Wissen­schaft ist auch Unsi­cher­heit“

Datum
08. Oktober 2018
Autor*in
Zoe Bunje
Redaktion
politikorange
Thema
#JMT18
2771133_1_articlefancybox_44206280135_136ed04460_o

2771133_1_articlefancybox_44206280135_136ed04460_o

Die Wissen­schafts­jour­na­listin Eva Schin­dele spricht im Inter­view über kontro­verse Themen im Wissen­schafts­jour­na­lismus und gibt unseren Redak­teu­rinnen Zoe Bunje und Alaa Almounjd Tipps für Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen, um sich unab­hängig zu machen.

 Sie arbeiten schon länger als Wissen­schafts­jour­na­listin. Was sind denn Ihre aktu­ellen Themen?

Eva Schin­dele: Ich habe mich in letzter Zeit viel mit Ernäh­rung beschäf­tigt. Und natür­lich auch mit Medizin. Vor allem auch im Zusam­men­hang mit Frau­en­ge­sund­heit, mit dem radio­lo­gi­schen Scree­ning als angeb­liche Brust­krebs-Vorsorge. Das sind so meine Schwer­punkt­themen. Aber auch mit Geburts­hilfe, Repro­duk­ti­ons­me­dizin und Präim­plan­ta­ti­ons­dia­gnostik. Dabei beschäf­tige ich mich vor allem mit ethi­schen Auswir­kungen von Wissen­schaft und Technik.

Also gibt es im Wissen­schafts­jour­na­lismus sehr kriti­sche Themen, die kontro­vers disku­tiert werden?

Auf jeden Fall. Im Wissen­schafts­jour­na­lismus versu­chen wir, möglichst fundiert zu recher­chieren und die Infor­ma­tionen mit Belegen nach­zu­weisen, um diese dem Leser, der Leserin oder den Höre­rinnen zu vermit­teln. Zum Beispiel hat im Bereich Ernäh­rung eine Wissen­schaft­lerin das Kokosöl, was ja als Super­food“ propa­giert worden ist, als Gift“ bezeichnet. Social media, aber auch Jour­na­listen haben das unre­flek­tiert über­nommen. Die Aufgabe des Wissen­schafts­jour­na­lismus besteht darin, genauer zu über­prüfen, was die Forscherin damit gemeint hat. Es hat sich heraus­ge­stellt, dass es die Dosis macht. Sprich, wenn man sich nur noch mit Kokosöl ernährt, dann ist es natür­lich unge­sund. Aber wenn man in Maßen Kokosöl zum Kochen verwendet, dann ist es über­haupt nicht schäd­lich. Das zeigt, dass in der heutigen Gesell­schaft sowohl Wissen­schaftler und Wissen­schaft­le­rinnen als auch dieje­nigen über­treiben, die Nahrungs­mittel als Super­food“ verkaufen wollen. Inzwi­schen hat sich die betref­fende Forscherin auch entschul­digt.

Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich sicher­lich beschäf­tigen, ist die Verein­nah­mung durch die Indus­trie. Wie sorgen Sie dafür, dass Unter­nehmen Sie nicht für ihre Öffent­lich­keits­ar­beit benutzen?

Das ist ein schwie­riges Kapitel, nicht auf inter­es­sen­ge­lei­tete Infor­ma­tionen herein­zu­fallen. Dazu kommt, dass eine gründ­liche Recherche heut­zu­tage relativ wenig hono­riert wird, obwohl wir gerade im Zeit­alter der Fake News“ gute und fundierte Infor­ma­tionen brau­chen. Aber durch die schlechte Bezah­lung arbeiten auch manche Kollegen gezwun­ge­ner­maßen zum Beispiel für Phar­ma­her­steller, deren Thera­pien sie aber auch objektiv bewerten sollen.

Haben Sie Tipps für Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen, um sich unab­hängig zu machen?

Das kann ich so pauschal gar nicht sagen. Aber weil ich in einem Medi­en­büro arbeite, weiß ich, wie schwierig es für freie Jour­na­listen ist, ein Auskommen zu haben. Deswegen haben viele von ihnen unter­schied­liche Stand­beine. Das kann sie unab­hän­giger machen. Man muss nicht unbe­dingt PR für ein Unter­nehmen machen. Mein Ratschlag ist, sich nicht nur auf eine Sache zu spezia­li­sieren, sondern noch weitere Betä­ti­gungs­felder zu suchen – zumin­dest so lange, bis man sich etabliert hat.

Wie kann dann gute jour­na­lis­ti­sche Arbeit unter­stützt werden? Gerät durch finan­zi­elle Abhän­gig­keiten die Pres­se­frei­heit in Gefahr?

Über die Jahre hinweg hat sich der Wissen­schafts­jour­na­lismus gut weiter­ent­wi­ckelt. Heute wird viel­fach deut­lich diffe­ren­zierter und gründ­li­cher berichtet. Es gibt mehr Krite­rien für eine gute Bericht­erstat­tung. Der eigent­liche Einschnitt in die Pres­se­frei­heit ist der, dass diese nicht mehr als ein hohes Gut ange­sehen wird, das unhin­ter­fragt geglaubt wird, was im Netz steht – und zwar von manchen Jour­na­listen ebenso wie von Nutzern. Beispiel Kokosöl.

Also ist es auch für den Wissen­schafts­jour­na­lismus ein Problem, dass so viele Falsch­in­for­ma­tionen im Internet veröf­fent­licht werden, denen teil­weise eher geglaubt wird als einem wissen­schaft­li­chen Artikel?

Genau. Die wissen­schaft­lich fundierten Artikel werden gar nicht wahr­ge­nommen. Gerade, wenn wir über das Thema Ernäh­rung spre­chen. Man glaubt gar nicht, was so an Influen­cern herum­läuft. Nichts gegen deren Präsenz in den sozialen Medien, aber dadurch, dass sie Werbung für Produkte machen, sind sie über­haupt nicht unab­hängig. Trotzdem wird ihnen geglaubt, weil sie einen Lebens­stil mitver­kaufen.

Wenn wir über Falsch­in­for­ma­tionen spre­chen: Wie gehen Sie damit um, wenn sich Infor­ma­tionen im Nach­hinein als falsch heraus­stellen – zum Beispiel, wenn neue Studien bekannt­werden?

Das ist ein großes Problem, weil Wissen­schaft ja immer auch Unsi­cher­heit ist. Sagen wir einmal so: Es ist gerade in dem Moment richtig, aber viel­leicht gibt es in den nächsten fünf Jahren neue wissen­schaft­liche Erkennt­nisse und dann sieht es wieder anders aus. Und dem Leser diese Unsi­cher­heit zu vermit­teln, ist auch ein Problem. Ein weiteres riesiges Problem ist, dass in der Mediz­in­for­schung Studien nicht veröf­fent­licht werden, wenn das Ergebnis negativ ist. Das führt natür­lich zu einer Verzer­rung der Studi­en­ergeb­nisse. Zum Beispiel hat die US-ameri­ka­ni­sche Zucker­lobby jahre­lang verhin­dert, dass wissen­schaft­liche Erkennt­nisse veröf­fent­licht wurden. Diese haben gezeigt, dass Zucker schäd­li­cher ist als Fett.

Also fängt das Problem schon früher an? Guter Jour­na­lismus ist nicht mehr möglich, weil er vorher durch inten­sive Lobby­ar­beit der Unter­nehmen verhin­dert wird?

Genau. Das ist, glaube ich, sehr wichtig zu verstehen. Es sind ja oft Nahrungs­mit­tel­her­steller oder Phar­ma­kon­zerne, die die Studien in Auftrag geben. Und die entscheiden, was veröf­fent­licht wird und was nicht. Und das ist eigent­lich der Skandal.

Welche Bestre­bungen gibt es, dagegen vorzu­gehen? Welche Regu­lie­rungen gibt es in Deutsch­land, die versu­chen, das zu unter­binden?

Es gibt in Deutsch­land und auch welt­weit eine Bewe­gung im Arznei­mit­tel­be­reich. Es soll dafür gesorgt werden, dass Studien, die Nega­tives berichten, auch veröf­fent­licht werden müssen. Es müssen zum Beispiel auch Studien über nicht wirk­same Medi­ka­mente veröf­fent­lich werden. Erst dann ergibt sich ein voll­stän­diges Bild, und das ist auch absolut notwendig. Es gibt inzwi­schen eine Regis­trie­rung von allen klini­schen Studien, die durch­ge­führt werden, um die Forschungen trans­pa­renter zu machen. Das ist sehr wichtig. Aber eine Pflicht zur Veröf­fent­li­chung der Ergeb­nisse wie es das EbM-Netz­werk fordert, das sich für gute medi­zi­ni­sche Studien und gute Praxis einsetzt, gibt es bislang nicht.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Koope­ra­tion zwischen der Jugend­presse Deutsch­land und dem Verein Eed be Eed (“Hand in Hand”) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Print­aus­gabe des Weser-Kuriers.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild