Kolo­niales Erbe in Kinder­bü­chern

Datum
29. März 2018
Autor*in
Yannic Walther
Redaktion
politikorange
Thema
#IWgR 2018
Pippi-Langstrumpf-Puppe

Pippi-Langstrumpf-Puppe

Die Debatte um rassis­ti­sche Begriffe in Kinder- und Jugend­li­te­ratur hatte 2013 ihren Höhe­punkt in Deutsch­land erreicht. Was ist heute von der Diskus­sion geblieben? Yannic Walther hat nach­ge­forscht.

Pippi-Langstrumpf-Puppe

Pippi Langstrumpf, Romanheldin nur für weiße Kinder? / Foto: Sigismund von Dobschütz, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Ein Zeit-Inter­view mit der dama­ligen Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­terin Kris­tina Schröder löste 2013 eine Debatte über Diskri­mi­nie­rung in Kinder­li­te­ratur aus. Schröder erklärte, sie würde ihrer Tochter Wörter wie Neger­könig“ zeit­gemäß über­setzen. Ihr Kind solle keine rassis­ti­schen Ausdrücke gebrau­chen, die in Klas­si­kern wie Pippi Lang­strumpf“, Jim Knopfoder Die kleine Hexeauftau­chen. Später wolle Schröder ihrer Tochter erklären, was das Wort Neger‘ für eine Geschichte hat und dass es verlet­zend ist, das Wort zu verwenden“.

Unlängst hat nicht nur bei Eltern, sondern auch bei Verlagen ein Bewusst­seins­wandel einge­setzt. Den Neger­könig“ hätte Schröder mit der Neuauf­lage nicht mehr selbst übersetzen müssen. Der Kapitän und Vater der Roman­heldin Pippi Lang­strumpf aus Astrid Lind­grens gleich­na­migen Roman wurde mit der Ausgabe von 2009 in einen Südsee­könig“ umbe­nannt. Auch in Otfried Preußlers Die kleine Hexeverschwand das N‑Wort im Zuge einer 2013 vorge­nom­menen Anpas­sung an den modernen Sprach­ge­brauch. Eine einheit­liche Vorge­hens­weise, wie mit umstrit­tenen Begriffen verfahren werden soll, gibt es bis jetzt aller­dings noch nicht. In der 2015 erschienen Jubiläumsaus­gabe von Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tivführerwurde das N‑Wort beibe­halten.

Die Überar­bei­tung von Buch­klas­si­kern wurde kontro­vers disku­tiert, Kritiker spra­chen von Zensurund von einem Vergehen an der Lite­ratur. Der Jour­na­list und Lite­ra­tur­kri­tiker Ulrich Greiner gehört zu den Gegnern der veränderten Versionen. Er traut Kindern durchaus zu, dass sie rassis­ti­sche Wörter kritisch hinter­fragen. Man müsse sie Erfah­rungen mit der Geschicht­lich­keit von Texten sammelnlassen. Niemand werde wegen Kinderbüchern rassis­tisch.

Wolf­gang Benz, der bis 2010 Leiter des Zentrums für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung an der TU Berlin war, sieht das anders. Früh erlernte stereo­type Bilder würden das Welt­bild Erwach­sener maßgeb­lich beein­flussen. Als Beispiel nennt er den dama­ligen Finanz­mi­nister Wolf­gang Schäuble. Auf der ersten deut­schen Islam­kon­fe­renz gab Schäuble 2010 zu, dass sein Bild des Islams ursprünglich durch die Bücher von Karl May geprägt wurde.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sich das für mich anfühlt, wenn ich das Wort lesen oder hören muss.“

In einem Brief an die Zeit-Redak­tion schil­derte die damals neunjährige Leserin Ishema Kane 2013 ihre Erfah­rungen mit Rassismus in Kinderbüchern: Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sich das für mich anfühlt, wenn ich das Wort lesen oder hören muss. Es ist einfach nur sehr, sehr schreck­lich. Mein Vater ist kein Neger und ich auch nicht. Das selbe gilt für alle anderen Afri­kaner!

Doch es geht nicht nur um einzelne Wörter, auch struk­tu­reller Rassismus ist ein Problem in Kinderbüchern. Posi­tive und nega­tive Rollen­bilder können mitunter nah beiein­ander liegen. In Pippi Lang­strumpf sah die Frau­en­be­we­gung ein lite­ra­ri­sches Vorbild. Pippi ist rebel­lisch, übermensch­lich stark und selbstständig. Figuren, die sich gegen autoritäre Struk­turen wehren, gab es in den Kinderbüchern der Nach­kriegs­zeit, die oft vom braven Nach­wuchs handelten, nicht.

Die Erzie­hungs­wis­sen­schaft­lerin Maisha-Maureen Auma fragt sich, ob Pippi Lang­strumpfdiese Eman­zi­pa­tion nur weißen Kindern vorlebt. In einem Artikel hat sie Passagen der drei­tei­ligen Buch­reihe aufgezählt, die ein kolo­niales Welt­bild wider­spie­geln. So erzählt Pippi in Schweden Reise­ge­schichten von Kenia, wo es keinen einzigen Menschen gibt, der die Wahr­heit sagt, und träumt von ihrem zukünftigen Leben als Neger­prin­zessin. Ihr Vater, Kapitän Lang­strumpf, gestrandet auf einer Südsee­insel, hat sich unlängst zum König über die dortige Schwarze Bevölkerung ernannt.

Moderne Romane schaffen posi­tive Iden­ti­fi­ka­ti­ons­mög­lich­keiten für Kinder aller Haut­farben.

Dass die lite­ra­ri­sche und visu­elle Wahr­neh­mung der eigenen Identität eine wich­tige Rolle für das Selbst­wertgefühl von Kindern spielt, denkt auch die Diplompädagogin Annette Kübler. Wenn in Kindererzählungen weiße Menschen über Schwarze herr­schen, beein­flusse das sowohl das Welt­bild Schwarzer, als auch weißer Kinder. In einer Broschüre des Anti-Bias-Netzes erklärt Kübler: Zur Entwick­lung ihrer Berufswünsche orien­tieren sich Kinder zum Beispiel an den Abbil­dungen und ziehen ihre Schlüsse daraus. Wenn sie keine Schwarze Pilotin oder keinen Schwarzen Arzt­helfer sehen, denken sie, der Beruf ist nicht für sie gedacht.

Autoren und Verlage versu­chen deshalb, in neuen Kinder- und Jugendbüchern posi­tive Iden­ti­fi­ka­ti­onsmöglich­keiten für alle Kinder zu schaffen. Die soge­nannten vorur­teils­be­wussten“ Kinderbücher brechen mit rassis­ti­schen Stereo­typen und versu­chen, verschie­dene Lebens­realitäten zu vermit­teln.

Auch der Sommer der Migra­tion 2015 ging nicht spurlos am Bücher­markt vorbei. So erzählt beispiels­weise Peter Härtling in Djadi, der Flüchtlings­jungevon Flucht, Ankunft und Inte­gra­tion. Solche Bücher sollen einen Beitrag dazu leisten, dass Kinder ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund die Situa­tion der Neuenin Kinder­garten und Schul­klassen verstehen. Darüber hinaus soll sich die nächste Gene­ra­tion der einst­mals Geflüchteten mit den eigenen Fami­li­en­ge­schichten in den Büchern wieder­finden können.

Doch auch in älteren Kinder- und Jugendbüchern lassen sich kriti­sche Ausein­an­der­set­zung mit Rassismus finden. In Michael Endes 1960 erst­mals veröffent­lichtem Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tivführer“ erklärt der Schein­riese Tur Tur: Wenn sie selber zum Beispiel weiß sind, dann sind sie überzeugt, nur ihre Farbe wäre richtig und haben etwas dagegen, wenn jemand schwarz ist. So unvernünftig sind die Menschen bedau­er­li­cher­weise oft.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild