Flücht­linge, die besten Deut­schen?

Datum
01. Mai 2016
Autor*in
Johann Stephanowitz
Redaktion
politikorange
Thema
#JMWS16
FranzoesischerDom-2_klein

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GNU Lizenz für freie Dokumentation

Im 17. Jahr­hun­dert wurden in Bran­den­burg Huge­notten, fran­zö­si­sche Glau­bens­flücht­linge, ange­sie­delt. Doch lief die Inte­gra­tion wirk­lich so problemlos, wie viele Geschichts­bü­cher behaupten oder brannten schon damals die Flücht­lings­un­ter­künfte? Johann Stepha­no­witz hat nach­ge­forscht.

Meine Groß­mutter hat sich immer gerne auf ihre angeb­lich huge­not­ti­sche Herkunft berufen und erzählte mir oft von den fran­zö­si­schen Glau­bens­flücht­lingen, die auf Anord­nung des Großen Kurfürsten 1685 nach Berlin kamen. Sie kulti­vierten die Berliner, brachten neue Wirt­schafts­zweige in die Stadt und trugen so zur späteren Blüte der preu­ßi­schen Resi­denz­stadt bei. Robert Violet, Leiter des Berliner Huge­notten-Museums, zerstört mein ideal­ty­pi­sches Klischee­bild jedoch schnell: Die Huge­not­ten­an­sied­lung hier in Berlin war zunächst kein großer Erfolg. Viele der Réfu­giés waren am Anfang hilfs­be­dürftig, sodass die Kurfürstin eine Armen­spei­sung, eine Armen­bä­ckerei und andere Hilfe­leis­tungen für die Einwan­derer orga­ni­sieren musste. Der wirt­schaft­liche Erfolg kam erst später.“

War das Zusam­men­leben wirk­lich so harmo­nisch?

Réfu­giés – so hießen die fran­zö­si­schen Flücht­linge calvi­nis­ti­schen Glau­bens die damals im vom 30-jährigen Krieg entvöl­kerten Bran­den­burg ange­sie­delt wurden. Der Begriff Huge­notten ist das Ergebnis der Histo­rien-Verklä­rung des 19. Jahr­hun­derts. So war es der dama­lige Reichs­kanzler Otto von Bismarck, der die Huge­notten als die besten Deut­schen“ bezeich­nete. Doch war das Zusam­men­leben wirk­lich so harmo­nisch wie es so oft vermit­telt wird? Andreas Flick, Präsi­dent der Deut­schen Huge­notten-Gesell­schaft erzählt mir Szenen, die mich eher an die bren­nenden Flücht­lings­heime des Jahres 2015 erin­nern, als an die glor­rei­chen Geschichten aus den Geschichts­bü­chern: In Magde­burg brannten die Huge­not­ten­häuser und die Feuer­wehr sagte, man solle nicht eingreifen. In Celle wurde die Huge­notten als Nahrungs­störer?‘ bezeichnet und in Lüne­burg wurden huge­not­ti­sche Schnei­der­werk­stätten zerstört, um nur einige Beispiele der Miss­stim­mung der einfa­chen Bevöl­ke­rung gegen­über den Neuan­kömm­lingen zu nennen.“ Für Flick liegen die Gründe auf der Hand: Die Einwan­derer wurden von den Herr­schern mit zahl­rei­chen Privi­le­gien, wie Steu­er­frei­heit und Wirt­schafts­sub­ven­tionen über­häuft. Das zog natür­lich den Neid der einhei­mi­schen Bevöl­ke­rung auf sich.

Die Probleme waren am Anfang die glei­chen wie heute

Man sieht, die Geschichte wieder­holt sich. Damals kamen 20 000 Flücht­linge nach Bran­den­burg, was in Rela­tion gesetzt, durchaus mit der heutigen Flücht­lings­an­zahl vergleichbar ist und die Probleme waren am Anfang die glei­chen wie heute. Doch die Réfu­giés, die anfangs eher unter sich lebten, lernten schnell deutsch. Schon in der dritten Gene­ra­tion waren Heiraten zwischen Deut­schen und Réfu­giés die Regel. Die fran­zö­si­schen Calvi­nisten – sie hatten eine neue Heimat gefunden. Heute gilt eine huge­not­ti­sche Abstam­mung manchen als ein Adels­schlag. Viele glauben, sie seinen dann ein besserer Mensch“, erklärt mir Andreas Flick. Es ist also möglich, dass irgend­wann die syri­schen Flücht­linge genauso heroi­siert werden wie heute die fran­zö­si­schen Réfu­giés.


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