Ein Anzei­gen­blatt macht AfD-Werbung

Datum
24. September 2021
Autor*in
Lucie Keller
Redaktion
politikorange
Themen
#BTW21 #Medien
Vorschau_Gera_Christopher Folz

Vorschau_Gera_Christopher Folz

Jugendpresse Deutschland e. V./Christopher Folz

Hohe Auflage, viele AfD-Anzeigen und in den Texten eine Nähe zu Posi­tionen der Rechtspopulist*innen – Lucie Keller beschreibt das Geschäfts­mo­dell des Anzei­gen­blatts Neues Gera“.

Aufmacher_Gera_Christopher Folz

Für seine Berichterstattung erhält das Anzeigenblatt Gegenwind. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Die 31-jährige Katja Schmidt (Name geän­dert) biegt mit ihrem roten Honda auf die schmale Auffahrt vor ihrer Haus­hälfte. Nur noch schnell die Post aus dem Brief­kasten nehmen, endlich ist Wochen­ende. Es ist Frei­tag­nach­mittag in Gera, der mit knapp 100.000 Einwohner*innen dritt­größten Stadt Thürin­gens. Aus der Zeitungs­rolle lugt sie schon: Neues Gera“, das kosten­lose Anzei­gen­blatt in der Stadt. Auf den ersten Blick sieht es aus, wie jedes andere: Wochen­zei­tung für das Geraer Land. Mit wich­tigen Bekannt­ma­chungen aus der Stadt“, so heißt es auf dem Titel. Doch diese Zeitung ist nicht wie andere: Das ist nur rechte Hetze“, sagt Katja, Kein Wunder, dass hier alle die AfD wählen“ – und entsorgt das Blatt unge­lesen im Papier­müll.

Es stimmt, in Thüringen wird die AfD gewählt, bei der letzten Land­tags­wahl erzielte die Partei 22 Prozent. Aktu­elle Umfragen prognos­ti­zieren für die Bundes­tags­wahl ein ähnli­ches Ergebnis – damit wäre sie die stärkste Partei. Und sie hat die Chance, erst­mals in Thüringen Direkt­man­date zu gewinnen. So auch hier, im Wahl­kreis Gera. Der AfD-Kandidat, Stephan Brander, wird dem soge­nannten Flügel“ zuge­ordnet, der formal aufge­löst wurde, weil er als rechts­extre­mis­tisch gilt – ebenso der gesamte Thüringer AfD Landes­ver­band. Laut Verfas­sungs­schutz liegen Bestre­bungen gegen die frei­heit­liche demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung vor“. Und trotzdem: Ist man vor Ort, sind die hohen Zustim­mungs­werte der AfD wenig über­ra­schend“, findet ein Vertreter vom Akti­ons­bündnis Gera gegen Rechts. Hier ist die AfD in der Mitte der Gesell­schaft ange­kommen und salon­fähig geworden“. Beschrei­bungen, die oft verwendet werden und ohne Kontext doch abstrakt daher kommen. Das Beispiel der Neuen Gera kann aufzeigen, wie rechte Struk­turen verlaufen und sich der Kampf dagegen gestalten lässt.

Aufla­gen­starkes Anzei­gen­blatt für fast alle Haus­halte

Wie Katja finden 56.700 weitere Haus­halte jeden Freitag das Anzei­gen­blatt Neues Gera“ in ihren Brief­kästen. Was sie dort zu lesen bekommen? Zwischen lokal­ty­pi­schen Berichten vom Feuer­wehr­verein und Unter­neh­mens­ju­bi­läum gibt es Inhalte, die klar der Neuen Rechten zu zuordnen sind und eine unüber­seh­bare Nähe“ zur AfD haben, wie ein Gutachten des KomRex“, dem Zentrum für Rechts­extre­mismus, Demo­kra­tie­bil­dung und gesell­schaft­liche Inte­gra­tion der Fried­rich-Schiller-Univer­sität Jena fest­stellt.

In Neues Gera“ kommen unter der Rubrik Aus fremden Federn“ Publi­zisten der extremen Rechten wie Vera Lengs­feld und Hans-Georg Maaßen zu Wort. Auch Artikel, die zuvor in der Jungen Frei­heit, dem tumult-Magazin oder die Kehre“ erschienen sind, werden hier abge­druckt.“ Alle­samt Zeit­schriften, die in das Spek­trum der Neuen Rechten fallen oder in denen häufig Autor*innen publi­zieren, die der Neuen Rechten zuge­rechnet werden“, sagt Kom-Rex-Geschäfts­führer Dr. Michelsen.

Verant­wort­lich für die Zeitung ist Dr. Harald Frank, Inhaber der Dr. Frank Verlag GmbH und Stadt­rats­vor­sit­zender der stärksten AfD-Frak­tion in Gera. Seine Doppel­rolle als Partei­funk­tionär und Inhaber des Blattes wird nicht kennt­lich gemacht. Zudem verfasst er als Redak­teur eigene Beiträge. In Zeiten des Wahl­kampfs wird dies beson­ders deut­lich: In der Ausgabe vom 20.08.2021 finden sich auf vier­zehn Seiten, sechs AfD-Werbe­an­zeigen, drei davon direkt für den derzei­tigen Stadt­rats­kol­legen von Dr. Frank – AfD-Direkt­kan­didat Stephan Brandner. Auch ein Auszug aus dem AfD-Bundes­tags­wahl­pro­gramm gibt es dort. Das Anzei­gen­blatt äußert sich auf Anfrage nicht zu den Inhalten des Gutach­tens.

Doch es geht um mehr als die abge­druckten Anzeigen, erklärt Dr. Michelsen. Auch in den meisten poli­ti­schen Kommen­taren, unter denen das Partei­logo nicht auftaucht, fällt eine ideo­lo­gi­sche Nähe zur AfD auf.“ Wie diese Ideo­logie genau aussieht, zeigt das Gutachten: Inhalte seien teil­weise geschichts­re­vi­so­nis­tisch, verschwö­rungs­theo­re­tisch, isla­mo­phob und frem­den­feind­lich, Kommen­tare bewegten sich zwischen Natio­nal­kon­ser­va­tismus und Rechts­po­pu­lismus“.

Die unter­schwel­lige Beein­flus­sung ist für den Vertreter des Akti­ons­bündnis Gera gegen Rechts die größte Gefahr: Wir reden nicht über den Adressat Partei­mit­glied der AfD, sondern über Lies­chen Müller, die möglichst nicht merken soll, dass die AfD hinter dem Blatt steht.“ Dazu trage auch der seriöse Anstrich, als Deck­män­tel­chen“, des Blattes bei. Noch bis 2019 wurde das offi­zi­elle Amts­blatt der Stadt der Neuen Gera beigelegt. Anfang des Jahres gab es auf Antrag der AfD-Frak­tion unter Dr. Harald Frank eine neue Ausschrei­bung, für die – wenig über­ra­schend – Neues Gera den Zuschlag erhalten sollte. Das Akti­ons­bündnis Gera gegen Rechts konnte dies vorerst verhin­dern. Doch ihr Enga­ge­ment blieb nicht ohne Gegen­wind. Nachdem das Bündnis groß­flä­chig Anzei­gen­steller kontak­tierte und sie über das Blatt aufklärte, veröf­fent­lichte Harald Frank ein State­ment in der Neuen Gera und konnte 87 Unternehmer*innen hinter sich versam­meln, die sich nament­lich für ihn posi­tio­nierten (Quelle: Ausgabe vom 16.04.2021). Der Poli­tik­wis­sen­schaftler Dr. Michelsen zeigt sich hiervon über­rascht und sieht die Rücken­de­ckung der Unternehmer*innen als Indiz dafür, wie stark der Rück­halt für die AfD auch inner­halb der lokalen Unter­neh­mer­schaft zu sein scheint. Unternehmer*innen gehen mit einer solchen klaren poli­ti­schen Unter­stüt­zungs­er­klä­rung ja immer auch ein gewisses wirt­schaft­li­ches Risiko ein. Ange­sichts der sehr guten Wahl­er­geb­nisse für die AfD in Gera wird dieses Risiko aber offenbar als sehr gering einge­schätzt.“

Eine mögliche Blau­pause auch für andere Gemeinden

Alter­na­tive bietet die kosten­pflich­tige Ostthü­ringer Zeitung, die in der gesamten Region nur auf eine Auflage von 70.000 kommt. Anzeigen zu schalten, ist dort jedoch deut­lich teurer, womit der Neuen Gera eine Mono­pol­stel­lung in der Region zukommt. Damit wird auch die Trag­weite der Situa­tion deut­lich: Das Problem Neues Gera“, ist deshalb kein Gera-Problem, weil es, wenn es erfolg­reich ist, die Blau­pause sein kann für ganz viele Gemeinden. Das ist unsere größte Sorge“, erklärt der Vertreter vom Akti­ons­bündnis.

Wie genau sich die Neue Gera auf die Bevöl­ke­rung oder gar ihr Wahl­ver­halten auswirkt, lässt sich nicht genau sagen. Aller­dings: Die Inhalte der Neuen Gera werden mir irgend­wann logi­scher vorkommen“, meint der Vertreter des Akti­ons­bündnis. Ob Neues Gera demnach ein AfD-Instru­ment ist? Zumin­dest wird es als AfD-Instru­ment genutzt und wir konnten beob­achten, wie das in den vergan­genen Jahren immer stärker zuge­nommen hat”, sagt ein Vertreter vom Akti­ons­bündis. Der Jenaer Wissen­schaftler Dr. Michelsen diffe­ren­ziert, dass es sich um ein Instru­ment von Herrn Frank und dessen poli­ti­sche Absichten handelt.

Will man die Zustim­mung zur AfD und ihr Wirken vor Ort verstehen, lohnt es sich allemal genauer hinzu­schauen – nicht nur kurz­fristig zu Wahlen und Umfragen. Auf Katjas Brief­kasten klebt nun jeden­falls lang­fristig ein Aufkleber vom Akti­ons­bündnis: Neues Gera – Nein Danke“. Dr. Harald Frank hat vergeb­lich versucht mit Unter­las­sungs­klagen gegen die Sticker vorzu­gehen. Katja wirft noch einen Sticker bei ihren Nach­barn ein.


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