Der Kampf ums Ganze

Datum
02. Mai 2021
Autor*in
Frida Mühlhoff
Redaktion
politikorange
Themen
#LandtagswahlBW21 #Politik
Foto: Lindsey LaMont/unsplash

Foto: Lindsey LaMont/unsplash

Gerade einmal drei Abge­ord­nete der neu gewählten SPD-Frak­tion im baden-würt­tem­ber­gi­schen Landtag sind nicht männ­lich – und das bei einer Partei, die sich promi­nent für eine pari­tä­ti­sche Beset­zung der Kandidat*innenlisten aller Parteien bei Wahlen einsetzt. Die Frei­burger Abge­ord­nete Gabi Rolland sucht Antworten.

Frida_im Text - Gabi Rolland (Britt Schilling)

Gabi Rolland ist SPD-Abgeordnete im Landtag in Baden-Württemberg. Foto: Britt Schilling.

Hinweis: In folgendem Text wird über die Unter­re­prä­sen­ta­tion von FINTA-Personen und nicht nur von cis-Frauen berichtet, da Frauen nicht die Einzigen sind, die durch das Patri­ar­chat diskri­mi­niert werden. FINTA soll für die im Patri­ar­chat diskri­mi­nierten Geschlechts­iden­ti­täten stehen und bedeutet konkret: cis-Frauen*, Inter, Nicht-Binäre, Trans und A‑gender Menschen. Im Inter­view mit Gabi Rolland wurde, genauso wie in den SPD-Beschlüssen zur Gleich­stel­lung, der Begriff Frau verwendet. Deswegen wird dieser Begriff an den entspre­chenden Stellen im Text verwendet. *cis-Frauen sind Frauen, denen bei der Geburt das weib­liche Geschlecht zuge­wiesen wurde und die sich damit auch iden­ti­fi­zieren können.

 

Deut­sche Parla­mente sind von Männern domi­niert. Dass sich daran auch bei der Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg nichts geän­dert hat, liegt auch an einer Partei, die seit 1998 Wert darauf legt, Geschlechter in internen Gremien zu mindes­tens 40 Prozent zu reprä­sen­tieren. Ein Wert, von dem FINTA-Abge­ord­nete in der neu gewählten SPD-Land­tags­frak­tion nur träumen können. Gerade einmal 15,8 Prozent der SPD-Abge­ord­neten sind nicht männ­lich – in Zahlen: drei Personen.

Eine von ihnen ist die Frei­bur­gerin Gabi Rolland. Seit 2011 ist sie Land­tags­ab­ge­ord­nete, poli­tisch aktiv ist sie schon deut­lich länger. Bereits in ihrer Jugend setzte sie sich für ein auto­nomes Jugend­zen­trum ein, bevor sie schließ­lich 14 Jahre lang Abge­ord­nete im Frei­burger Gemein­derat war. In dieser Legis­la­tur­pe­riode ist sie eine von 45 nicht-männ­lich gele­senen Personen im baden-würt­tem­ber­gi­schen Landtag, das sind mit 29,2 Prozent nicht einmal ein Drittel der Abge­ord­neten. In der Gesamt­be­völ­ke­rung beträgt der Anteil über 50 Prozent.

Auch im deutsch­land­weiten Vergleich sind im baden-würt­tem­ber­gi­schen Landtag wenige FINTA-Personen. Das liegt unter anderem an dem spezi­ellen Wahl­system in Baden-Würt­tem­berg: In fast allen anderen Bundes­län­dern gibt es wie bei der Bundes­tags­wahl eine Erst- und Zweit­stimme, die Zweit­man­date werden über eine Landes­liste vergeben. In Baden-Würt­tem­berg werden die Zweit­man­date hingegen, genau wie die Direkt­man­date, über die Stim­men­an­teile der Kandidat*innen in den Wahl­kreisen vergeben. Die Direktkandidat*innen werden von den örtli­chen Partei­ver­bänden gewählt und die Orts- und Kreis­ver­bände sind nach wie vor sehr männer­do­mi­niert. Daher führt dieses Wahl­system zu schlech­teren Chancen von FINTA-Personen, als wenn Landes­listen aufge­stellt würden.

Geringer Frau­en­an­teil durch spezi­elles Wahl­system in BW

Insbe­son­dere in aussichts­rei­chen Wahl­kreisen würden sich Männer beim Kampf um das Direkt­mandat häufig durch­setzen, sagt Gabi Rolland. Ihre Partei habe aller­dings versucht, in diesem Wahl­kampf dagegen zu wirken. Die SPD habe den Wahl­kreisen, in denen Frauen als Erst­kan­di­da­tinnen nomi­niert wurden, mehr finan­zi­elle Mittel für den Wahl­kampf zur Verfü­gung gestellt. Zudem seien die jeweils zustän­digen regio­nalen Partei­ver­bände dazu aufge­for­dert worden, mindes­tens die Zweit­kan­di­datur an eine Frau zu vergeben. Dass dadurch mehr FINTA-Abge­ord­nete in der neuen Land­tags­frak­tion sitzen, hat aller­dings nicht geklappt. Mit gerade einmal 15,8 Prozent liegt der FINTA-Anteil in der SPD-Frak­tion deut­lich unter dem Parla­ments­durch­schnitt und unter dem der Grünen- und der CDU-Frak­tion. Den poli­ti­schen Forde­rungen der SPD wird das nicht gerecht: Die SPD setzt sich für Gleich­stel­lung, speziell auch für Frau­en­quoten und in ihrem Land­tags­wahl­pro­gramm sogar explizit für einen pari­tä­tisch besetzten Landtag ein. Diese Diskre­panz zwischen poli­ti­schen Forde­rungen und tatsäch­li­cher Reprä­sen­ta­tion in der Frak­tion sieht Gabi Rolland im Willen der Wähler*innen begründet. Kritik übt sie aber auch an der eigenen Partei: Sie stehe für eine harte Quote ein, bei der 50 Prozent der Kandidat*innenplätze an Frauen vergeben würden.

Frauen müssen immer besser sein“

Trotz Frau­en­quoten in einigen Parteien, ist die Politik nach wie vor männer­do­mi­niert. Das wirke sich auch auf ihre Arbeit als Poli­ti­kerin im Landtag aus, meint Gabi Rolland. Sexismus sei, wie an jedem anderen Arbeits­platz, ein Problem. Das äußere sich beispiels­weise in subtilen Ungleich­be­hand­lungen. So würden Frauen in ihrer fach­li­chen Eignung in Frage gestellt und ihr Äußeres spiele für ihre Arbeit eine größere Rolle, obwohl es für die Ausübung ihrer poli­ti­schen Arbeit irrele­vant sei. Bisweilen gebe es auch sexis­ti­sche Witze und körper­liche Grenz­über­schrei­tungen unter Abge­ord­neten.

Frida_Geschlechterverteilung im Landatg (Frida Mühlhoff)
1968 saß zeit­weise nur eine Frau im baden-würt­tem­ber­gi­schen Landtag, seither steigt der Anteil beinahe konti­nu­ier­lich an. Bis der Landtag pari­tä­tisch besetzt ist, wie die SPD es fordert, ist es aber noch ein langer Weg. Daten: Statis­ti­sches Landesamt Baden-Würt­tem­berg Grafik: Frida Mühl­hoff *1952 wurde nicht der Landtag, sondern die verfas­sungs­ge­bende Versamm­lung gewählt. ** Der Frau­en­an­teil von 25,9 Prozent im 16. Landtag ist der Wert am 1.12.2020, da der Anteil auf Grund von perso­nellen Wech­seln unter den Abge­ord­neten schwankte.

Selbst im Plenum sei Sexismus sichtbar. Insbe­son­dere die AfD-Frak­tion falle im baden-würt­tem­ber­gi­schen Landtag durch Anfein­dungen gegen­über weib­li­chen und migran­ti­schen Menschen, insbe­son­dere gegen­über der Land­tags­prä­si­dentin Muhterem Aras, auf. Aufgrund der Frak­ti­ons­größe in der vergan­genen Legis­latur musste die SPD immer nach der AfD spre­chen – für Gabi Rolland ein Thema mit Varia­tion: Die AfD hat in jeder Haus­halts­dis­kus­sion bean­tragt, dass die Gender­för­de­rung abge­schafft werden soll. Ich habe dann immer das Grund­ge­setz zitiert – Männer und Frauen sind gleich­be­rech­tigt. Der Staat fördert die tatsäch­liche Durch­set­zung der Gleich­be­rech­ti­gung von Frauen und Männern und wirkt auf die Besei­ti­gung bestehender Nach­teile hin.“ Immerhin: Die Soli­da­ri­täts­be­kun­dungen der anderen Frak­tionen mit Betrof­fenen bei Anfein­dungen durch die AfD empfindet Rolland als positiv.

In Zukunft mehr Frauen im Landtag durch Wahl­rechts­re­form?

Die Gestal­tungs­mög­lich­keiten zur Umset­zung der eigenen poli­ti­schen Forde­rungen scheinen aus Sicht der SPD auch in der kommenden Legis­latur beschränkt zu sein, denn die SPD bleibt in der Oppo­si­tion. Aller­dings fordern auch die Grünen eine Wahl­rechts­re­form hin zu der Vergabe der Zweit­man­date über Landes­listen, die mutmaß­lich zu mehr FINTA-Menschen und insge­samt mehr Diver­sität im Landtag führen würde. Ursprüng­lich war diese Reform sogar im Koali­ti­ons­ver­trag von 2016 fest­ge­schrieben: Damit der Landtag die baden-würt­tem­ber­gi­sche Gesell­schaft künftig in ihrer ganzen Breite besser abbildet, werden wir ein perso­na­li­siertes Verhält­nis­wahl­recht mit einer geschlos­senen Landes­liste einführen. Darüber wollen wir mit den im Landtag vertre­tenden Parteien in Gespräche eintreten.“

Nachdem die Grünen 2018 einen entspre­chenden Vorschlag einge­bracht hatten, lehnte die CDU diesen aller­dings entgegen des Koali­ti­ons­ver­trags ab.

Parité-Gesetzte bisher als verfas­sungs­widrig abge­lehnt

Auch wenn die Chancen für die Wahl­rechts­re­form aktuell wieder steigen könnten – das allein wird vermut­lich nicht zu einem pari­tä­tisch besetzten Landtag führen. Die SPD fordert deswegen ein Parité-Gesetz. Dadurch würden alle Parteien, die an der Land­tags­wahl teil­nehmen, dazu verpflichtet, ihre Listen pari­tä­tisch zu besetzen. In Bran­den­burg und Thüringen wurden solche Gesetze vom Verfas­sungs­ge­richt für verfas­sungs­widrig erklärt. Gabi Rolland ist aber opti­mis­tisch, eine verfas­sungs­kon­forme Möglich­keit für ein solches Gesetz zu finden: Ich lass mich da auch nicht von irgend­einem Verfas­sungs­ge­richt beein­dru­cken.“

Für Gabi Rolland ist klar, wohin es mit der Gleich­stel­lung im Landtag gehen muss – aufs Ganze. Ihr Ziel ist: Die Hälfte der Macht!


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