Kann Quali­täts­jour­na­lismus messbar sein?

Datum
28. September 2016
Autor*in
Sandra Kluck
Redaktion
politikorange
Thema
#Zeitungskongress 2016
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Jonas Walzberg
Wenn Medi­en­häuser um die Gunst von Lesern und Lese­rinnen werben, ist Qualität ein entschei­dender Wett­be­werbs­vor­teil.

Wenn Medi­en­häuser um die Gunst von Lesern und Lese­rinnen werben, ist Qualität ein entschei­dender Wett­be­werbs­vor­teil. Das System Cockpit“ wurde auf dem BDZV 2016 von Dr. Wolfram Kiwit, Chef­re­dak­teur der Ruhr Nach­richten und Bernd Weber, Geschäfts­führer der mct Medi­en­agentur, vorge­stellt. Sandra Kluck hakt nach.

Wie schon viele Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen sahen sich auch Wolfram Kiwit und seine Redak­tion mit erheb­li­chen Verän­de­rungen ihrer Arbeits­be­din­gungen konfron­tiert. Durch den Wegfall der Konkur­renten West­deut­sche Allge­meine Zeitung und West­fä­li­sche Rund­schau gab es kaum noch Vergleichs­mög­lich­keiten in der Dort­munder Pres­se­land­schaft. Der Lokal­teil der beiden Medien wird nun gänz­lich von den Ruhr Nach­richten produ­ziert. Gleich­zeitig ist der Wett­be­werb im heutigen digi­talen Zeit­alter so viel­fältig wie nie zuvor – die Leier von der Digi­ta­li­sie­rung ist allseits bekannt.

Objek­ti­vität statt Bauch­ge­fühl

Für Kiwit und Kollegen bedurfte es eines neuen Maßstabs für die eigene Arbeit. Mono­me­dial“ sei man damals noch vorge­gangen, erzählt Kiwit und erin­nert an die drei vor ihm auf dem Tisch ausge­brei­teten Tages­aus­gaben der Dort­munder Lokal­presse. Das sei lange Zeit eine gängige Quali­täts­kon­trolle gewesen, indem man darüber gemeinsam disku­tiert hat, was die Konkur­renz gut gemacht habe.

Der Schwund dieser Vergleichs­mög­lich­keit stellte einen Schlüs­sel­mo­ment für die weitere Entwick­lung des redak­tio­nellen Quali­täts­ma­nage­ments dar; Kiwit unter­nahm vor drei Jahren den Schritt und ging auf die Dort­munder Medi­en­agentur mct zu. Dort entwi­ckelte seine Redak­tion mit dem Zeitungs­for­scher Günther Rager ein neues Verfahren: Cockpit“. Dieses über­führt die Diskus­sion um Qualität in Zahlen, was nach Kiwit eine objek­tive Betrach­tung weg vom Bauch­ge­fühl“ erlaube.

Jour­na­lis­ti­sche Qualität quan­ti­fi­zieren

Bei Cockpit“ handelt es sich um eine quan­ti­ta­tive Inhalts­ana­lyse, die für jeden einzelnen Beitrag vorge­nommen wird. Dabei wird erfasst, ob bestimmte Krite­rien jour­na­lis­ti­scher Qualität in einem Beitrag erfüllt werden oder nicht. Die Krite­rien sind der Darstel­lungs­form ange­passt. Für jede Seite wird nach der Codie­rung ein Index berechnet, der aussagt, wie viel Prozent jour­na­lis­ti­scher Güte­kri­te­rien die betref­fende Seite errei­chen konnte. Ein Wert ab etwa 60 Prozent sei schon nicht schlecht, erklärte mct-Geschäfts­führer Bernd Weber im Vortrag. Weitere Nach­for­schungen ergaben, dass die posi­tive Bewer­tung bestimmter Artikel durch die Leser und Lese­rinnen maßgeb­lich mit hohen Cockpit“-Werten einher­ging.

System wird gut ange­nommen

Kiwit zeigt sich begeis­tert. Nachdem er lokal keine Vergleiche mehr ziehen konnte, stellte er sich die Frage, welche weiteren Mess­größen seiner Redak­tion noch bleiben. Aufla­gen­zahl allein reiche hier nicht aus, auch mit Befra­gungen der Leser und Lese­rinnen habe man gear­beitet. Mit Cockpit“ liege ihm ein Mess­in­stru­ment in den Händen, mit Hilfe dessen die Arbeit in der Redak­tion gezielt gesteuert werden könne. Ein vergleich­bares Quali­täts­ma­nage­ment-system sei ihm nicht bekannt.

Das beste Tool helfe einer Redak­tion aber nicht, wenn es keine Akzep­tanz erfährt, führt er aus. Bei Einfüh­rung von Cockpit“ habe man deshalb auf offene Diskus­sion und Erklä­rung gesetzt um zu errei­chen, dass alle auch die Chancen darin sehen, nicht nur die Risiken“. Seit drei Jahren gehöre das Tool zum Alltag seiner Redak­tion.

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So werden bei den Ruhr Nachrichten die Artikel anlaysiert.  Quelle: Bernd Weber, mct media consulting team Dortmund GmbH

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Die journalistische Leistung eines Artikels wird bei "Cockpit" nach verschiedenen Faktoren ausgewertet und kann so gemessen werden. Quelle: Bernd Weber, mct media consulting team Dortmund GmbH

Erfah­rung schützt nicht vor Unacht­sam­keit

Kiwit räumt ein, dass seine Technik auch nur 20 von 360 Grad Rund­um­blick erlaube. Der Fokus liege jedoch bewusst auf der hand­werk­li­chen Kompo­nente und reflek­tiere die aktu­elle Tages­aus­gabe nach den hand­festen Krite­rien: Aktua­lität, Vermitt­lung, Rele­vanz und Rich­tig­keit.

Sicher­lich machen gute Cockpit“-Indizes keine super Lokal­aus­gabe“ aus, fasst Kiwit zusammen, denn ob Vor- und Nach­speise zusam­men­passen“ wird von vielen Zutaten mitbe­stimmt.

In Zukunft möchte Kiwit noch weiter­gehen oder besser einen Schritt zurück, denn momentan arbeitet er an einer App, die es Redak­teuren und Redak­teu­rinnen erlaubt, ihre Berichte schon vor Veröf­fent­li­chung einer Quali­täts­kon­trolle zu unter­ziehen. Die App txt_​check“ funk­tio­niert im Grunde wie eine digi­tale To-Do-Liste, in der auch die hand­werk­li­chen Krite­rien abge­fragt werden. Der Chef­re­dak­teur rät, zu reflek­tieren: Habe ich an alles gedacht?“

Kiwit verliert die Konkur­renz nicht aus den Augen: Wett­be­werb halte wach – nun müssen wir uns selbst wach­halten“.

Dr. Wolfram Kiwit, Chef­re­dak­teur der Ruhr Nach­richten, stellt in das System Cockpit“ kurz und saftig vor.

Sabine Morche, Redak­ti­ons­lei­tung des Mindener Tages­blatts stellt Azubify“ kurz und saftig vor.


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