Mafia und Menschen­rechte: Der Mahner von Palermo

Datum
16. Juni 2015
Autor*in
Jan Nölke
Redaktion
politikorange
Thema
#JMWS15
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Kaum ein Bürger­meister lebt gefähr­li­cher als Leoluca Orlando: Der Sizi­lianer kämpft gegen die Mafia und setzt sich für eine gerech­tere Flücht­lings­po­litik ein. Jan Nölke und Vivi­enne Scharff stellen den 67-jährigen Poli­tiker vor.

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Leoluca Orlando (Bildmitte) bei der European Summer School 2011 (Foto: Alberto Novi, flickr.com, CC-BY-NC-SA 2.0)

Prolog: Leoluca Orlando ist eigent­lich kein Gesprächs­partner zum Thema Digi­ta­li­sie­rung. Dass unsere Redak­tion dennoch den italie­ni­schen Poli­tiker spontan in Berlin getroffen hat, ist Claudia Roth zu verdanken: Als die Bundes­tags­vi­ze­prä­si­dentin hörte, dass ein Programm­punkt des Jugend­me­di­en­work­shops kurz­fristig ausfallen musste, stellte sie prompt den Kontakt zum Bürger­meister von Palermo her.

Palermo ist ein Mosaik, welches einen Rahmen braucht“, so beschreibt der Bürger­meister seine Heimat­stadt. In der Vergan­gen­heit sei Palermo vor allem von der katho­li­schen Kirche und der Mafia in Koope­ra­tion mit aris­to­kra­ti­schen Fami­lien bestimmt worden. Die Bevöl­ke­rung habe es nicht anders gekannt, erzählt Orlando – jeder wusste Bescheid und doch redete niemand. Die Macht der Mafia war so groß, dass niemand an ihre Schmä­le­rung glaubte.

In einigen Köpfen kam es 1980, nach der Ermor­dung des sizi­lia­ni­schen Präsi­denten, zu einem Umdenken. Auch bei Orlando. Schritt für Schritt schaffte er es, aus der Welt­haupt­stadt der Mafia die Welt­haupt­stadt der Anti-Mafia und der Rechte zu machen. Dieser vorher undenk­bare Wandel war nur möglich, weil Orlando sein Ziel immer vor Augen behielt und niemals die Hoff­nung auf eine Besse­rung aufgab.

Der Früh­ling Palermos

Als Leoluca Orlando 1985 zum ersten Mal zum Bürger­meister von Palermo gewählt wurde, war die Macht der Mafia, die er bekämpfen wollte, gewaltig. Es brauchte viel Durch­hal­te­ver­mögen, einen struk­tu­rierten Plan und einen eisernen Willen. Zunächst sollten keine von der Mafia kotrol­lierten Firmen mehr Aufträge vom Staat erhalten. Trotz des Protests, der von der Bevöl­ke­rung ausging, hielt Orlando an seiner Über­zeu­gung der zivilen Erneue­rung fest und enga­gierte sich, unbe­ein­druckt von Gefahren und Drohungen, im poli­ti­schen Kampf gegen die Mafia.

Sein größter Erfolg trat 1991 ein, als die Bewohner*innen Palermos Orlando ihre Kinder als stän­dige Beglei­tung anboten, um so einen Bomben­an­schlag der Mafia zu verhin­dern. Zwar lehnte Orlando das Angebot ab, brach jedoch gemeinsam mit den Frauen das Omerta-Schweigen über Mafia­ak­ti­vi­täten, welches bis dahin die Regel gewesen war. Heute bezeichnet man diese Zeit als Prima­vera di Palermo“, den Früh­ling Palermos.

Io sono persona“ – Ich bin eine Person“

Man könnte meinen, Orlando habe in seinem Leben genug erreicht und könne sich zurück­lehnen und die italie­ni­sche Sonne genießen. Doch das ist für ihn undenkbar. Io sono persona“ ist der Leit­satz der Charta von Palermo, die Orlando in Zusam­men­ar­beit mit dem Rat der Kulturen in diesem Jahr auf den Weg bringt. Die Worte bedeuten für ihn, dass jeder Mensch ein unver­äu­ßer­li­ches Recht auf Frei­zü­gig­keit und Mobi­lität hat. Dieses Recht dürfe nicht weiter in der Gesetz­ge­bung igno­riert werden. Im Kern fordert die Charta die Abschaf­fung der Aufent­halts­ge­neh­mi­gung und des mit ihr verbun­denen unge­heuren Büro­kra­tie­auf­wands für Migrant*innen. Kein Mensch hat den Ort, an dem er geboren wird, ausge­sucht oder sucht sich diesen aus. Jeder Mensch hat den Anspruch darauf, den Ort, an dem er leben, besser leben und nicht sterben möchte, frei zu wählen“, heißt es in der Charta von Palermo.

Bei seinem Besuch in Berlin trat Orlando als außer­ge­wöhn­lich authen­ti­scher Poli­tiker auf, der mit vollem Einsatz hinter seinen Vorhaben steht. Ihn, seine Geschichte und die Charta kennen­zu­lernen, war eine einzig­ar­tige Erfah­rung, über die wir noch lange nach­denken werden.


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