Like me if you can!

Datum
13. Juni 2015
Autor*in
Annkathrin Lindert
Redaktion
politikorange
Thema
#JMWS15
Like_Sarah-Reid_flickr_CC-BY_2-0_1

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Zwanzig Likes – gute Laune. Fünf Likes – tiefste Depres­sion. Warum werde ich bei Insta­gram zur Selfie­queen? Ein Seelen­strip­tease.

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Daumen hoch fürs Selbstbewusstsein (Sarah Reid, flickr.com, CC-BY 2.0)

Mayfair ist gut. Als würde mein Gesicht mit warmen Honig über­gossen. Ich sehe süß aus. Die Schatten betonen meine Wangen­kno­chen. Und verste­cken diesen kleinen roten Fleck an meinem Kinn. Ich wähle den Filter aus. Hash­tags #gute­Zeit und #love­of­my­life. Standort? Auf der Sonnen­seite des Lebens. Ich werde unruhig, als das Hoch­laden länger dauert als sonst. Jetzt nur noch auf Likes warten. Das erste kommt nach 30 Sekunden. Rekord. Ich freue mich, aber ich will mehr.

Marme­la­den­glas­mo­mente

Mein Leben auf Insta­gram ist film­reif. Eine Anein­an­der­rei­hung von Marme­la­den­glas­mo­menten – nur konser­viert im Netz. Ich grinse glück­selig in die Kamera, schlürfe Brok­koli-Smoothies und laufe Mara­thon. In Wahr­heit fläze ich in Jogging­hose auf der Couch, esse Chips und suche nach dem besten Filter für mein Foto. Aber das sieht ja niemand.

Fünf­zehn Minuten später checke ich die Likes wieder. Fünf­zehn Herz­chen ploppen in einem kleinen oran­ge­far­benen Viereck auf. Und in mir ein Glücks­ge­fühl. Yes. Ich fühle mich gut. Die Bestä­ti­gung macht mich high. Insta­gram ist der Joint für mein Ego. Kommen­tare sind fast noch besser als Herz­chen. Das Ecstasy für den Ego-Trip. Nice!“ – Musik in meinen Ohren. Dabei bin ich noch lange kein Profi. Es gibt User, die viel mehr Likes und viel mehr Follower haben. Für meine Selbst­op­ti­mie­rung ist also noch Luft nach oben.

Es stört mich, dass mein Selfie nach zwanzig Minuten nur zwanzig Herz­chen wert ist. Kein guter Schnitt. Genervt touche und tippe ich auf dem Bild­schirm herum. Als würde das etwas an meiner verzwei­felten Lage ändern. Aber stopp mal. Was mache ich da eigent­lich?

Inhalts­lo­sig­keit

Eigent­lich wollte ich das alles gar nicht. Eigent­lich ist das gar nicht meine Art, so ober­fläch­lich. Eigent­lich habe ich mich nur auf Insta­gram ange­meldet, um mal zu gucken“. Eigent­lich. Unei­gent­lich bin ich schon längst ein Like-Junkie. Aber wieso? Viel­leicht, weil ich im Offline-Leben gar nicht so selbst­si­cher bin wie online. Viel­leicht, weil ich mir selbst nicht genüge. Insge­heim lechze ich nach Aner­ken­nung. Ständig und überall werde ich bewertet, es geht darum, wer zu sein. Schule, Studium, Beruf. Eine Ziffer für meinen Gesell­schafts­wert. Daumen hoch fürs Selbst­be­wusst­sein.

Viel­leicht mache ich mir es aber auch zu einfach. Viel­leicht bin ich schlichtweg egois­tisch. Das Sammeln von Likes als konse­quente Evolu­tion des Homo oeco­no­micus. Die Währung des digi­talen Zeit­al­ters sind kleine blaue Däum­chen. Und wer hat, der hat – mehr Aufmerk­sam­keit und mehr Möglich­keiten. Sich das einzu­ge­stehen tut irgendwie weh. Ein kleiner Piks, kurz ober­halb der Magen­ge­gend.

Übri­gens geht uns das alle an. Lob hört jeder gern. Egal wie unab­hängig, egal wie alter­nativ. Aber ein Logout ist auch keine Lösung. Soziale Netz­werke und unser soziales Leben sind untrennbar verbunden. Gut, auch ohne Insta­gram ist zivi­li­siertes Leben möglich. Aber wir müssen uns doch für digi­tale Liebes­be­kun­dungen nicht schämen. Wir alle haben einen Daumen nach oben verdient. Nur dafür, dass wir echt sind. Ohne kleb­rigen Honig über dem Gesicht. Ich poste jetzt ein Selfie. Ohne Filter. Und dann warte ich auf Likes.


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