Kultur­kampf um Bier und Schnitzel: Der Perso­nen­kult um Söder und Weidel

Datum
10. Oktober 2025
Autor*in
Alma Jung
Redaktion
politikorange
Thema
#Politik
Yasin aribuga da MT4 OR3 Eac unsplash

Yasin aribuga da MT4 OR3 Eac unsplash

Foto von Yasin Arıbuğa auf Unsplash

Warum denken wir bei Markus Söder an Bier und Wurst und nicht an poli­ti­sche Inhalte? Und warum punktet Alice Weidel mit einem Schnitzel? Weil Kultur­kampf wirkungs­voller ist, als über die wirk­lich wich­tigen Dinge zu spre­chen. Ein Kommentar.

Poli­tiker lügen“ ist ein Vorwurf, der gesell­schaft­lich oft hohe Zustim­mung einheimst. Denn wie oft hat jede*r schon von Zielen, Wahl­ver­spre­chen oder Mottos gehört, die später im Sand verliefen? Ein gewisser Frust, eine Resi­gna­tion ist Futter für popu­lis­ti­sche Inhalte und Reden, die der Wut der Bürger*innen vermeint­lich Luft machen. In all dem Chaos halten sich dieje­nigen jedoch am besten, die nicht unbe­dingt immer bei ihren Aussagen bleiben. Es scheint fast so, als sei es wich­tiger, dass die Politiker*innen in diesem emotio­na­li­sierten Arbeits­feld bei sich selbst als Figur bleiben. Marken­ge­treu quasi. Wie wichtig sind Inhalte da noch?

Ganz klar ist: Wir erwarten, dass die Politik Lösungen für unsere Probleme findet. Für die großen, allge­meinen Probleme. Das ist der Job eines Gremiums wie dem Bundestag und dafür wählen wir, wen wir für kompe­tent halten. Zumin­dest in der Theorie. Da gibt es durchaus genug Menschen, die gern ihre eigene Energie in die Welt­ver­bes­se­rung stecken wollen, substan­ziell und inhalts­be­dacht. In der Praxis ist Politik jedoch viel durch Personen und Perso­nen­kult geprägt. Das geht so weit, dass beispiels­weise der baye­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder bis zu seinem Essen auf Insta­gram kaum etwas Privates auslässt, das ihm nutzen kann.

Aber wie nutzt ein Steak seiner poli­ti­schen Karriere? Wie jede*r Politiker*in es ein Stück weit tut, baut er sich mit seinem Baukasten aus Öffent­lich­keits­ar­beit eine geeig­nete Persona für den Wahl­kampf zusammen. Die Minder­heit der Wähler*innen liest sich alle Wahl­pro­gramme durch, viele Menschen wählen am Ende eben nach Sympa­thie. Dabei muss Söder“ nichts mit seiner wahren Privat­person zu tun haben, es muss nur wirkungs­voll über­zeugen.

Stroh­männer und co. – Retter der Sprache

Diese Sympa­thie, die setzt sich zusammen aus Punkten wie: Kann ich mich mit Kandidat*in XY iden­ti­fi­zieren? Da Markus Söder beispiels­weise öffent­lich­keits­wirksam immer wieder mit Bier­krügen und fleisch­las­tigem Essen abge­lichtet wird und sich so als Mann des baye­ri­schen Volks insze­nieren will, ist zweit­rangig, ob er tatsäch­lich Alkohol trinkt. Wenn die Show gelingt und die Wähler*innen erreicht wurden, dann ist auch das Ziel erreicht. Durch das dauer­hafte Framing Söders in Bezug auf die Grünen als Verbots­partei kann er sich auf der anderen Seite leicht gegen das Narrativ posi­tio­nieren.

Seine Insta­g­ram­posts zeigen nicht nur, dass er vermeint­lich Weiß­wurst mag. Sie sagen: Bei mir müsst ihr keine Angst vor Verboten haben. Die emotio­na­li­sierte Bezie­hung vieler Deut­schen zu Symbolen wie Schnitzel oder eben Bier wird gekonnt genutzt und Teil der Verlust­angst.

Alice Weidel rief auf dem Volks­fest in Gill­a­moos, sie werde sich ihr Schnitzel nicht wegnehmen lassen“. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist keines­wegs unüber­legt, sondern wirkungs­volles Kalkül. Perso­ni­fi­zierte Stroh­man­n­ar­gu­mente könnte diese Stra­tegie viel­leicht genannt werden. Niemand hat verlangt, Schnitzel zu verbieten“. Aber Alice Weidel wird alle, die jetzt Angst davor haben, vor dieser Bevor­mun­dung vermeint­lich beschützen. Sie erfindet ein Szenario, um sich indi­rekt mit der poten­ti­ellen Wähler­schaft dagegen zu posi­tio­nieren.

Auch der vorge­schla­gene Veggie-Day“ der Grünen als Idee für einen vege­ta­ri­schen Tag im Bundestag wurde aufge­griffen und von Gegner*innen stra­te­gisch genutzt. Das Gendern wurde eben­falls immer von denje­nigen erwähnt, die dagegen eiferten und sich ihre schöne deut­sche Sprache nicht kaputt­ma­chen lassen wollen. Dass Markus Söder am Ende wider­sprüch­lich zu seiner eigent­li­chen Anti-Verbots-Insze­nie­rung dann doch ein Verbot an baye­ri­schen (Hoch-)Schulen für Gender­stern­chen und co. einführte, war nicht weiter beachtet worden, weil er Gendern zuvor als ideo­lo­gi­sche Bevor­mun­dung geframed hatte und so seine Lands­leute vor einer anderen vermeint­li­chen Doktrin bewahrte.

Einer wie du und ich

Die Themen des Alltags, der Kultur­kampf, das sind oft nicht die essen­ti­ellen Fragen über Krieg und Frieden oder Leben und Tod. Trotzdem oder gerade deshalb können sie viel wirkungs­voller sein. Eine Spal­tung oder ein Gegen­satz kann bei der Frage Wurst, ja oder nein?“ leichter herge­stellt werden, wenn sich Konkur­renz-Parteien in substan­zi­ellen Ange­le­gen­heiten weniger angreifbar machen. Solang die Wähler*innen das Gefühl haben, dass etwas Unbe­quemes verhin­dert werden sollte und ihnen dann der*die Kandidat*in mit den vermeint­lich passenden Aussagen und Einstel­lungen gelie­fert wird, fühlen sie sich bei Söder oder Weidel sicher.

Er isst noch Weiß­wurst — also wird er mich nicht ermahnen. Der Maßkrug mit Bier ist neben der Weiß­wurst vermut­lich Markus Söders häufigster Selfie-Partner und schon fast ein Erken­nungs­merkmal. Und das, obwohl er selbst laut eigenen Aussagen nicht einmal Alkohol trinkt! Besser für die Gesund­heit. Dieses Beispiel zeigt auf absur­deste Weise, wie oft Essen der Poli­ti­sie­rung und dem Popu­lismus zum Opfer fällt und gern als Symbol genutzt wird. Es ist egal, dass Söder absti­nent ist, sein Politik-Ich trinkt jeden Maßkrug mit. Und so sind gewisse Bräuche, Konsum­güter oder ähnli­ches oft mit einer poli­ti­schen Rich­tung verwoben, zu deren Stecken­pferd oder Erken­nungs­zei­chen sie werden.

Jemand, der über die kleinen Dinge des Lebens redet, der wirkt außerdem eher wie ein netter Nachbar und authen­ti­scher als der klas­si­sche Berufs­po­li­tiker. Zuhörer*innen sind oft leichter abge­holt von entspre­chenden Anek­doten als verklau­su­lierten Geset­zes­ent­würfen zu abstrakten Szena­rien auf Staats­ebene.

Riskantes Ablen­kungs­ma­növer

Dass Angela Merkel selbst als Kanz­lerin noch einkaufen ging, war für viele ein Sympa­thie­punkt. Dass sie dabei natür­lich Perso­nen­schutz hatte, steht auf einem anderen Blatt. Spitzenpolitiker*innen können gar kein authen­tisch-normales Leben leben, aber sie werden trotzdem ange­halten, es zu insze­nieren. Denn solange die eigene Insze­nie­rung Erfolg hat, hat auch die eigene Karriere eine Chance und man wird gehört oder gewählt. Meis­tens beides.

Ein Werk­zeug wie dieses ist mäch­tiger als so mancher Inhalt, vor allem, wenn das Verständnis oder Inter­esse für die essen­ti­ellen Themen bei den Bürger*innen fehlt. Dass dieses Ablen­kungs­ma­növer einigen zu viel wird oder die verblie­benen Idealist*innen am Ende abstößt, ist wahr­schein­lich einfach nur mensch­lich. Rück­tritte wie der von Ricarda Lang aus dem Grünen-Vorstand werden nicht selten von der Aussage begleitet, man habe sich von der eigenen Person entfernt. Der Bier-Popu­lismus auf der anderen Seite ist wiederum kaum zu unter­schätzen, denn ein Fokus auf vermeint­li­chen Kultur­gü­tern“, die mit der Realität wenig gemein haben, sorgt für verscho­bene Debat­ten­kultur und eine Politik, die sich von den wirk­lich wich­tigen Dingen fort­lau­fend entfernt.


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