Die Wahlen und das Gene­ra­ti­ons­pro­blem 

Datum
09. August 2017
Autor*in
Zita Hille
Redaktion
politikorange
Thema
#poBTW17
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Foto: Johannes Kolb

Seit 1969 ist die Wahl­be­tei­li­gung in Deutsch­land um 20 Prozent gesunken. Politik und Gesell­schaft haben sich verän­dert und so auch der Willen der Bevöl­ke­rung? Ein Bericht von Zita Hille.

Luftballons im Ministerium_Samuel Grösch

In Deutschland können Bürger und Bürgerinnen durch ihre Wahlbeteiligung die Politik ihres Landes mit beeinflussen und ihre vielfältigen Stimmen einbringen. Foto: Jugendpresse Deutschland / Samuel Grösch

Am 24. September ist es wieder so weit: Jeder deut­sche Staats­bürger und Staats­bür­gerin, die das kleine, weiße Couvert zur Wahl­ein­la­dung in ihrem Brief­kasten gefunden haben, können in eines der Wahl­lo­kale gehen und ein Kreuz­chen setzen. Das ist Demo­kratie – jeder darf wählen und die Macht geht vom Volke aus. Aber nutzt die Bevöl­ke­rung diese Möglich­keit?

In den letzten 60 Jahren sank die Wahl­be­tei­li­gung bei den Bundes­tags­wahlen um mehr als 20 Prozent. Im Jahr 1969 lag sie noch bei 91,1 Prozent. Das heißt, mehr als neun von zehn Berech­tigten und Berech­tigte gaben ihre Stimme ab. Ab da jedoch ging es stetig bergab. Den abso­luten Tief­punkt erreichte die Wahl­be­tei­li­gung im Jahr 2009 mit 70,2 Prozent, nur noch sieben von zehn gingen wählen.

Wählen oder nicht wählen?

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Prof. Dr. Jens Borchert in der Universität in Frankfurt am Main. Foto: Jugendpresse Deutschland / Zita Hille

Es ist ein Gene­ra­ti­ons­pro­blem“, meint Jens Borchert, Professor für Poli­tik­wis­sen­schaften mit Schwer­punkt auf Poli­ti­sche Sozio­logie und Staats­theorie an der Goethe-Univer­sität Frank­furt am Main. Mir fällt es manchmal sogar schwer, meine Studie­renden für Politik zu begeis­tern.“ Tatsäch­lich lag die Anzahl der jungen Wähler und Wähle­rinnen bei der letzten Bundes­tags­wahl 2013 unterm Durch­schnitt: Nur zirka 60,3 Prozent der 21- bis 24-Jährigen nutzten ihr Recht. Die Betei­li­gung der Erst­wähler und Erst­wäh­le­rinnen lag in diesem Jahr bei 64,2 Prozent.

Laut Borchert sei der Grund für die sinkenden Zahlen auch die fehlende Selbst­ver­ständ­lich­keit, wählen zu gehen. Früher sei man noch mit dem Denken aufge­wachsen, dass Wählen oder nicht wählen?“ gar nicht zur Debatte stünde und man sogar durch die Familie in eine bestimmte Partei­prä­fe­renz hinein­ge­boren werde, die man dann wiederum im Umfeld durch Akti­vi­täten mit Gleich­ge­sinnten, zum Beispiel beim Sport, gepflegt habe. So war Wählen, ein Status­symbol.

20,91 Millionen Deut­sche sind poli­tisch unin­ter­es­siert

In den letzten 60 Jahren ist aber auch in der Gesell­schaft viel passiert. Kurz­le­big­keit hat sich veran­kert, im Privaten und bei den Hobbys. Und immer wieder trifft man auf den Vorwurf: die Jugend ist poli­tik­ver­drossen. Domi­niert auch hier eine knappe Aufmerk­sam­keit? Jens Borchert berichtet: Es gibt heute eine Neigung zu kurz­fris­ti­geren Bindungen. Darunter leiden Formen des poli­ti­schen Enga­ge­ments ganz massiv.“ Tatsäch­lich geben 2017 20,91 Millionen Menschen in Deutsch­land an, wenig bis gar kein Inter­esse am poli­ti­schen Geschehen zu haben und nur 16,61 Millionen Personen ab 14 Jahren geben an, ein sehr hohes Inter­esse an Politik zu haben.

2017 geben ein Drittel keine Stimme ab

Es wird davon ausge­gangen, dass ein Viertel bis ein Drittel der Wahl­be­rech­tigten 2017 nicht ihre Stimme abgeben werden. Jedoch gibt es Projekte, die versu­chen, die Betei­li­gung zu fördern. Die Frank­furter Allge­meine Zeitung versucht derzeit mit der Initia­tive 80 Prozent für Deutsch­land“ junge Wähler und Wähle­rinnen zu begeis­tern. Laut Borchert könnten aber Initia­tiven wie diese nichts am Ergebnis ändern. Er geht von einer Wahl­be­tei­li­gung von plus minus 70 Prozent aus, denn eine klare Vision der Parteien ist nötig. Die bringt Bürger dazu, sich entweder einfluss­reich zu fühlen oder sich richtig aufzu­regen.“

Sätze wie Geht wählen, sonst entscheiden die falschen!“ kursieren massen­haft im Internet – die Folge: Manche Bürger und Bürge­rinnen gehen nur aus Protest wählen.

Jugend­liche können sich in die Politik einbringen

Nicht nur die Gesell­schaft, sondern auch die Politik hat sich in den letzten zwei Jahr­zehnten geän­dert. Je ähnli­cher sich Partei­an­ge­bote werden, desto nied­riger wird der Anreiz, zur Wahl zu gehen“, sagt Borchert, die Parteien seien noch nicht in der Kurz­le­big­keit der Gesell­schaft ange­kommen. Doch demo­kra­ti­sche Politik funk­tio­niert lang­fristig und Parteien in ihr brau­chen Zeit, um sich entwi­ckeln zu können.

Und was ist, wenn man noch gar nicht 18 ist? Auch Minder­jäh­rige haben schon die Möglich­keit, sich in bestimmten Parteien einzu­bringen. Bei der Arbeits­ge­mein­schaft der Jung­so­zia­lis­tinnen und Jung­so­zia­listen in der SPD (Jusos) kann man bereits ab 14 Jahren mitwirken und so sein soziales Umfeld mitreißen. Hier ist Borchert zu dem Ergebnis gekommen, dass Jugend­liche mit einem nied­rigen Bildungs­stand so gut wie gar nicht an Politik inter­es­siert seien; Jugend­liche mit hohem Bildungs­stand hätten größ­ten­teils nur Lust auf Ehrenamt und kurze Projekte oder hielten NGOs für gute Politik.

Doch ist die Demo­kratie durch die sinkende Wahl­be­tei­li­gung bedroht? Laut Borchert präsen­tieren die 71,5 Prozent Wahl­be­tei­li­gung immer noch den Willen des Volkes und somit einer Demo­kratie. Jedoch meint er, dass es an perso­neller Erneue­rung in der Politik bedarf. Lange hat man geglaubt, dass sich die Demo­kratie selbst repro­du­ziert“, sagt er. Wir vergessen manchmal, dass wir die Demo­kratie sind.“ Sein persön­li­ches Wahl­recht zu haben sei schön und gut, man müsse es nun nur noch nutzen.


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