Die deut­sche Erin­ne­rungs­kultur: eine doppel­sei­tige Medaille

Datum
16. November 2023
Autor*in
Elena Slany-García
Redaktion
politikorange
Themen
#Leben #Antisemitismus
amit-lahav-MxQQV8YLUI0-unsplash

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Bildungs­an­ge­bote, Aufklä­rung und Natio­nale Stra­te­gien gegen Anti­se­mi­tismus: trotz den hoch­ge­hal­tenen Mitteln deut­scher Erin­ne­rungs­kultur wird jüdi­sches Leben in Deutsch­land von der Mehr­heits­ge­sell­schaft zu wenig beachtet und ist einer konstanten Bedro­hung ausge­setzt. Fehlt der deut­schen Erin­ne­rungs­kultur die Nach­hal­tig­keit?

Nach dem Natio­nal­so­zia­lismus gab es eine fast ausschließ­liche Weige­rung von Staat und Zivil­ge­sell­schaft die Verbre­chen, insbe­son­dere den Holo­caust, als solche anzu­er­kennen und aufzu­ar­beiten. Dies setzte sich bis in die sieb­ziger Jahre fort, bis es in Deutsch­land allmäh­lich zur öffent­li­chen Ausein­an­der­set­zung mit dem Holo­caust kam. Aus dieser Entwick­lung heraus begründet sich die deut­sche Erin­ne­rungs­kultur, welche in Staat und Zivil­ge­sell­schaft einen hohen iden­ti­fi­ka­to­ri­schen Stel­len­wert einnimmt. Der Bundes­be­auf­tragte für jüdi­sches Leben und den Kampf gegen Anti­se­mi­tismus Dr. Felix Klein, sieht in der Erin­ne­rungs­kultur eine beson­dere Verant­wor­tung jüdi­sches Leben in Deutsch­land zu schützen. Dazu gehört leben­diges Erin­nern“ an die Shoa und ihre Opfer, um somit aktiv gegen Anti­se­mi­tismus anzu­kämpfen. Dies wird unter anderem in der Natio­nalen Stra­tegie gegen Anti­se­mi­tismus und für jüdi­sches Leben fest­ge­halten. 

Die andere Seite der Medaille 

Nichts­des­to­trotz sind laut dem Jahres­be­richt 2022 des Bundes­ver­bandes RIAS (Bundes­ver­band der Recherche- und Infor­ma­ti­ons­stellen Anti­se­mi­tismus e.V.) und dessen Melde­stellen im letzten Jahr 2.480 anti­se­mi­ti­sche Vorfälle gemeldet worden. Dazu zählen nicht nur Gewalt­taten, sondern auch Beschä­di­gungen, anti­se­mi­ti­sche Äuße­rungen und Vanda­lismus. Die Anzahl der Vorfälle ist im Vergleich zum Vorjahr zwar gesunken, aber deut­lich höher als die 1.957 Vorfälle des Jahres 2020.Die Anzahl extremer Gewalt steigt gleich­zeitig konti­nu­ier­lich. Auffällig an diesen Zahlen ist, dass es einen enormen Anstieg an Vorfällen in Bildungs- und Kultur­ein­rich­tungen gab. Das bedeutet: mehr Anti­se­mi­tismus in beispiels­weise Schulen, Hoch­schulen, Kinder­gärten oder Museen. Ereignet sich ein beson­ders tragi­scher anti­se­mi­ti­scher Vorfall, wie beispiels­weise das Attentat in Halle, herrscht ein reger öffent­li­cher Diskurs, wie man Anti­se­mi­tismus endlich die Stirn bieten könnte und hierfür wird wieder auf die Erin­ne­rungs­kultur verwiesen. Nach dem Abebben des Diskurses wird jüdi­sches Leben in Deutsch­land von der Mehr­heits­ge­sell­schaft im Alltag jedoch wieder kaum Beach­tung geschenkt. Dass über jüdi­sches Leben oft nur im Kontext von Gewalt­taten gespro­chen wird und dabei ausschließ­lich auf die Erin­ne­rungs­kultur verwiesen wird, redu­ziert jüdi­sche Menschen auf ihre Opfer­rolle und einen abstrakt histo­ri­schen Gegen­stand.

Die Realität, mit der in Deutsch­land lebende jüdi­sche Menschen konfron­tiert sind, zeigt, dass die deut­sche Erin­ne­rungs­kultur anschei­nend nicht so effektiv funk­tio­niert, wie sich die Mehr­heits­ge­sell­schaft das vorstellt. Phasen mit weniger anti­se­mi­ti­schen Vorfällen sollten die Gesell­schaft nicht täuschen. Anti­se­mi­tismus ist ein Phänomen, dass die deut­sche Bevöl­ke­rung kontinu­ier­lich begleitet. Bisher scheint die beste­hende Erin­ne­rungs­kultur daran wenig geändert zu haben 

Das alltäg­liche Da-Sein“ 

Essen­ziell ist es zu verstehen, dass Erin­ne­rungs­kultur nicht nur aus einem theo­re­ti­schen Konstrukt bestehen sollte, auf das nach anti­se­mi­ti­schen Taten verwiesen wird. Erin­ne­rungs­kultur ist auch mehr als das allei­nige Gedenken an wich­tigen Jahres­tagen. Es geht schließ­lich darum jüdi­sches Leben zu schützen und präventiv gegen anti­se­mi­ti­sche Hand­lungen zu arbeiten. Und zwar jeder­zeit und in verschie­denen sozialen Kontexten. Uli Mari­en­feld, lang­jäh­riger stell­ver­tre­tender Schul­leiter der ESBZ Berlin (Evan­ge­li­sche Schule Berlin Zentrum), sieht Erin­ne­rungs­kultur als gute Mischung aus dem alltäg­li­chen Da-Sein und dem immer wieder gehigh­lightet werden.“ Es müssen konstant Impulse und Möglich­keiten“ geschaffen werden, um richtig Erin­ne­rungs­kultur zu betreiben. Dies­be­züg­lich gehören Schü­ler­aus­tau­sche zu israe­li­schen Fami­lien zum Schul­prinzip der ESBZ. Es liegt an der Gesell­schaft, an jungen und alten Bürger*innen, diesem Hass entge­gen­zu­wirken und diesen so weit wie möglich einzu­dämmen. Gemeinsam muss endlich aktiv dafür gesorgt werden, dass jüdi­sches Leben sicher prospe­rieren kann. Dazu gehört, dass aktu­elle Konzept der Erin­ne­rungs­kultur umzu­denken und dafür zu sorgen, dass Nie wieder“ auch endgültig zum Nie wieder“ wird. 


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