Politik jenseits der fünf Prozent

Datum
14. Februar 2023
Autor*in
Lovis Haß
Redaktion
politikorange
Themen
#AGHW23 #Politik
Wahlzettel Berlin-Wahl

Wahlzettel Berlin-Wahl

Wahlzettel Berlin-Wahl. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Saad Yaghi
Fern abseits der Wahl­sieger und ‑verlierer kämpfen die Klein­par­teien um jedes Zehntel. Die Wieder­ho­lungs­wahl wird somit zur Exis­tenz­probe. Ein Streifzug.

Sonn­tag­abend in Berlin Mitte. Die kleine Bar Parteso beher­bergt heute geschlos­sene Gesell­schaft. Die Stim­mung ist ausge­lassen. Bei Bier und Wein wird die Bericht­erstat­tung der Berliner Wieder­ho­lungs­wahlen verfolgt. Es werden Namen­s­childer getragen, die meisten kennen sich aber ohnehin. In den letzten 90 Tagen haben sie gemeinsam Wahl­kampf für die junge sozi­al­li­be­rale Euro­pa­partei Volt gemacht und heute ist Wahl­party.

Dass die Stim­mung so gut ist, liegt nicht nur in der Natur der Partei. Wir rechnen uns auch gute Chancen aus, den Erfolg von 1,1 Prozent bei der Abge­ord­ne­ten­haus­wahl 2021 zu toppen“, sagt Laura Spring­mann, Wahl­kampf­ma­na­gerin und Listen­kan­di­datin für das Berliner Abge­ord­ne­ten­haus. Damals trat Volt erst­mals auf Landes- und Bezirks­ebene an. Nach der Pannen­wahl ist man nun zu einem zweiten Wahl­kampf gezwungen. Der birgt viele Hinder­nisse, vor allem für Klein­par­teien.

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Volt macht Wahlwerbung. Foto: Cara Seeberg

Wahl­kampf auf Spar­flamme?

Der vergan­gene Wahl­kampf sei demnach völlig anders“ gewesen als jener im September 2021. Und zwar kalt, dunkel und nass. Im Vorder­grund aber standen die enorm geschmä­lerten Ressourcen. Die Partei lebt vor allem von frei­wil­liger Unter­stüt­zung. Im so spon­tanen Wahl­kampf seien zum Beispiel viele Arbeit­nehmer verhin­dert und in der heißen Phase versanken die Studie­renden in ihren Prüfungen.

Ein Wahl­kampf lässt sich eben nicht einfach so aus dem Ärmel schüt­teln. Während große Parteien über Rück­lagen verfügen, ist dies bei kleinen und häufig neueren Parteien nicht der Fall. Das Wahl­kampf­budget von Volt sank von 100.000 Euro im Jahr 2021 auf nunmehr nur noch 30.000 Euro. Statt 12.000 wurden nur noch 3.000 Plakate plat­ziert. Auf viele Veran­stal­tungen und Aktionen musste laut Spring­mann verzich­tetet werden.

Aus dem Wahl­kampf 2021 lernte man, seine begrenzen Mittel effi­zient einzu­setzen. Werbung beispiels­weise wurde beinahe komplett auf digi­tale Kanäle verla­gert. Dennoch sehe man die Gunst der Stunde bei sich. Probleme und Krisen bestimmten die Stadt­po­litik der letzten Jahre. Dabei entstünde bei vielen Bürger*innen das Gefühl der Unfä­hig­keit bei den etablierten Parteien. Der Umstand, dass jetzt eine gesamte Wahl wieder­holt werden muss, unter­streicht diesen Eindruck. Die Wahl­wie­der­ho­lung könnte nun der Anlass sein, jenen frischen Parteien die Möglich­keit zu geben, es besser zu machen. Und tatsäch­lich: Bereits 2021 stimmten ganze 12,5 Prozent der Berliner für die soge­nannten Sons­tigen“, also Parteien unter­halb der Fünf­pro­zent­hürde.

Grund­sätz­lich also eine komfor­table Ausgangs­si­tua­tion für die bunte Mischung der Berliner Klein­par­teien. Auch bei der Tier­schutz­partei geht man entspre­chend opti­mis­tisch in die erneute Wahl. 2021 ist sie mit 2,2 Prozent die größte unter den Kleinen gewesen. Und ähnlich wie bei Volt hat man in den vergan­genen andert­halb Jahren weiter an Sicht­bar­keit gewonnen. Zusätz­lich konnte die Tier­schutz­partei in drei Berliner Bezirks­par­la­mente einziehen und dort auf sich aufmerksam machen. Zeit­weise wurden ihr sogar bis zu vier Prozent prognos­ti­ziert.

Es geht um Alles

Doch lange nicht alle Klein­par­teien gehen so zuver­sicht­lich in die Wahl. Als brutal unge­recht“ empfindet Florian Kobler die Voraus­set­zungen für die erneute Wahl. Er ist Wahl­kampf­leiter der Klima­liste, welche 2021 0,4 Prozent der Stimmen erhielt. Das Innen­mi­nis­te­rium habe die Pannen­wahl zu verant­worten. Und während die etablierten Parteien jetzt um Sitze im Parla­ment kämpfen, kämpfen wir um unser poli­ti­sches Über­leben.“ Die Wahl­kampf­helfer würden sich alle ehren­amt­lich und aus Über­zeu­gung enga­gieren. Einer gewissen Finan­zie­rung bedürfe es trotzdem.

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Großes und weniger großes Wahlplakat am Oranienburger Platz. Foto: Lovis Haß

Für die Finan­zie­rung von Klein­par­teien sind zum einen Spenden rele­vant, zum anderen aber insbe­son­dere staat­liche Mittel in Form von Wahl­kampf­kos­ten­er­stat­tung. Dafür bedarf es auf Landes­ebene jedoch einem Zweit­stimm­an­teil von mindes­tens einem Prozent. Diesen wiederrum ohne konkur­renz­fä­higen Wahl­kampf zu errei­chen, ist eine Herku­les­auf­gabe.

So geht es auch Sonn­tag­abend in der kleinen Bar Parteso um mehr, als die muntere Atmo­sphäre es vermuten lässt. Während ab 18 Uhr erste Hoch­rech­nungen eingehen und die CDU als großer Gewinner fest­steht, muss man sich hier noch gedulden. Die Klein­par­teien werden als sons­tiger Block geführt, Rück­schlüsse auf das Abschneiden von Volt lassen sich jetzt noch nicht ziehen.

Nachdem zehn Prozent der Stimmen ausge­zählt sind, wird der Vorstand regel­mäßig durch das Büro des Wahl­lei­ters mit den vorläu­figen Ergeb­nissen versorgt. Gegen 20 Uhr ist es dann erst­mals an diesem Abend so weit: Volt steht bei 0,9 Prozent. Jetzt müssen wir zittern“, urteilt Mitglied Anke bangend.

Die aussichts­rei­cheren Wahl­kreise werden zwar noch ausge­zählt, aber das Ergebnis will sich nicht mehr ändern. Cara Seeberg, die Vorsit­zende von Volt Berlin, zeigt sich enttäuscht. Das ist schade und unnötig, weil wir das Prozent ja eigent­lich schon hatten.“ Das Geld hätte es der Partei in der nächsten Zeit deut­lich einfa­cher gemacht. Dennoch bleibt ein Funke Opti­mismus: Nach unseren Möglich­keiten haben wir trotzdem ein gutes Ergebnis erzielt und stehen sowieso erst am Anfang von noch viel mehr.“


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