Viel Schein, wenig Sein

Datum
02. Mai 2017
Autor*in
Rebecca Kelber
Redaktion
politikorange
Thema
#RuralFuture 2017
© Jonas Walzberg

© Jonas Walzberg

Jonas Walzberg

Beim Rural Future Lab trafen sich viele beein­dru­ckende, enga­gierte junge Menschen. Ein Ort der Visi­ons­bil­dung wurde es aber kaum: Wieso war das so? Ein Kommentar von Rebecca Kelber.

© Jonas Walzberg

Mitschreiben auf der Farm.                                                                                                                                   Foto: Jonas Walzberg

Das Rural Future Lab sollte eine Möglich­keit für junge Menschen aus dem länd­li­chen Raum sein, Politik mitzu­be­stimmen. Wir spre­chen bei der Konfe­renz nicht über, sondern mit den jungen Menschen aus dem länd­li­chen Raum“, sagte Entwick­lungs­mi­nister Gerd Müller über das Rural Future Lab zu Entwick­lungs­po­litik Online. Doch die 130 Teil­neh­menden kamen kaum dazu, tatsäch­lich über Probleme auf dem Land zu reden. Das lag auch an dem Programm­aufbau. Dabei klingt der aus dem Mund einer der Orga­ni­sa­to­rinnen logisch aufge­baut: Zuerst im März ein drei­tä­giger Kick-off Work­shop in Mecken­heim, dann beim Rural Future Lab in Berlin ein Tag mit Diskus­sionen und Ausflügen, am zweiten Tag Exkur­sionen zu muster­haften land­wirt­schaft­li­chen Betrieben in Bran­den­burg. Darauf aufbauend soll es dann am dritten Tag Zeit für Diskus­sionen geben und die Möglich­keit, Visionen zu entwi­ckeln.

Auch wenn Mohamed Kamal Ali Abdalla die Touren span­nend fand, an der beim Rural Future Lab teil­nahm, und Denk­an­stöße daraus mitnahm: Für die Diskus­sionen am dritten Tag hätten die Exkur­sionen nichts gebracht, so Abdalla. Die besich­tigten Betriebe wurden dafür auch zu wenig einge­ordnet, ihre Vor- und Nach­teile kaum reflek­tiert. Immer wieder sagt unser Guide auf der Busfahrt, wir sollten uns eine imagi­näre Rönt­gen­brille aufsetzen und die Struk­turen hinter den Betrieben sehen, die wir ansteuern. Nur einmal ermun­tert er zur Diskus­sion mit unserer Sitz­nach­barin oder unserem Sitz­nach­barn. Auch danach gibt es keinen offi­zi­ellen Programm­punkt, bei dem das Gese­hene reflek­tiert und einge­ordnet werden kann. Zwar haben viele der Teil­neh­menden einen Hinter­grund im Agrar­be­reich, doch für die Menschen, die keinen anderen deut­schen Betrieb gesehen haben, ist es schwer, das Gese­hene zu verglei­chen. So standen die Exkur­sionen für sich. Eine Teil­neh­merin vergleicht sie mit einem Schul­aus­flug.

Vierzig Mal Visionen in drei Minuten

Am nächsten Tag stellen 40 der Teil­neh­menden in je drei Minuten ihre Geschichte und Vision vor. Ihr sei es wichtig gewesen, die Leute selbst spre­chen zu lassen, das Poten­tial im Raum aufzu­zeigen, erklärt eine der Orga­ni­sa­to­rinnen. Aufgrund der vielen Teil­neh­menden gestalte es sich aber schwierig, über fast drei Stunden die Aufmerk­sam­keit zu halten.

So bleiben an diesem Tag schluss­end­lich nur drei Stunden, um die Themen zu disku­tieren, um die es auch bei der nach­fol­genden G20-Konfe­renz gehen soll: Infra­struk­tur­lö­sungen zum Beispiel, Ernäh­rungs­si­cher­heit oder Good Gover­nance und Finan­zie­rung sind die Problem­felder. Alle Teil­neh­menden werden durch­ge­zählt und so in sechs Gruppen à zwanzig Personen aufge­teilt. Sie disku­tieren drei der Themen je eine Stunde lang. Welche Bereiche das sind, können sie nicht selbst entscheiden, ihre Exper­tise und ihre Inter­essen bleiben unbe­rück­sich­tigt. Die Orga­ni­sa­to­rinnen von der GIZ erklären, dass das Losver­fahren für die World-Cafés dazu diene, dass sich die TN auch immer mal wieder mit anderen Themen und in neuen Grup­pen­for­ma­tionen ausein­an­der­setzen.

In den Räumen für die Diskus­sionen stehen an der Tafel drei konkrete Fragen zu den Themen, doch der Mode­rator drängt bei den Diskus­sionen in klei­neren Gruppen zur Eile, sodass kaum Zeit für offene Diskus­sionen bleibt. Statt­dessen geht es darum, sich möglichst schnell für bestimmte Schlag­wörter zu entscheiden. Dadurch fallen viele Ideen fallen unter den Tisch.

Auf die Frage, warum denn so wenig Zeit für die Diskus­sionen geplant worden sei, antwortet der zustän­dige Refe­rats­leiter vom BMZ, Olaf Deutsch­bein, dass sie ursprüng­lich eine fünf­tä­gige Konfe­renz hätten durch­führen wollen. Aber für die Teil­neh­menden wäre es wahr­schein­lich schwierig gewesen, sich eine ganze Woche frei zu nehmen. Dem Rural Future Lab ging deshalb ein drei­tä­giger Kick-off-Work­shop im März voraus, bei dem die Teil­neh­menden intensiv Zeit zur Diskus­sion hatten“, sagt er. Als zweiten Punkt nennt Deutsch­bein die Kosten, die durch zwei weitere Konfe­renz­tage entstanden wären.

© Jonas Walzberg

Brüten über dem besten Schlagwort.                                                                                                                   Foto: Jonas Walzberg

Sechs Schlag­wörter nach drei Stunden Diskus­sion

Abends werden dann die finalen Ideen aus jeder Gruppe den anderen Teil­neh­menden präsen­tiert. Die Präsen­ta­to­rinnen und Präsen­ta­toren versu­chen, die drei schluss­end­lich ausge­wählten Stich­wörter für die verschie­denen Themen mit Leben zu füllen, über die dann die Teil­neh­menden via Klat­schen abstimmen. Die Mode­ra­torin drängt zur Eile. Das Ergebnis sind allge­meine Forde­rungen: Bildung zum Beispiel oder Parti­zi­pa­tion. In der Feed­back­runde danach klingen viele Stimmen unzu­frieden: Er hätte gerne schon vorher in Gruppen zu dem Thema gear­beitet, die Zeit sei zu kurz gewesen, sagt ein junger Deut­scher und erntet viel Applaus. Olaf Deutsch­bein von BMZ versteht diese Kritik nicht. Sie hätten vorher den Entwurf der Charta von Berlin rumge­schickt und zu Anmer­kungen aufge­rufen, erklärt er. Bei der Schluss­prä­sen­ta­tion und der Feed­back­runde war er nicht dabei, genauso viele der Orga­ni­sa­to­rinnen und Orga­ni­sa­toren. Während es am zweiten Abend des Rural Future Labs einen Empfang mit dem Entwick­lungs­mi­nister Gerd Müller gab, war bei der Ergeb­nis­prä­sen­ta­tion niemand Hoch­ran­giges vom Minis­te­rium zugegen. Deutsch­bein ist über­rascht von der Kritik der Teil­neh­menden, von der er zum Zeit­punkt unseres Gesprächs noch nichts gehört hatte.

Undurch­sich­tige Auswahl der Präsen­tie­renden

Wer am nächsten Tag auf der G20-Konfe­renz die eigenen Vorschläge präsen­tieren darf, wird vom Minis­te­rium entschieden. Drei der fünf Menschen standen vorher schon fest, erklärt Deutsch­bein. Sie seien bei bei dem im Vorfeld orga­ni­sierten drei­tä­gigen Kick-off Work­shop mit 30 jungen Menschen aus Afrika im Vorfeld der Konfe­renz ausge­wählt worden. Kritik an dieser Praxis weist Deutsch­bein zurück. Von den unter­schied­li­chen Orga­ni­sa­toren seien Teil­nehmer ange­spro­chen worden, die sich in den Work­shops durch ihre Spre­cher­po­si­tion als Führungs­per­sön­lich­keiten hervor­getan hätten.

Als drei Tage voller Diskus­sionen und Visionen wird dann das Rural Future Lab bei der G20-Konfe­renz vorge­stellt. Vier der fünf Redner und Redne­rinnen erzählen ihre eigene Geschichte, statt über die Vorschläge zu reden. Es sind gute Erzäh­lungen, beein­dru­ckende, starke Persön­lich­keiten auf der Bühne. Danach über­gibt der fünfte Redner dem Minister ein Schild, auf dem die sechs finalen Worte zwischen passenden Zeich­nungen nett anzu­sehen sind.

Alle klat­schen.

Sie fühle sich vom BMZ zur Selbst­dar­stel­lung benutzt, erklärt eine Teil­neh­mende danach bei einem Glas Saft in der Lobby. Sie hätte gedacht, dass sie die Leute aussu­chen könnten, die ihre Ideen präsen­tieren. Und sie fände es komisch, dass einer der Präsen­tie­renden in seinem vorge­stellten Projekt selbst von Mitteln des BMZ profi­tiert hätte.

Präsentation Gründerinnen bzw. Gründer

Übergabe der Forderungen an den Entwicklungsminister Gerd Müller.      Foto: Jugendpresse Deutschland/Julian Kugoth

Fazit

Das Rural Future Lab hat viele beson­dere Menschen zusam­men­ge­bracht – auch das an sich ist eine Leis­tung des Entwick­lungs­mi­nis­te­riums. Viel­leicht wird aus diesen Begeg­nungen etwas entstehen. Dem Selbst­an­spruch, eine Parti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keit für junge Menschen zu bieten, ist es aber nur einge­schränkt gerecht geworden.


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