Lasst Aktionen statt Worte spre­chen! Inter­view mit Stephanie Haury

Datum
31. August 2014
Autor*in
Mona Ruzicka
Redaktion
politikorange
Thema
#Jugendforum Stadtentwicklung 2014
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Das Bundes­mi­nis­te­rium für Umwelt, Natur­schutz, Bau und Reak­tor­si­cher­heit (BMUB) hat das Jugend­forum initi­iert. Maßgeb­lich daran betei­ligt war Stephanie Haury. poli­ti­ko­range hat sie getroffen und über Pilot­pro­jekte, die Chancen von Jugend­li­chen in der Stadt­ent­wick­lung und sinn­lose Gesetze gespro­chen.

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Stephanie Haury, 41 Jahre alt, wohnt in Bonn und arbeitet im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Dort befasst sie sich in der Forschung mit Jugendlichen und Stadtentwicklung. Freiraumforscherin wäre eine passende Bezeichnung, meint sie, obwohl sie sich selbst nicht so nennen würde. Foto: Dustin Sattler.

Warum sind Frei­räume für eine Stadt und die Stadt­be­wohner so wichtig? Welche Funk­tion erfüllen sie, insbe­son­dere für Jugend­liche?

In erster Linie sind Frei­räume Treff­punkte und Flächen zum Austausch. Für Jugend­liche sind Frei­räume auch Orte der Präsen­ta­tion, um soziale Rollen zu erproben und auch um mit Erwach­senen zusam­men­zu­treffen. Sie brau­chen auch einen Raum, um sich zurück­zu­ziehen, aber auch mal laut zu sein. Durch die gesell­schaft­liche Mischung müssen Frei­räume immer wieder ausge­han­delt werden, da kann kein Stadt­planer eine Nutzung fest­legen. Letzt­end­lich entscheiden die Anwohner wie sie den Frei­raum nutzen.

Welche Möglich­keiten haben Jugend­liche, sich Brach­flä­chen oder öffent­liche Plätze anzu­eignen?

Es gibt auf jeden Fall viele Projekte in denen sich Jugend­liche zusammen finden, die ein gemein­sames Inter­esse, wie zum Beispiel eine Sportart, haben. Diese Gruppe eignet sich dann eine Frei­fläche an und nutzt diese. Das nennt sich das bottom-up Prinzip. Im top-down Ansatz stellt die Stadt eine Fläche zur Verfü­gung. Für diese Fläche können Jugend­liche ihre Ideen zur Nutzung der Fläche vorstellen und letzt­end­lich bekommt eine Gruppe die Fläche zur Verfü­gung gestellt. Gene­rell wünsche ich mir aber, dass sich Jugend­liche mehr in der Stadt­ent­wick­lung enga­gieren. Natür­lich ist das auch mit einem großen Zeit­auf­wand verbunden. Durch zum Beispiel Leit­fäden oder Praxis­bei­spiele versu­chen wir Jugend­li­chen die Möglich­keiten aufzu­zeigen.

Ideen und Wünsche zur Nutzung von Flächen gibt es viele, oft schei­tern diese aber an den büro­kra­ti­schen Hürden. Was kann das BMUB tun, um die Parti­zi­pa­tion den Jugend­li­chen zu erleich­tern?

Gene­rell kann das BMUB wegen des kommu­nalen Selbst­ver­wal­tungs­rechtes wenig Konkretes in den Kommunen anstoßen. Wir probieren aber, über Beispiele anhand von Pilot­pro­jekten und mit Hilfe einer Fibel, Jugend­liche über ihre Rechte und die Möglich­keiten zu infor­mieren. Der Abstand zwischen dem Bundes­mi­nis­te­rium und den Jugend­li­chen ist aller­dings unglaub­lich groß. Deswegen muss es vor Ort Anlauf­stellen für Jugend­liche geben.

Welche Chancen und Poten­ziale sieht das BMUB in der Betei­li­gung von Jugend­li­chen in der Stadt­ent­wick­lung?

Wenn Räume für Jugend­liche entworfen werden, sollten auch Jugend­liche gefragt werden, wie diese Räume aussehen könnten. Indem man die Jugend­li­chen von heute in die Stadt­ent­wick­lung mit einbindet, sensi­bi­li­siert man die Erwach­senen von Morgen für stadt­po­li­ti­sche Themen. Wir Stadt­planer mussten lernen, dass Stadt ohne bürger­liche Betei­li­gung nicht funk­tio­niert. Stadt­planer haben nur einen begrenzten Einfluss. Es sind die Projekte der Bürger, die Städte erst richtig lebendig machen. Indem wir Jugend­liche dafür begeis­tern, erhoffen wir uns eine gewisse Nach­hal­tig­keit.

Über Jugend­liche im öffent­li­chen Raum wird nicht nur wohl­wol­lend gespro­chen. Es gibt häufig Konflikte rund um Lärm, Alko­hol­konsum und Müll. Wie lassen sich diese Probleme vermeiden oder lösen?

Konflikte mit Lärm gibt es immer, in jeder Nach­bar­schaft, bei jedem Fest. Das ist kein spezi­fi­sches Problem der Jugend­li­chen. Solche Konflikte sind in einer Stadt ganz normal und lassen sich nicht vermeiden, die kommen schon durch die Viel­falt der Bewohner. Ich finde bei diesen Themen muss man offen und tole­rant aufein­ander zugehen, Kommu­ni­ka­tion ist das wich­tigste. Die Stadt und auch Nach­barn müssen es dulden, wenn ab und an ein Konzert statt­findet, aber auch wenn ein Stra­ßen­fest gefeiert wird. Dafür sollte es zu anderen Zeiten auch leise sein.

Einige Projekte, wie Beset­zungen von Frei­flä­chen, entschließen sich bewusst dazu, nicht den Weg über die Behörden zu nehmen. Sie befürchten, dass ihr Projekt sowieso nicht geneh­migt wird. Ist das ein Mittel um auf die Probleme von Frei­flä­chen aufmerksam zu machen?

Verän­de­rungen kommen durch Expe­ri­mente. Entwick­lung heißt auch, etwas anders zu machen und Grenzen zu über­schreiten. Deshalb ist es manchmal sinn­voll, Dinge außer­halb von Regu­la­rien umzu­setzen und Gesetze zu hinter­fragen. Wenn eine Bank einfach ohne Geneh­mi­gung auf einen Fußgän­gerweg gebaut wird und alle sie nutzen, dann sollte die Verwal­tung über­legen, Gesetze anzu­passen. Ich finde im kleinen und kreativ umge­setzten Rahmen ist es wichtig, sich zu über­legen, wie Ausnahmen ausge­han­delt werden können. Das ist ein wich­tiger Prozess, um Städte zu verän­dern. Wenn niemand etwas auspro­biert, weiß der Gesetz­geber auch nicht, was möglich ist. Aktionen haben außerdem auch eine viel größere Wirkung als ein Brief.

Nach dem Work­shop­wo­chen­ende wir das Konzept­pa­pier der Jugend­li­chen über­reicht und im Minis­te­rium disku­tiert. Was wurde von den letzten Jahren bereits umge­setzt, wie ernst nimmt das Minis­te­rium die Meinung der Jugend­li­chen?

Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Forschungs­pro­jekte umge­setzt. Dadurch ist im Minis­te­rium eine ganz neue Sicht­weise auf das Thema Jugend­liche und Stadt entstanden, das ist momentan ein sehr wich­tiges Thema. Bei der letzten Bauge­setz­buch­än­de­rung wurde aufge­nommen, dass Kinder und Jugend­liche explizit an der Stadt­ent­wick­lung zu betei­ligen sind. Jetzt kann sich keine Kommune mehr dagegen wehren. Dass diese Themen perma­nent auf der Agenda des Minis­te­riums stehen, dazu hat sicher­lich auch das Jugend­forum beigetragen. Auf Anre­gung des letzten Jugend­fo­rums schreiben wir jetzt ein Projekt aus, bei dem eine Rech­te­fibel für Jugend­pro­jekte entstehen soll. Ich denke, es ist wichtig, dass das Minis­te­rium sich bei neuen Projekten von Jugend­li­chen beraten lässt und deren Hand­lungs­emp­feh­lungen mit einfließen.

5 Fragen an Stephanie Haury

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Freiraumforscherin Stephanie Haury steht uns Rede und Antwort. Foto: Dustin Sattler.

Wo hast du früher mit Freunden in der Stadt/​dem Dorf abge­hangen?

Wir waren rich­tige Land­eier und saßen in der Natur auf Baum­häu­sern.

Was ist dein Frei­raum?

Mein Frei­raum ist der Raum, den ich mir selbst nehme.

Was machst du damit, wenn man dir 10 qm Rasen schenkt?

Schafe ansie­deln.

Was inspi­riert dich?

Mich inspi­rieren unsere Jugend­pro­jekte und die enga­gierten Menschen, die ich in den letzten Jahren kennen gelernt habe.

Welche Frage hätten wir dir noch stellen sollen?

Warum sich das Bundes­bau­mi­nis­te­rium über­haupt für Jugend­liche inter­es­siert.


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