Es schmeckt mit Impro­vi­sa­tion

Datum
10. Oktober 2018
Autor*in
Katharina Petry
Redaktion
politikorange
Thema
#JMT18
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Junge Medi­en­ma­chende haben sich auf eine kuli­na­ri­sche Stadt­tour durch Bremen begeben. Katha­rina Petry hat sie begleitet und inter­es­sante Eindrücke gesam­melt.

 Wenn es in Bremen um die Wurst geht, dann teilen sich die Meinungen der Einhei­mi­schen. Die einen mögen lieber Kiefert, die anderen Stock­hinger, das war schon immer so. Davon ist zumin­dest der Stadt­führer Pierre Demirel über­zeugt. Die beiden Brat­wurst­stände, die es in Bremen über Gene­ra­tionen hinweg gibt, stehen sich in der Bremer Altstadt gegen­über. Es liegen viel­leicht 15 Meter zwischen ihnen. Ein echter Bremer entscheidet sich für eine Seite“ sagt Demirel. Auch die Brat­wurst­be­treiber wissen, wer zu ihnen gehört und wer nicht. Kunden von der Konkur­renz wurden früher sofort verjagt.“ Das Amüsante daran, das auch nicht jeder Bremer weiß: In Wahr­heit beziehen beide Wurst­stände ihr Brät vom glei­chen Metzger“, weiß Demirel. Zu 95 Prozent seien die Würste gleich.

Impro­vi­sa­tion ist Trumpf

Demirel, der ursprüng­lich aus Nieder­sachsen kommt, kennt viele solche Geschichten über Bremen. Regel­mäßig bringt er Inter­es­sierten die kleine Hanse­stadt mit kuli­na­ri­schen Stadt­touren durch ihre Gassen näher. Dass Bremen ein Nehmer­land“ sei, daraus macht Demirel bei seinen Stadt­touren kein Geheimnis. Wir beziehen durch den Finanz­aus­gleich Gelder aus den reichen Bundes­län­dern. Hessen, Bayern, Baden-Würt­tem­berg.“ Was der Bremer gut könne, sei impro­vi­sieren – aus Nichts etwas Gutes machen. Das beste Beispiel ist für Demirel das Bremer Kaffee­brot: Zwie­back, getunkt in kalten Kaffee, gezu­ckert, getrocknet, fertig. In seinen kuli­na­ri­schen Stadt­touren steuert Demirel deswegen immer auf das Café Knigge zu, um das Gebäck zu probieren. Denn es ist ein tradi­ti­ons­rei­cher Ort. So wurde das Café nach Adolf Knigge benannt, der den Umgang am Tisch maßgeb­lich prägte. Wer bei Kaffee und Kuchen plau­schen möchte, der ist im Café Knigge genau richtig. Die Mitar­bei­tenden lächeln jedem freund­lich zu. Die Wände sind mit viel Gold verziert. Beinahe banal wirkt der Kaffee­zwie­back, unscheinbar, zu einfach. Genau diese Einfach­heit punktet aber, wie Demirel verrät, denn der Kaffe­zwie­back wird heute sogar abge­packt verkauft.

Wer in Bremen ist, kommt bei keiner Stadt­tour an den Bremer Stadt­mu­si­kanten vorbei, die das Grimm­sche Märchen vom Esel erzählen, der von seinem Hof vertrieben wird und sich mit Hund, Katze und Hahn zusam­men­rottet, um in Bremen durch die Musik der Nutz­lo­sig­keit zu entgehen. Heute stehen die vier Tiere als Statue am Rande des Markt­platzes, Hund auf Esel, Katze auf Hund, der Hahn oben daruf, den Schnabel weit aufge­rissen, als ob er laut krakeelen möchte. Touristen erwarten die Statue meist größer und spek­ta­ku­lärer“, sagt Pierre. Die wahre Größe stecke aber hinter der Aussage der Statue: Pierre holt tief Luft und schreit es aus sich heraus: Gemeinsam sind wir stark, auch in schlechten Zeiten. Der Bremer kenne sich eben aus beim Impro­vi­sieren. Eine Schlange hat sich bereits vor den vier Tieren gebildet, alle möchten mit dem Wahr­zei­chen der Stadt foto­gra­fiert werden. Schaut her, so macht man es richtig: beide Hände fest um die Beine des Esels. Und sich dann etwas wünschen“, sagt Pierre. Die Stelle um die Beine des Esels ist bereits ganz hell, weil so viele Hände bereits dieses Ritual voll­zogen haben.

Berühmter Kaffee-Mix“ aus Bremen

Vom Märchen in eine andere zauber­hafte Welt sind es nur wenige Schritte über den Markt­platz bis zur Bött­cher­straße. Verwech­selt niemals die Bött­cher­straße mit der Bött­cher­gasse, sonst landet ihr in Nieder­sachsen“, ermahnt Demirel. Mit Kopf­stein gepflas­tert und Back­stein bebaut, schlän­gelt sich die kleine Straße dahin. Hier eine Kneipe, da ein Laden voller Süßig­keiten. Und weil man sich in Bremen kennt, geht Demirel bei seinen Stadt­touren auch schnell mal rein und kommt mit einer Hand­voll Bonbons heraus, die wie er den Teil­neh­menden seiner Touren beibringt, auf Bremisch Bonsch genannt werden. Und wenn wir schon einmal hier sind, so denkt Pierre viel­leicht, zeige ich ihnen gleich noch das Glocken­spiel mit 30 Meißener Porzel­lan­glo­cken. Sie sind der Grund, weshalb sich in der Bött­cher­straße zur vollen Stunde auffällig viele Menschen tummeln. Auf einmal geht Pierre in die Knie, verrenkt sich und zückt sein Smart­phone. Wundert euch nicht, wenn ihr hier Leute seht, die so dastehen“. Er nennt es Touris­ten­pose für Menschen, die das Glocken­spiel durch ihre Displays heran­zoomen. Darauf erst einmal einen Kaffee. Laut Demirel ist die Hanse­stadt auch dafür berühmt. Es gibt die bekannte Bremer Mischung“, die beispiels­weise in Büch­lers beste Bohne“ ange­boten wird. Auch hier gilt das Motto sparen“. Der Kaffee komme aus Vietnam und Brasi­lien, den Haupt­ex­port­län­dern des Kaffees. Wenn wir die Sorten mischen passiert das weniger aus Geschmacks­gründen, sondern aus Kosten­gründen“, sagt der Inhaber von Büch­lers bester Bohne“. Geschmack entstehe so oder so erst beim Mahlen. Den Touristen ruft er daher zu: Kauft euren Kaffee bei regio­nalen Händ­lern, die gibt es überall!“

Es geht die Bött­cher­straße hinauf, eine massive Stei­gung für Bremen: Ganze 16 Höhen­meter hat die Stadt laut Demirel zu bieten. Am höchsten Punkt steht die Unser Lieben Frauen-Kirche. Man müsse das Heilige schließ­lich vor den Fluten schützen und sich auf die Gipfel retten sagt er, mit einem eindeu­tigen Augen­zwin­kern. An der Ecke zur Bött­cher­straße steht ein Akkor­de­on­spieler, der stimmt auf alte Tradi­tionen ein, die man auch im Rats­keller findet. Es Zeit für das Finale der kuli­na­ri­schen Tour: Zeit für etwas Deftiges: Der Rats­keller liegt unter der Erde. Eine breite Treppe führt hinab in die tradi­ti­ons­rei­chen Räum­lich­keiten. Auf den Tischen steht je eine rote Rose, das Licht ist gedimmt. An den Tischen des Restau­rant sitzen Gäste aus aller Welt, die sich an der origi­nalen Küche Bremens versu­chen möchten. Sehr beliebt ist das Labs­kaus, ein Mix aus Kartof­fel­pürree und Rind­fleisch, daneben getreu der Hanse­stadt ein Stück Roll­mops. Das Feed­back der schwierig auszu­spre­chenden Speise: Schmeckt besser als es aussieht. Ein Resteessen sei der Labs­kaus, aus Zeiten, in denen es nichts anderes gab.“ Impro­vi­sieren, wenn die Situa­tion nichts hergibt, eben typisch Bremen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Koope­ra­tion zwischen der Jugend­presse Deutsch­land und dem Verein Eed be Eed (“Hand in Hand”) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Print­aus­gabe des Weser-Kuriers.


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