FDP und Grüne küren den Kanzler: Was bedeutet die Wahl für den Klima­schutz?

Datum
29. September 2021
Autor*in
Santino Anderer
Redaktion
politikorange
Themen
#BTW21 #Politik
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Instagram. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz. Grafik: Saad Yaghi.

FDP und Grüne wollen vorson­dieren – und können faktisch entscheiden, wen sie zum Kanzler machen. Zentrales Thema der Gespräche wird der Klima­schutz. Santino Anderer schätzt die klima­po­li­ti­schen Heraus­for­de­rungen ein, vor denen die Königsmacher*innen stehen.

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Kommt eine Ampel- oder Jamaika-Koalition zustande? Vor welchen Herausforderungen stehen die Vorsondierungen von Grünen und der FDP? Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz | Grafik: Saad Yaghi

FDP und die Grünen krönen den Kanzler: Seit sich die SPD im Wahl­kampf mehr­fach gegen eine erneute Große Koali­tion mit der Union CDU/CSU ausge­spro­chen hat, gelten die Ampel oder Jamaika als realis­ti­sche Koali­ti­ons­op­tionen. Bündnis 90/​Die Grünen und FDP werden in beiden Koali­tionen benö­tigt, um entweder die von Olaf Scholz ange­führte SPD oder Armin Laschets CDU ins Kanz­leramt zu wählen. Insbe­son­dere in der Klima­po­litik weisen beide Parteien aller­dings program­ma­tisch funda­men­tale Unter­schiede auf. In den geplanten Vorson­die­rungen werden die unter­schied­li­chen klima­po­li­ti­schen Gestal­tungs­an­sprüche von Bündnis 90/​Die Grünen und FDP von zentraler Bedeu­tung sein.

Bundes­tags­wahl ist gleich Klima­wahl

Aus klima­öko­no­mi­scher Perspek­tive gilt die Wahl als rich­tungs­wei­send, um die Weichen für die zukünf­tige Klima­po­litik in Deutsch­land zu stellen. Auch auf den Druck von Fridays4Future ist die Dring­lich­keit von konse­quenten Klima­schutz­maß­nahmen zu einem der zentralen Wahl­kampf­themen geworden. Aber: Die Instru­mente, die die Parteien – und insbe­son­dere Bündnis 90/​Die Grünen und die FDP – zur Errei­chung der Pariser Klima­ziele einsetzen wollen, unter­scheiden sich stark vonein­ander.

Klima­schutz­maß­nahmen als Indi­kator für Sondie­rungs­ge­spräche

Außer der AfD, die den menschen­ge­machten Klima­wandel leugnet, formu­lieren Union, SPD, Bündnis 90/​Die Grünen, FDP und die Linke ähnliche Ambi­tionen: Die Begren­zung der globalen Erwär­mung auf unter 1,5 Grad über dem vorin­dus­tri­ellen Zeit­alter. Wir haben die Klima­ziele, die klar auf euro­päi­scher und natio­naler Ebene defi­niert sind. Das große Ziel ist die Klima­neu­tra­lität bis ins Jahr 2045“, sagt Dr. Jens Südekum. Bei der Großen Wahl­nacht des Progres­siven Zentrums in der Landes­ver­tre­tung Rhein­land-Pfalz spricht sich der Professor für Inter­na­tio­nale Volks­wirt­schafts­lehre am Düssel­dorfer Institut für Wett­be­werbs­öko­nomie (DICE) für eine progres­sive Klima­po­litik aus.

Auf die CO2-Beprei­sung als klima­po­li­ti­sches Leit­in­stru­ment haben sich alle Parteien außer der Linken und der AfD geei­nigt. Streit­punkte für die Sondie­rungs­ge­spräche sieht Südekum deshalb vor allem bei der Frage nach zusätz­li­chen klima­po­li­ti­schen Instru­menten. Dabei geht es um die Finan­zie­rung, staat­liche Inves­ti­tionen und Verbote.

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Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat die Parteiprogramme nach klimaökonomischen Kriterien analysiert. Die Instrumente der Parteien berücksichtigen die CO2-Budgets, die Deutschland zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels zustehen, nicht ausreichend genug. Grafik: Santino Anderer

Wahl­check: Klima­po­litik

Klima- und Umwelt­schutz ist das zentrale Kern­thema von Bündnis 90/​Die Grünen. Im Partei­pro­gramm sind die geplanten klima­po­li­ti­schen Maßnahmen detail­reich beschrieben. Auswei­tung des EU-Emis­si­ons­han­dels, CO2-Beprei­sung und die Bindung von Emis­sionen durch Wieder­auf­fors­tung und Rena­tu­rie­rung von Mooren sind zentrale Instru­mente. Die Rück­erstat­tung der CO2-Kosten an die Bürger*innen soll zudem einen sozialen Ausgleich schaffen. Für die Grünen hat die Ampel-Koali­tion einen Vorteil in der progres­siven Grund­aus­rich­tung. Aller­dings könnten die Grünen laut Südekum auch von einer schwa­chen CDU/CSU im Kanz­leramt profi­tieren, um konse­quente Gestal­tungs­an­sprüche in der Klima­po­litik geltend zu machen. Dafür spräche auch, dass die Spitze der Grünen Jamaika weniger abge­neigt gegen­über­stehe als die FDP einer Ampel-Koali­tion. Aller­dings könne Südekum sich schwer vorstellen, wie eine Jamaika-Koali­tion gegen­über der Grünen-Basis kommu­ni­ziert werden soll. Insbe­son­dere Wähler*innen unter 25 Jahren, bei denen Bündnis 90/​Die Grünen stärkste Kraft geworden ist, fordern einen konse­quenten Klima- und Umwelt­schutz. Auch wenn die Union flexi­bler in ihrer Kompro­miss­be­reit­schaft ist, weil Klima­po­litik keine ihrer Kern­themen ankratzt, ist Jamaika für die Kernwähler*innenschaft der Grünen nicht attraktiv. Armin Laschets poli­ti­sche Karriere hängt maßgeb­lich davon ab, ob die Grünen sein Programm akzep­tieren.

Von der FDP unter­scheiden sich Bündnis 90/​Die Grünen wie auch die SPD insbe­son­dere in ihrer Ableh­nung von nega­tiven Emis­si­ons­tech­no­lo­gien, die der Atmo­sphäre CO2 entziehen. Auch der Finan­zie­rung von auslän­di­schen Projekten, um deren Emis­si­ons­re­duk­tionen auf die eigenen Ziele anzu­rechnen, wie es FDP und Union befür­worten, stehen beide Parteien kritisch gegen­über. Einig sind sich die Grünen und FDP hingegen in ihren Posi­tionen zur inter­na­tio­nalen Klima­po­litik: Neben dem Bekenntnis zu einer starken trans­at­lan­ti­schen Part­ner­schaft, wollen die Grünen auch China als größten Emit­tenten von Treib­haus­gasen stärker in den klima­po­li­ti­schen Dialog einbinden.

Auch wenn die FDP der Union program­ma­tisch näher­steht, hätte sie in einer Ampel-Koali­tion mehr Profi­lie­rungs­chancen. Ihr klima­po­li­ti­sches Wahl­pro­gramm sieht einen markt­wirt­schaft­li­chen Instru­men­tenmix aus Emis­si­ons­handel, CO2-Beprei­sung und eine Ener­gie­steu­er­re­form vor. Aller­dings vernach­läs­sigt die FDP stark gesell­schaft­liche und struk­tu­relle Ände­rungen, die sich aus der Umset­zung ergeben. Der Umbau von etwa Mobi­li­täts- oder Gebäu­de­sektor bedarf milli­ar­den­schwerer staat­li­cher Inves­ti­tionen, die markt­wirt­schaft­liche Instru­mente nach Einschät­zung von Südekum allein nicht umsetzen können. Die FDP will weder Steuern erheben noch die Schul­den­bremse aufwei­chen. Die Finan­zie­rung der klima­po­li­ti­schen Maßnahmen soll deshalb vor allem durch wirt­schaft­liche Inno­va­tionen und tech­no­lo­gi­sche Entwick­lungen markt­wirt­schaft­lich erfolgen.

Kommt am Ende doch die Große Koali­tion?

In mögli­chen Koali­ti­ons­ver­hand­lungen müssen Bündnis 90/​Die Grünen und FDP ihre Kern­themen schützen. Trotz der klima­po­li­ti­schen Nähe der Grünen zur SPD und der FDP zur CDU, zeigt die unter­schied­liche klima­po­li­ti­sche Profi­lie­rung: In den Vorson­die­rungen müssen program­ma­ti­sche und ideo­lo­gi­sche Kompro­misse einge­gangen werden, wenn Koali­ti­ons­ge­spräche mit den großen Parteien über­haupt gelingen sollen. Die unter­schied­li­chen Maßnahmen, die die Grünen und die FDP einsetzen wollen und die Gewich­tung, die sie sektoren­über­grei­fend gesell­schaft­li­cher und struk­tu­reller Verän­de­rung beimessen, wird Dreh­punkt der Vorson­die­rungen sein. Die mögliche Regie­rungs­ko­ali­tion wird maßgeb­lich davon abhängen, ob sich Bündnis 90/​Die Grünen und FDP auf eine gemein­same Stra­tegie einigen können – und auch die große Koali­ti­ons­part­nerin diesen Weg mitgehen kann. Denn rech­ne­risch ist weiterhin eine große Koali­tion möglich. Die Gespräche für Jamaika und/​oder Ampel sind also keine Selbst­läufer.


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