Ein neues Level an Nieder­lage“

Datum
11. September 2024
Autor*in
Christian Lütgens
Redaktion
Jugendpresse Deutschland
Themen
#LTWS #Wahlen
Wahlparty der Linken am Wahlabend der Sächsischen Landtagswahl. Foto: Jasper Kortmann

Wahlparty der Linken am Wahlabend der Sächsischen Landtagswahl. Foto: Jasper Kortmann

Foto: Jasper Kortmann

Die Linke gewinnt in Sachsen nur 4,5 Prozent der Stimmen. Für Landes­chef Stefan Hart­mannn reicht es am Wahl­abend nicht mal für ein Lächeln. Was ist da los?

Zeit­geist“ steht in großen grünen Buch­staben über dem Eingang des Dresdner Hauses der Begeg­nung. Drinnen feiert an diesem 1. September eine Partei ihre Wahl­party, die vom Zeit­geist kaum entfernter sein könnte: die Linke.

Das Haus der Begeg­nung ist nicht groß. Aber die Wände sind hoch und voller hölzerner Regale. Bis zur Decke stapeln sich Bücher und unzäh­liger Krempel: gelbe Bade­ent­chen, drei­ar­mige Kerzen­leuchter, eine Puppe in lila­far­benem Kleid, eine Gitarre. An der Decke hängt eine Disko­kugel, an der Wand ein Gemälde von Maria und Jesus.

Das Büfett nimmt fast die Hälfte des Raumes ein. Es gibt Mett­schwein, Kartof­fel­gratin und eine Obst­platte mit Feigen und Wasser­me­lone. Daneben: vier lange Tische mit blauen Stühlen. Im klei­neren Nach­bar­raum ist eine Bar. Ein Barmann reicht Bier­krüge über einen Holz­tresen. Kurz vor 18 Uhr wird es voller, Menschen in Leinen­hosen und bunten Shirts schmieren die ersten Mett­bröt­chen.

Betre­tene Gesichter nach den Hoch­rech­nungen

Dazwi­schen steht Stefan Hart­mann, Landes­vor­sit­zender der Linken in Sachsen. Er trägt Brille, ein blaues Sakko und weißes Hemd darunter, dazu Jeans. Noch fünf Minuten, bis die ersten Hoch­rech­nungen da sind. Mir geht es scheiße“, sagt Hart­mann. Er werde einfach lächeln und winken“.

Während­dessen versam­meln sich die Partei­mit­glieder in der Mitte des Raumes. Zwischen Büfett und Tischen können sie die Lein­wand mit den Hoch­rech­nungen am besten sehen – zur Hälfte wird sie von einem Partei­banner verdeckt. Durch und durch sozial“, steht da.

Die Video­über­tra­gung der Hoch­rech­nungen stockt immer wieder. Im entschei­denden Moment aber ist sie ganz klar: Die Linke bleibt unter fünf Prozent. Stille. Nicht mal ein Seufzen. Betre­tene Gesichter starren auf die Lein­wand.

Dann tritt Stefan Hart­mann auf die Bühne. Er lächelt nicht. Die Linke hat ihre Stärke im Osten verloren“, sagt er.

Stefan Hartmann, Landesvorsitzender Die Linke Sachsen.

Stefan Hartmann, Landesvorsitzender Die Linke Sachsen.

Foto: Jugendpresse Deutschland / Jasper Kortmann

Was bedeutet das Ergebnis?

Damit ein kleiner Sprung einen Tag zurück. Spontan einge­rich­tete poli­ti­ko­range-Wahl­re­dak­tion, Dresdner Neustadt, 28 Grad. Die Klima­an­lage ist direkt auf Hart­mann gerichtet, damit er nicht zu sehr schwitzt.

poli­ti­ko­range: Was würde ein Auszug aus dem Landtag für Sie bedeuten?

Hart­mann: Für die Partei wäre das ein neues Level der Nieder­lage. Es wäre eine extreme Heraus­for­de­rung, von einer solchen geschwächten Basis aus weiter eine gesell­schafts­po­li­tisch rele­vante Kraft zu sein. Für mich wäre es drama­tisch, dabei in Verant­wor­tung für eine Partei zu sein, deren Geschichte so weit zurück­geht.

poli­ti­ko­range: Haben Sie eine Erklä­rung für die wenigen Stimmen?

Hart­mann: (zuckt mit den Schul­tern.) Wenn ich eine schlüs­sige Erklä­rung hätte, hätte ich mich in den letzten Wochen nicht darum geküm­mert, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Ein paar Vermu­tungen habe ich aber schon. Seit mindes­tens 2021 haben wir eine Gruppe, die sich dann im letzten Jahr abge­spalten hat. Partei­in­tern wurden wir enorm unter Druck gesetzt. Es hieß, wir würden keine vernünf­tige Frie­dens­po­litik machen, oder wir würden nicht mehr für die arbei­tende Bevöl­ke­rung einstehen. Das hat uns als Partei insge­samt geschwächt. Zumal eine der Figuren, die das gemacht hat, zu den wenigen gehörte, die wir uns in den letzten Jahr­zehnten als öffent­lich Bekannte erar­beiten konnten.

poli­ti­ko­range: Sie meinen Sahra Wagen­knecht.

Hart­mann: Ja.

poli­ti­ko­range: Wäre eine Zusam­men­ar­beit mit dem BSW für Sie eine Option?

Hart­mann: Eine Partei, die gewählt wird, hat immer die Aufgabe, im Rahmen ihres Programms Entschei­dungen für die Leute zu treffen. Ich persön­lich schließe eine Zusam­men­ar­beit aus. Man kann nicht vernünftig mit Leuten zusam­men­ar­beiten, die alles daran gesetzt haben, unsere Vertrau­ens­wür­dig­keit zu unter­graben.

Wie umgehen mit menschen­feind­li­chem Extre­mismus?

Im Haus der Begeg­nung flim­mert derweil Björn Höcke über die Lein­wand. Die Linken murmeln. Ein Mann mit gräu­lich-schwarzem Voll­bart legt sein Baguette zurück auf den Teller. Warum wird der denn jetzt als Erstes gezeigt?“, ruft er. Das sind doch alles Faschisten!“

poli­ti­ko­range: Was ist Ihre Stra­tegie gegen menschen­feind­li­chen Extre­mismus, Herr Hart­mann?

Hart­mann: Nazis sind für mich nicht Konkur­renz, Nazis sind der Feind. Menschen­feind­li­chen Extre­misten darf niemals auch nur ein Fitzel­chen Macht in die Hände gegeben werden. Wichtig ist, dass die wenigen Orte zivil­ge­sell­schaft­li­cher Kultur und Jugend­kultur nicht geschlossen werden. Dann gäbe es eine kultu­relle Domi­nanz der extrem rechten Menschen­feinde.

poli­ti­ko­range: Wie soll es nach diesem Wahl­er­gebnis weiter­gehen?

Hart­mann: Wir brau­chen eine stra­te­gisch-program­ma­ti­sche Neuauf­stel­lung. Wir sind in Sachsen über 6.300 Mitglieder und in den letzten Monaten sogar wieder gewachsen. Aber in den Entschei­dungs­struk­turen sind wir immer noch aufge­stellt wie vor 20 Jahren.

Der Abend muss weiter­gehen

Kurz nach den ersten Hoch­rech­nungen werden die Mitglieder wieder lauter im Haus der Begeg­nung. Die Linke erreicht nur 4,5 Prozent der Stimmen. Doch zwei Direkt­man­date in Leipzig sichern ihnen den Einzug in den säch­si­schen Landtag.

Menschen beginnen Gespräche, essen Kartof­fel­gratin, trinken Bier. Was hier denn los sei, fragt ein Mann vor der Tür. Als er die Antwort erfährt, sagt er: Ich weiß gar nicht, wie man da ne Party feiern kann.“


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