Es fehlt das persön­liche Beschnup­pern“

Datum
06. Mai 2021
Autor*in
Laura Seime
Redaktion
politikorange
Themen
#JPT21 #Leben
Foto2_Jugendpresse Deutschland_ Finja.Pollen

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Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ehren­ämter aus? Werden wir von unserem Enga­ge­ment entwöhnt? Redak­teurin Laura hat mit Jan Holze, dem Vorstands­vor­sit­zenden der Deut­schen Stif­tung für Ehrenamt und Enga­ge­ment, gespro­chen.

poli­ti­ko­range: Herr Holze, als Vorstands­vor­sit­zender der Deut­schen Stif­tung für Ehrenamt und Enga­ge­ment setzen Sie sich für Ehren­amt­liche und Enga­gierte in Deutsch­land ein. Vor welchen Heraus­for­de­rungen stehen Vereine und Verbände seit Beginn der Corona-Pandemie?

Jan Holze: Viele sind ihren Vereinen treu geblieben. Es gibt eine starke Soli­da­rität in der Zivil­ge­sell­schaft. Jedoch kommen derzeit weniger neue Enga­gierte und Mitglieder*innen hinzu.

Woran liegt das?

Zwei wesent­liche Methoden für die Nach­wuchs­ge­win­nung sind die direkte Ansprache und das persön­liche Zusam­men­kommen auf Veran­stal­tungen, wie Ehrenamt-Messen. Beides findet aktuell nicht statt. Das hat gravie­rende Auswir­kungen auf die Vereine und Verbände.

Zu Beginn der Pandemie wollten viele Menschen helfen und sich enga­gieren. Zeigte sich das auch in den Vereinen?

Viele wollten in kurz­fris­tigen Enga­ge­ments unter­stüt­zend tätig sein, um die Heraus­for­de­rungen, die sich mit Corona ergeben, zu meis­tern: Ich denke da zum Beispiel an Einkaufs­hilfen und Nach­bar­schafts­in­itia­tiven. Dort war das Angebot tatsäch­lich größer als die Nach­frage.

Was aber lang­fristig unsere Vereins­land­schaft prägt, sind Menschen, die konti­nu­ier­lich unter­stützen: Vorstands­mit­glieder, Schiedsrichter*innen, Trainer*innen und Chorleiter*innen. Da sie ihr Enga­ge­ment nicht mehr dauer­haft ausüben können – quasi entwöhnt“ werden – und auch keine neuen Enga­gierten hinzu­ge­winnen können, verän­dern sich die Struk­turen lang­fristig. Man merkt, dass das Aufein­an­der­treffen fehlt: Gespräche und das persön­liche Beschnup­pern. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Wir müssen sicher­stellen, dass die Vereins­land­schaft so bunt und viel­fältig bleibt, wie wir sie vor Corona kannten.

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Die Stiftungsgelder unterstützen die Vielfältigkeit der ehrenamtlichen Strukturen im ländlichen Raum. Foto: Jugendpresse Deutschland/ Finja Pollen

Wie unter­stützen Sie die Menschen in den Vereinen und Verbänden?

Zum einen durch ganz konkrete Hilfe­stel­lungen, damit sie den Vereins­be­trieb unter den aktu­ellen Gege­ben­heiten am Laufen halten können. Wir halten sie in ihren Themen fit, denn eine Steu­er­erklä­rung für einen Verein muss weiterhin abge­geben und eine Mitglie­der­ver­samm­lung durch­ge­führt werden.

Darüber hinaus helfen wir finan­ziell, damit nach Corona die Struk­turen wieder in Gang kommen. Damit die Menschen – insbe­son­dere Kinder und Jugend­liche – sich wieder treffen können. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel zusammen mit dem Haus des Stif­tens das Digital-Camp aufge­legt, das 11.500 Teilnehmer*innen hatte. Wir wollen mit konkreten Veran­stal­tungen die Menschen zuein­ander bringen und vor allem auch Aner­ken­nung für das Mittragen der Heraus­for­de­rungen der letzten Monate vermit­teln.

Welche Rolle spielen Jugend­liche und junge Erwach­sene im Ehrenamt?

Wir erleben zurzeit eine Umkehr: Früher waren es eher die älteren Menschen, die wussten, wie Dinge funk­tio­nieren und dieses Wissen weiter­gaben. Jetzt sind jüngere Menschen aufgrund ihrer digi­talen Affi­nität gefragter. Für sie ist das Einrichten einer digi­talen Konfe­renz weniger eine Heraus­for­de­rung, als für Menschen, die sich im Bereich der Digi­ta­li­sie­rung noch nicht so gut auskennen. Inso­fern erfahren junge Menschen für das Einbringen ihrer Ideen mehr Wert­schät­zung. Die Vereine und Verbände müssen lang­fristig Wege finden, damit sie bleiben und dieses Poten­tial nach der Pandemie nicht verloren geht.

Wie erfahren junge Ehren­amt­liche und Inter­es­sierte von den Ange­boten der Stif­tung?

Wir wollen nicht in Neustre­litz warten, bis Enga­gierte mit ihren Fragen anrufen, sondern uns ganz konkret in den Lebens­welten der jungen Menschen bewegen. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, uns eine Stra­tegie für TikTok zu über­legen. Auf den Platt­formen Face­book, Insta­gram, Twitter und LinkedIn sind wir schon präsent und infor­mieren digital über die Vorhaben der Stif­tung. Aber natür­lich kann man mich auch anrufen, um Hinweise und Anre­gungen zu unserer Arbeit zu geben.

Ihre Stif­tung hat im letzten Jahr mehr als 20 Millionen Euro an über 1.800 Orga­ni­sa­tionen und Vereine in der Bundes­re­pu­blik ausge­zahlt. Wie viel ging in den länd­li­chen Raum?

Zwei Drittel der Mittel gingen in den länd­li­chen Raum. Das freut uns natür­lich! Einer­seits, weil dort neben der Digi­ta­li­sie­rung und der Nach­wuchs­ge­win­nung ein beson­derer Stif­tungs­auf­trag liegt. Ande­rer­seits zeigt es den Bedarf, den der länd­liche Raum aufweist. An diesem Schwer­punkt wollen wir in unserer Arbeit fest­halten.

Was hat sich denn im länd­li­chen Raum gerade in Pande­mie­zeiten getan?

Wir haben in der Gesell­schaft die Erkenntnis gewonnen, dass der länd­liche Raum seine Vorzüge hat, was Bewe­gungs­frei­heiten, Raum und Luft angeht. Gerade dort braucht es gute Stra­te­gien, um das konkrete Leben der dort lebenden Menschen viel­fältig und attraktiv zu gestalten. Letzt­lich trägt es dazu bei, dass sie sich im länd­li­chen Raum wohl­fühlen – vor allem junge Menschen. Die wollen natür­lich, dass dort eine leben­dige Vereins­land­schaft ist und nicht nur ihr Wohnort oder Arbeits­platz.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ehrenamt auf einen Blick:

  • in Deutsch­land enga­gieren sich rund 31 Millionen Menschen in ihrer Frei­zeit für das Gemein­wohl
  • knapp die Hälfte aller 30 – 49-Jährigen enga­giert sich, bei den 14- bis 29-Jährigen sind es 42 Prozent
  • in allen Alters­gruppen hat der Anteil der frei­willig Enga­gierten seit dem Jahr 1999 zuge­nommen
  • die meisten Menschen enga­gieren sich in Sport, Kultur und im sozialen Bereich
  • mehr als jeder zweite Ehren­amt­liche verwendet das Internet für seine Arbeit


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