Weiz­sä­cker: Vor der Wahl ist es klug, sich zu infor­mieren

Datum
05. Juni 2018
Autor*in
Lea Gerecke
Redaktion
politikorange
Thema
#EPjugendforum 2019
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politikorange-Redakteurin im Thüringer Landtag mit Interviewpartner Jakob von Weizsäcker MdEP). Foto: Jonas Gebauer

Jakob von Weiz­sä­cker ist nicht nur der Neffe von Richard von Weiz­sä­cker, dem eins­tigen Bundes­prä­si­denten, sondern sitzt auch als Abge­ord­neter für die SPD in der Frak­tion der Sozia­listen und Demo­kraten im Euro­päi­schen Parla­ment. Dort beschäf­tigt er sich insbe­son­dere mit Wirt­schaft und Verbrau­cher­schutz. Unsere Autorin Lea hat ihn im Rahmen des #EPju­gend­forum in Thüringen getroffen und mit ihm über seinen Weg in die Politik, Jugend­be­tei­li­gung, Iran­ab­kommen und Waffen­ex­porte gespro­chen:

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politikorange-Redakteurin Lea im Gespräch mit Jakob von Weizsäcker (MdEP).                               Foto: Jonas Gebauer

Wie sind Sie nach Ihrem Studium von Physik und Volks­wirt­schafts­lehre in die Politik gekommen? Spielte da Ihr poli­tisch bekannter Nach­name eine entschei­dende Rolle?

Nein, eigent­lich nicht. Ich habe ja ange­fangen Mathe­matik und Physik zu studieren und habe einen ersten Abschluss in Physik gemacht. Anschlie­ßend habe ich aber gemerkt, dass mich die wirt­schaft­li­chen Zusam­men­hänge sehr inter­es­sieren. Dann habe ich einen zweiten Abschluss in der Volks­wirt­schafts­lehre gemacht, in der man sich nicht darüber Gedanken macht, wie eine Firma profi­tabel werden kann – das wäre dann Betriebs­wirt­schafts­lehre – sondern, wie sich ein Land oder die Euro­päi­sche Union oder sogar welt­weit, man sich orga­ni­sieren kann, damit es mehr Wohl­stand oder weniger Unge­rech­tig­keit gibt. Das sind die Fragen, die die Volks­wirte beschäf­tigen. Da war es nahe­lie­gend, nach dem Studium zu versu­chen, es abzu­wenden. Also habe ich als erstes eine Weile bei der Welt­bank gear­beitet, da geht es vor allem darum, sehr armen Ländern zu helfen – das ist Entwick­lungs­hilfe. Dann habe ich es eine Weile bei einer Denk­fa­brik in Brüssel gemacht und danach im Thüringer Wirt­schafts­mi­nis­te­rium, wo es also jetzt speziell um Thüringen ging. Dann ergab sich die Chance, zu kandi­dieren für das euro­päi­sche Parla­ment – im reifen‘ Alter aus Ihrer Sicht von 44 Jahren. Da habe ich gesagt: Das passio­niert mich, dafür brenne ich, für Europa, das euro­päi­sche Projekt ist mir sehr nah.‘ Das hat tatsäch­lich biogra­fisch auch seine Gründe. Ich habe in Groß­bri­tan­nien Abitur gemacht, in Frank­reich meine Abschlüsse und in Polen eine Art Zivil­dienst geleistet. Also habe als Deut­scher schon in vielen anderen Euro­päi­schen Ländern gelebt – da passte das sehr gut. Und dann hatte ich das Glück auch gewählt zu werden und das ist auch nicht so selbst­ver­ständ­lich.

Warum sollten sich Jugend­liche Ihrer Meinung nach mit Politik beschäf­tigen? Gibt es außerdem Möglich­keiten als Jugend­liche seine Meinung in die euro­päi­sche Politik mit einzu­bringen?

Ja, selbst­ver­ständ­lich. Ich meine, erstens ist es so, wenn man 18 ist, dann kann man wählen und inter­es­san­ter­weise können alle Euro­päer, also alle Bürger der Union wählen, egal wo sie wohnen. Also wenn Sie jetzt zum Beispiel zum Studium für einen Erasmus-Austausch nach Spanien gehen würden und es wären zufällig Euro­pa­wahlen und Sie sind schon 18, dann können Sie auch in Spanien Euro­pa­wahl machen. Also das ist das Nahe­lie­gende, man kann wählen!

Wenn man aller­dings die Wahl hat, ist es auch klug, sich vorher so ein biss­chen zu infor­mieren. Wer stellt sich da über­haupt zur Wahl, mit was für einem Programm? Um das vernünftig hinzu­be­kommen, muss man sich natür­lich auch damit beschäf­tigen. Das ist natür­lich nicht nur ein ganz wich­tiges Mitspra­che­recht, sondern daraus ergibt sich auch – jeden­falls mora­lisch eine gewisse Pflicht und Verant­wor­tung, sich zu infor­mieren. Was entscheidet man da denn eigent­lich? Was sind die Konse­quenzen, wenn man jetzt in die ein oder andere Rich­tung abstimmt?

Darüber hinaus gibt es natür­lich auch die Möglich­keit – ich habe Erasmus schon erwähnt – als Student oder in der Ausbil­dung einen Austausch zu machen. In vielen Schulen in Thüringen wird das sogar schon für Schüler ange­boten. Viel­leicht nicht für sehr lange, aber für einige Wochen, dass man für ein paar Wochen ins euro­päi­sche Ausland gehen kann und das ein wenig kennen­lernen kann. Europa ist ja also auch ein span­nender und ein sehr schöner Konti­nent. Da gibt es natür­lich auch die Möglich­keiten, sich in Orga­ni­sa­tionen einzu­bringen. Es gibt zum Beispiel eine junge pro-euro­päi­sche Orga­ni­sa­tion. Das sind die jungen euro­päi­schen Föde­ra­listen, die also sich speziell das Zusam­men­wachsen von Europa auf die Fahnen geschrieben haben. Aber es gibt durchaus auch die Möglich­keit, sich in unter­schied­li­chen Parteien einzu­bringen und alle Parteien in Deutsch­land inter­es­sieren sich natür­lich auch für die Euro­pa­po­litik, weil so viele Dinge in Brüssel entschieden werden.

Gibt es ein Gesetz in der euro­päi­schen Politik was für Sie beson­ders ände­rungs­be­dürftig scheint?

Also wir haben jetzt gerade erst diese Woche ein neues Gesetz beschlossen, auf euro­päi­scher Ebene, worüber ich sehr froh bin. Das ist die soge­nannte Entsen­de­richt­linie. Das wird Ihnen so nichts sagen. Aber das ist von hoher Bedeu­tung. Denn wir haben sehr viele Menschen, die in Europa grenz­über­schrei­tend Arbeiten verrichten. Ob das jetzt Last­wa­gen­fahrer sind oder Bauar­beiter, aber auch grenz­über­schrei­tende Unter­neh­mens­be­rater beispiels­weise – das spielt eine wich­tige Rolle. Bisher war es so, dass die Situa­tion entstehen konnte, dass in einem Betrieb, in einem Hotel, auf einer Baustelle, Leute aus unter­schied­li­chen Ländern am selben Ort zu ganz unter­schied­liche Löhne gear­beitet haben. Das ist natür­lich nicht fair und da haben wir jetzt gesagt, es muss das Prinzip gelten: Glei­cher Lohn für gleiche Arbeit am glei­chen Ort, egal woher jemand kommt. Das schützt Leute die von außen kommen vor Diskri­mi­nie­rung, was sehr wichtig ist. Das schützt natür­lich auch Leute, die hier vor Ort z.B. aus Thüringen sind, vor einer Art von unfairem Wett­be­werb, von Leuten, die dann bereit sind, für viel weniger Geld zu arbeiten. Dies war also ein wirk­li­cher Miss­stand, dass das bislang nicht vorge­schrieben war. Das haben wir jetzt in Ordnung gebracht. Es gibt natür­lich auch immer noch Bereiche, in denen sind wir noch nicht soweit. Also ein Poli­tik­be­reich in dem ich arbeite ist, dafür zu sorgen, dass die Geld­geber für die Banken auch wesent­lich mehr eigenes Geld in den Banken zum Einsatz bringen, so dass die Bank von mir aus gerne – wenn das Geschäft gut läuft – die Gewinne dann auch für sich bean­spru­chen können. Aber was wichtig ist: Wenn es schlecht läuft, selber ihr Geld verlieren und nicht die Steu­er­zahler dazu zwingen können, für ihre Verluste einzu­springen. Und das wäre also ein Bereich, der nur euro­pä­isch gelöst werden kann, weil da die Verflech­tungen so stark sind. Insbe­son­dere in der gemein­samen Währung. Aber es gibt auch andere Dinge. Ich war gestern in Erfurt auf einer Veran­stal­tung: Da fuhr ein Bus durch ganz Europa, um dafür zu werben, dass arme Menschen überall in der EU eine Art von Mindest­ein­kommen bekommen sollen. In Deutsch­land haben wir das. Das ist nicht sehr üppig, das nennt sich Hartz IV. Aber es stellt doch sicher, dass jeder eine Wohnung bekommen kann, jeder Kleider hat, jeder was zu essen hast – was auch wichtig ist für die Kinder. Ich meine, man stelle sich mal vor, Kinder von Leuten die Not haben, müssten dann im Elend leben, weil ihre Eltern in Schwie­rig­keiten sind. Also in Deutsch­land haben wir das eini­ger­maßen hinbe­kommen. Aber es gibt Länder in der EU, wo noch nicht mal das wirk­lich sicher gestellt ist. Ich würde mir das auch für überall wünschen, dass die soziale Säule gestärkt wird. Und nicht das hier Miss­ver­ständ­nisse entstehen: Es geht jetzt nicht darum, dass die Mindest­si­che­rung in Bulga­rien genau so sein muss, wie in Deutsch­land. Weil natür­lich das Einkom­mens­ni­veau dort nied­riger ist, die Lebens­hal­tungs­kosten nied­riger sind. Das würde nicht funk­tio­nieren. Aber es sollte doch in jedem Land der EU gemessen an den gültigen Einkom­mens­stan­dards eine vernünf­tige soziale Siche­rung geben. Das wäre ein wich­tiger Beitrag für ein sozia­leres Europa.

Donald Trump hat sich gegen das Atom­ab­kommen mit dem Iran gestellt. Nun steht die EU unter Druck. Wie sollte sie sich jetzt am besten verhalten?

Das haben wir schon sehr klar entschieden. Wir haben gesagt, dass wir daran glauben, dass das Iran­ab­kommen richtig war und das uns der Iran bisher auch keinen Anlass gegeben, das Abkommen aufzu­kün­digen. Bedau­er­li­cher­weise hat Herr Trump von Anfang an, dieses Iran­ab­kommen bekämpft, was damals sein Vorgänger Obama abge­schlossen hatte. Jetzt haben wir ganz klar gesagt – in Europa: Wir wollen diesen Weg mit dem Iran, um sicher zustellen, dass die sich nicht ganz schnell atomar bewaffnen und gleich­zeitig, um mit diesem schwie­rigen Land in unserer weiteren Region – das ist ja auch kein einfa­cher Partner, das muss man wirk­lich sagen – einen vernünf­tigen Weg in eine bessere gemein­same Zukunft gehen.‘ Das haben wir also gesagt, das wollen wir machen. Das können wir auch. Wir lassen uns nicht von anderen Ländern, und sei es die USA – das mäch­tigste Land der Welt – , vorschreiben was wir beim Iran zu tun und zu lassen haben. Aber ein wich­tiges Problem hat der Ausstieg Amerikas aus diesem Abkommen doch aufge­worfen. Denn die Ameri­kaner sagen nämlich, dass euro­päi­sche Firmen – nament­lich auch deut­sche Firmen – die in Amerika weiter Geschäfte machen wollen, sich an die Sank­tionen halten müssen, die Amerika gegen­über dem Iran beschlossen hat. Jetzt gibt es natür­lich viele Firmen, große Konzerne, die sagen: Wir würden gern im Sinne des Iran­ab­kom­mens, was Europa weiterhin unter­stützt, Geschäfte auch mit dem Iran machen, können das aber nicht, weil wir Sorgen haben müssen, dass wir dann gigan­ti­sche Strafen in unseren ameri­ka­ni­schen Töch­tern bezahlen müssen‘. Das ist eine große Schwie­rig­keit, vor der wir jetzt stehen. Die Frage, wie füllen wir eigent­lich dieses Abkommen mit Leben, wenn ganz wich­tige Teile unserer Wirt­schaft aufgrund der Verflech­tungen wirt­schaft­li­cher Art mit den USA das Abkommen gar nicht mit Leben füllen können. Da sind wir gerade dabei, entspre­chende Vorkeh­rungen zu treffen, bis hin dazu aller­dings, in begrenzter Art und Weise, dass man der ein oder anderen Firma sagt: Wir sichern euer Geschäft mit dem Iran durch gewisse Garan­tien ab, damit eure Sorge, dass ihr an anderen Stellen auf der Welt damit Strafen aussetzt, ein biss­chen redu­ziert wird‘. Das ist die eigent­liche Schwie­rig­keit heute.

Sollte Deutsch­land noch Waffen in Krisen­ge­biete expor­tieren?

Ja, das ist eine ganz wich­tige Frage. Also, wir haben glück­li­cher­weise relativ strenge Regeln in Deutsch­land, wohin Waffen expor­tiert werden dürfen. Wir haben aber auch ein Problem in Deutsch­land und das hat mit Europa zu tun oder in diesem Fall mit zu wenig Europa. Im Moment ist es noch so, dass die Waffen­her­steller, die Waffen­rüs­tungs­in­dus­trie, sehr stark national ausge­richtet ist. Also wir haben zum Beispiel ziem­lich viele Hersteller von Mili­tär­hub­schrau­bern oder Düsen­flug­zeugen in Europa und da ist es fast überall gleich – da sagen die jewei­ligen Hersteller: Wenn ihr wollt, dass wir euch eurem Militär zu einem eini­ger­maßen güns­tigen Preis ein Düsen­flug­zeug verkaufen können, müsst ihr uns auch erlauben, tüchtig zu expor­tieren, damit die Entwick­lungs­kosten für dieses Flug­zeug auf eine große Stück­zahl verteilt werden kann‘. Und dann wird immer dazu gesagt: Wenn ihr das nicht erlaubt, dann verdrei­facht sich entweder der Preis für eure Flug­zeuge zum Beispiel oder aber es werden tausende von Leuten bei uns arbeitslos, weil wir unsere z.B. Fabrik zuma­chen müssen‘. Und dieses Erpres­sungs­spiel gibt es überall in Europa. Ein kluger Weg, um da raus­zu­kommen, ist zu sagen, lass uns doch nicht jeder unsere eigene Düsen­flug­zeug­fa­brik, unsere eigene Mili­tär­hub­schrauber- und Panzer­fa­brik haben, sondern lass uns dafür sorgen, dass wir das Ganze euro­pä­isch angehen. Das würde dazu führen, dass die Stück­zahl – also Europa ist sehr groß, wir haben eine halbe Milli­arde Einwohner, 28 Mitglieds­staaten – wenn die unter­schied­li­chen Luft­waffen Europas sich koor­di­nieren würden – da machen wir Ausschrei­bungen und wer das gewinnt, kann dann also relativ viele verkaufen – dann würde das Argu­ment des dann noch verblie­benen Anbie­ters viel schwä­cher. Dass man jetzt unbe­dingt ständig expor­tieren müsse, um das Über­leben der Firma zu sichern oder um eine noch eini­ger­maßen akzep­table Stück­zahl sicher­zu­stellen. Sie sehen also: Manchmal gibt es über­ra­schende Effekte. Mehr Zusam­men­ar­beit bei den Sicher­heits­fragen, auch bei Rüstung in Europa, würde dem Export­druck für Rüstungs­er­zeug­nisse, der proble­ma­tisch sein kann, wenn man in Krisen­länder expor­tiert, maßgeb­lich redu­zieren helfen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hinweis: Dieser Text entspricht den aufge­zeich­neten O‑Tönen von Jakob von Weiz­sä­cker. Aufnah­me­datum: 01.06.18


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