum Schau­platz einer Entfrem­dung.

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Präsident Selenskyj (mittig) appelliert auf der MSC an Europa und die US-Delegation. Foto: MSC/Kuhlmann.

Mit dem Krieg in der Ukraine als zentralem Thema zeich­neten sich bei der 61. Münchner Sicher­heits­kon­fe­renz (MSC) vom 14. Februar bis zum 16. Februar 2025 auf dem Baye­ri­schen Hof unter­schied­liche Mantras ab. Präsi­dent Wolo­dymyr Selen­skyj und seine Dele­gierten wieder­holten vor der Kamera immer wieder ihr Motto Nothing about Ukraine without Ukraine“. Und auch der Bundes­kanzler Olaf Scholz höchst­per­sön­lich bediente sich dessen in Bezug auf Diskus­sionen und Verhand­lungen in seiner Rede. Die Forde­rung steht nicht im luft­leeren Raum. Sie ist eine Antwort auf das, womit die Wenigsten gerechnet haben: Donald Trumps ange­kün­digte Verhand­lungs­ge­spräche mit Wladimir Putin in Saudi-Arabien wenige Tage zuvor. Welchen Einfluss wird dieser Rich­tungs­wechsel der US-Politik haben und was genau will die Trump-Admi­nis­tra­tion wirk­lich für Europa?

Russi­sche Narra­tive auf US-ameri­ka­ni­scher Seite

Mit dem russi­schen Angriffs­krieg auf die Ukraine als prak­tisch gesetztem Thema und domi­nie­rendem Inhalt der Sicher­heits­kon­fe­renz über­raschte es, dass Vize J.D. Vance in seiner Eröff­nungs­rede am ersten Tag in München nur im Neben­satz über den Konflikt sprach. Sein Fokus lag auf einer anderen Botschaft: Er sieht die Demo­kratie in Europa in Gefahr, aber keines­wegs vorrangig durch Russ­land oder andere externe Akteure bedroht, sondern von innen“. Er malte ein Bild von Europa, in dem Wahlen nicht fair und offen sind, Meinungs­frei­heit nicht exis­tiert und Vertreter*innen der Oppo­si­tion sank­tio­niert werden. Er proji­ziert seine Wahn­vor­stel­lung einer zerstörten Demo­kratie, während Kritiker*innen des US-Präsi­denten Sank­tio­nie­rungen fürchten.

Dass Europas Demo­kratie in Gefahr sei, stößt den euro­päi­schen Regie­rungen vor den Kopf. Bundes­kanzler Olaf Scholz und anderen deut­schen Vertreter*innen baten die USA, Respekt für die deut­sche Regie­rung und Systeme genauso entge­gen­zu­bringen, wie es Deutsch­land anders­herum täte. Was viele Kritiker*innen fälsch­li­cher­weise als Stichelei oder Anfän­ger­fehler von Vance gesehen haben, erin­nert aller­dings auch an das russi­sche Mantra, die Demo­kratie der Ukraine sei in Gefahr.

Respekt­lo­sig­keit als Weckruf“

Das vermeint­liche Motiv für den russi­schen Einmarsch sollte hierbei nicht außer Acht gelassen werden: Putin spricht seit Beginn seines Angriffs­kriegs von einer Entna­zi­fi­zie­rung“ und stellt die Legi­ti­mität Wolo­dymir Selen­skyjs als recht­mä­ßigem Präsi­denten infrage. J.D. Vance verglich die aktu­elle Situa­tion in Europa in seiner Rede eben­falls mit der des Natio­nal­so­zia­lismus. Er bezog sich im Zuge dessen auf die unde­mo­kra­ti­schen Tendenzen, die er sehe. Dass diese Ände­rung im Narrativ die Sicher­heits­ga­ran­tien der USA in Europa gefährden könnte, ist offen­sicht­lich.

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Vize Vance stellt auf der MSC die Grundlage der transatlantischen Beziehungen infrage. Foto: MSC/Conzelmann

Der BR und andere Medien spre­chen nach der Sicher­heits­kon­fe­renz von einer Art Weckruf“. Der tsche­chi­sche Präsi­dent Petr Pavel sagte in einer Panel­dis­kus­sion auf der MSC: Wir wurden ins kalte Wasser geworfen, aber sind stark genug mit oder ohne US-Part­nern.“ Er begreift die ameri­ka­ni­sche Ambi­va­lenz als Chance, dass Europa sich auf sich selbst verlassen kann. Wir können endlich groß werden und zeigen, dass wir Verant­wor­tung über­nehmen können.“

Da muss man gar nicht erst antreten“– Funk­tio­niert Europa auch allein?

Die Ankün­di­gung Trumps, man werde sich aus der mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zung Europas heraus­ziehen, werden von US- und euro­päi­schen Vertreter*innen mehr als Stups in die rich­tige Rich­tung gesehen, als als Aufkün­di­gung des Vertrauens. We’re in the same team“, sagte schließ­lich Vance, während Trump vor der Konfe­renz zu Europas Rolle in der Ukraine bemerkte: Es betrifft sie mehr als uns. Wir haben einen Ozean dazwi­schen.“ So sehr die Worte von Vance nach Zusam­men­halt klingen mögen, so sind sie doch ein Euphe­mismus für den Rückzug der USA als Sicher­heits­ga­rant.

Die Chance, die viele in diesem Rückzug sehen, Europa könne stärker werden, ist in Wahr­heit eine Notwen­dig­keit, ein Zwang. Das als part­ner­schaft­li­chen Akt zu sehen, scheint von dem verzwei­felten Versuch gezeichnet, die USA irgendwie wieder mit ins Boot zu holen. So sagte Scholz im Inter­view mit dem Podcast Der Tag“, er habe die Hoff­nung, dass die Unter­stüt­zung für die Ukraine seitens der USA nicht nach­lässt“, weil man bei dem russi­schen Präsi­denten sonst gar nicht erst antreten muss, um was zu errei­chen.“

Das zeichnet ein düsteres Bild von dem, was andere als Chance“ begreifen. Jeanne Shaheen, US-Demo­kratin, sagte in einem Panel­ge­spräch, Vance habe eine gute Möglich­keit verpasst, die vergan­gene (trans­at­lan­ti­sche) Bezie­hung zu betonen und dass wir zusammen erfolg­reich waren“. Auch der ukrai­ni­sche Außen­mi­nister Andrij Sybiha betonte auf der MSC: Wir brau­chen die Unter­stüt­zung der Verei­nigten Staaten“ und dass die Ukraine an neue Dyna­miken und Frie­dens­an­stren­gungen“ glaube.

Aus Verbün­deten werden Vermittler

Diese Hoff­nung in Trump wird auch von Wolo­dymir Selen­skyj arti­ku­liert, der zum Ende seines Inter­views auf der Konfe­renz sagte, er glaube an Trump, weil er gewählt wurde. Er konnte sich bei dieser Hoff­nung nicht auf pro-euro­päi­sche Aussagen Trumps oder Ähnli­ches berufen. US-Vertei­di­gungs­mi­nister Pete Hegseth sagte am 12. Februar in seiner Eröff­nungs­rede der Ukraine Defense Contact Group“ in Brüssel, Europa müsse die tragende Rolle in seiner eigenen Sicher­heit über­nehmen und die USA würde sich wieder mehr um die eigenen Grenzen kümmern.

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Olaf Scholz im Gespräch mit Zanny Minton Beddeos, Chefredakteurin von The Economist. Foto: MSC/Koehler

Bundes­kanzler Scholz verlangte derweil, Europa müsse mitdis­ku­tieren, wenn es um euro­päi­sche Ange­le­gen­heiten ginge. Nothing about Europe without Europe“ scheint aller­dings fast genauso unwahr­schein­lich wie das ukrai­ni­sche Equi­va­lent. US-Gesandter Keith Kellogg sagte auf die Frage hin, ob die EU ein Mitspra­che­recht bei Verhand­lungen zwischen Trump und Putin haben werde: That is not going to happen.“ Er ermu­tigte die EU statt­dessen, eigene Vorschläge“ zu machen und sagte, man solle sich von ihrer Seite aus nicht beschweren. Außerdem gab er bekannt, die USA würden an diesem Verhand­lungs­tisch nicht als Verbün­dete, sondern als Vermittler auftreten und wären an einem schnellen Ende des Krieges inter­es­siert.

Ein schnelles Ende des Kriegs: Wer profi­tiert wirk­lich davon?

Die Befürch­tung, ein schnel­lerer Waffen­still­stand würde zum Nach­teil der Ukraine ausge­legt werden, ist seitdem omni­prä­sent. Zuge­ständ­nisse an Russ­land noch vor der Verhand­lung alar­mieren Beobachter*innen. So nannte Hegseth beispiels­weise eine NATO-Mitglied­schaft der Ukraine unrea­lis­tisch“. Es zeichnet sich anhand dieser Aussagen ab, dass die USA von Europa und der Ukraine zwar Initia­tive und Inves­ti­tionen abver­langen, das aller­dings nicht im Gegenzug zu Mitspra­che­recht oder Sicher­heits­ga­ran­tien führen wird.

Die Auffor­de­rung, Europa müsse einfach mehr in die eigene und die Sicher­heit der Ukraine inves­tieren, beißt sich übri­gens mit der Unter­stüt­zung, die Tech­mil­li­ardär und seit Neustem Effi­zi­en­s­mi­nister Elon Musk, Vance und andere rechts­extreme Politiker*innen gegen­über natio­na­lis­ti­schen und rechts­extremen Parteien in der EU äußerten. Schließ­lich stimmen genau jene gegen weitere Mili­tär­aus­gaben.

Putin gefällt das: Wie die ameri­ka­ni­sche Entfrem­dung zur Ukraine voran­schreitet und die Ambi­va­lenz der trans­at­lan­ti­schen Impe­ra­tive Europa desta­bi­li­siert

Durch die nach­las­sende Hilfe der USA und ihre gleich­zei­tige indi­rekte Unter­stüt­zung rechts­extremer Akteur*innen, die auf euro­päi­scher Ebene keine Hilfe anbieten wollen, spielt die aktu­elle US-Politik dem russi­schen Präsi­denten in die Karten. Die Hoff­nung Selen­skyjs, Trump würde die Dinge anders machen als Biden, scheint zu verpuffen. Ja, Trump wird die Dinge anders machen, das tut er schon jetzt. Aber er wird nichts an der Antwort Bidens auf die Frage der Ukrainer ändern, ob sie in Zukunft Teil der NATO werden.

Bei einem Tele­fonat mit Selen­skyj habe Biden im Amt schlicht mit No“ geant­wortet, so der ukrai­ni­sche Präsi­dent. Trump hat kürz­lich noch einen drauf­ge­setzt. Er beschimpfte Wolo­dymir Selen­skyj als Diktator ohne Wahlen“ in der Ukraine, als dieser sich äußerte, Trump säße Falsch­in­for­ma­tionen aus dem Kreml auf. Der US-Präsi­dent hatte zuvor behauptet, die Ukraine trüge die Schuld an der russi­schen Inva­sion.

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Christoph Heusgen spricht von einer "Zeitenwende". Foto: MSC/Kopatsch

Auf der euro­päi­schen Seite des Atlan­tiks stellt sich mitt­ler­weile eine Tief­stim­mung ein. Dass unsere gemein­same Werte­grund­lage nicht mehr so gemeinsam ist“, befürchtet der Leiter der Münchner Sicher­heits­kon­fe­renz, Chris­toph Heusgen.


Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redak­tion entstanden. Bei Fragen, Anre­gungen, Kritik und wenn ihr selbst mitma­chen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@​jugendpresse.​de 


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