Ehe für Alle: Wahl­tak­tiker oder Über­zeu­gungs­täter

Datum
14. August 2017
Autor*in
Charline Lelgemann
Redaktion
politikorange
Thema
#poBTW17
Schnecke

Schnecke

Ende Juni 2017 wurde die Ehe für alle” im Bundestag verab­schiedet. Trotz jahre­langem Quer­stellen geht die CDU als Gewinner in die Sommer­pause. Die SPD sucht nun wieder ein starkes Wahl­kampf­thema, um nicht unter 20 Prozent zu fallen. Eine Analyse von Char­line Lelge­mann.

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Das Rollenverständnis der klassischen deutschen Familie wandelt sich in den nächsten Jahren offiziell. Foto: politikorange

Mit der letzten Sitzungs­woche des 18. Deut­schen Bundes­tags sollte die Legis­la­tur­pe­riode der Großen Koali­tion gesittet ausklingen und der Wahl­kampf langsam einge­läutet werden. Das schei­terte, da die Regie­rungs­ko­ali­tion ist zerbro­chen, der Wahl­kampf hat an Fahrt verloren. Mit großer Mehr­heit wurde ein Antrag, der bisher 30 Mal vertagt wurde, verab­schiedet: die Öffnung der Ehe für gleich­ge­schlecht­liche Paare. Ein Thema, welches jahre­lang die Politik pola­ri­siert und die Bevöl­ke­rung poli­ti­siert hatte. Jeder hatte eine Meinung dazu. Es wurde in der Öffent­lich­keit kontro­vers disku­tiert – in Talk­shows, im Plenum des Bundes­tags, beim Stamm­tisch und gar beim Fami­li­en­essen. SPD profi­tiert vom Kontra der CDU Daher war es nicht über­ra­schend, dass bei den Parteien des linken Spek­trums das Thema in ihren Wahl­pro­grammen zur Bundes­tags­wahl steht. Beson­ders vorteil­haft war das für die SPD, da die beiden Volks­par­teien CDU und SPD bei der Ehe für alle” unter­schied­liche Auffas­sungen vertreten. Die CDU und ihre Bundes­kanz­lerin Angela Merkel (CDU) vertreten den festen Stand­punkt, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden sollte. Nicht jeder Unions­ab­ge­ord­nete folgt jedoch dem. Der parla­men­ta­ri­sche Staats­se­kretär für Finanzen Jens Spahn (CDU) oder der baden-würt­tem­ber­gi­sche Bildungs­po­li­tiker Stefan Kauf­mann (CDU) kämpften für die Ehe für alle” seit Jahren. Die CDU-Abge­ord­nete sind Mitglieder der Wilden 13”. Diese Initia­tive, bei der früher nur 13 Unions­ab­ge­ord­nete waren, setzte sich für die steu­er­liche Gleich­stel­lung einge­tra­gener Lebens­part­ner­schaften ein. Daher muss man präziser formu­lieren: Erstens Merkels Bauch­ge­fühl, dass eine Öffnung der Ehe schlecht sei, und zwei­tens das Wissen der Union, dass nach der Abschaf­fung der Wehr­pflicht, das Umdenken in der Kern­energie und die Einfüh­rung des gesetz­li­chen Mindest­lohns ein weiterer konser­va­tiver Wert verloren ginge, verhin­derte seit Langem eine Abstim­mung. Wahl­kampf auf Hoch­touren  Da im Koali­ti­ons­ver­trag zwischen CDU/CSU und SPD verein­bart ist, immer gemeinsam abzu­stimmen, musste die SPD fast vier Jahre abwarten. Nun steht jedoch die nächste Bundes­tags­wahl an. Es war nicht in Sicht, dass die Union in dieser Legis­la­tur­pe­riode noch die Abstim­mung frei­ge­geben würde. So entschloss sich der Kanz­ler­kan­didat Martin Schulz (SPD) die Ehe für alle” als Bedin­gung für das Eintreten in eine Regie­rungs­ko­ali­tion zu stellen. Er folgte damit den Grünen, die das eine Woche früher bereits taten. Schulz Inten­tion war es wohl, die CDU bis zur Wahl im September mit dem Thema vor sich herzu­treiben und progres­sive Konser­va­tive für sich zu gewinnen. Mal wieder scheint es, dass seine Pläne schei­terten – jeden­falls von der Wahl­kampf­stra­tegie her. Er konnte auch nicht ahnen, dass sich die FDP sich der Bedin­gung anschließt und am letzten Sitzungstag die Öffnung der Ehe verab­schiedet wird. Die Union isoliert sich Nachdem alle rele­vanten Koali­ti­ons­partner für die Union, diese Bedin­gungen stellten, musste Merkel handeln. Denn sie befand sich in einem Dilemma. Auf der einen Seite wollte sie wohl nicht, dass die Ehe für alle” den Wahl­kampf domi­niert und ihr das wahr­schein­lich Wähler­stimmen kosten würde. Auf der anderen Seite wusste sie, dass ein großer Teil der Union nicht hinter einer Öffnung stehe und sie wieder die CDU ein Stück nach links rücken würde. Der Spiel­raum der Kanz­lerin war klein. Während eines Inter­views meinte sie über­ra­schend, dass die Abstim­mung über die Ehe für alle” eher in Rich­tung einer Gewis­sens­ent­schei­dung” ginge. Somit war der Weg zur Auflö­sung des Frak­ti­ons­zwangs frei, meinten jeden­falls die anderen im Bundestag vertre­tenen Parteien. Inner­halb weniger Tage wurde die Abstim­mung vorbe­reitet und schließ­lich am 30.06.17 durch­ge­führt. Merkel stimmte dagegen. Somit wahrte Merkel ihr Gesicht. Denn sie hat geschickt, den passiven Part einge­nommen. Die meisten Unions­ab­ge­ord­nete, die dagegen stimmten, verur­teilten anschlie­ßend die SPD, dass es alles viel zu schnell war und sie die Koali­tion brach, und nicht Merkel verant­wort­lich war.  Frau Merkel, vielen Dank für nichts!” war das Urteil vom haus­halts­po­li­ti­schen Spre­cher Johannes Kahrs (SPD): Die Bundes­kanz­lerin hat wohl nicht aus Über­zeu­gung, sondern aus Notlage die Abstim­mung frei­ge­geben. Durch ihre Nein­stimme stufte sie Umfra­ge­werte für die Union als wich­tiger ein, als gesell­schaft­li­chen Fort­schritt zu gestalten. Es war wohl nur reine Wahl­taktik vonseiten Merkels. Die SPD auf der Suche Ihr Gegen­kan­didat Martin Schulz ist nun wieder auf der Suche nach passenden Wahl­kampf­themen. Denn ein prägendes Unter­schei­dungs­merkmal fehle nun wieder zwischen den beiden Volks­par­teien. Wo könnte man die inhalts­lose CDU am kräf­tigsten angreifen? Das Thema Ehe für alle” ist nun vorbei. Poli­ti­sches Kapital hat über­wie­gend die CDU einge­heimst. Gegen Merkel zu gewinnen, ist aktuell eine unlös­bare Heraus­for­de­rung. Und doch wird in den Köpfen der Bevöl­ke­rung bleiben, dass durch Schulz ein wenig mehr Gerech­tig­keit in Deutsch­land etabliert wurde. Schulz habe den Anlass für die Abstim­mung gelie­fert. Er wirkte. Genau das ist es doch, was im Juni verdeut­licht wurde: Politik kann das Leben der Menschen berühren und das zum Posi­tiven verän­dern. Gestalten und aus Über­zeu­gung Politik machen, und nicht aus rein stra­te­gi­schen Gründen, wäre viel­leicht auch ein Thema für die SPD im Wahl­kampf. Die Union bietet da noch eine große Angriffs­fläche.

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