Der Zwang zum Enga­ge­ment?

Datum
12. Dezember 2019
Autor*in
Christopher Folz
Redaktion
politikorange
Thema
#EngagementTag 2019
13-12-2019-Christopher-Folz-Jugendpresse-Deutschland-3

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Foto: Jugendpresse Deutschland/Christopher Folz

Ein verpflich­tendes Jahr nach der Schul­zeit, um sich soli­da­risch für die Gesell­schaft einzu­bringen. Diese Idee rückte vor Kurzem erneut in den poli­ti­schen Diskurs und Chris­to­pher Folz fragte sich bei dem 4. deut­schen Enga­ge­mentTag in Berlin: Ist ein solches Pflicht­jahr eigent­lich sinn­voll oder nicht? Hat ein solcher zwang noch etwas mit Soli­da­rität zu tun?

Deutsch­land ist Enga­ge­ment-Land. 30 Millionen Menschen in der Repu­blik arbeiten ehren­amt­lich. Sie bringen ihre Ideen und Vorstel­lungen für eine bessere Gesell­schaft in ihrer Frei­zeit ein. Beispiele dafür sind Sport- und Musik­ver­eine, Vereine zur Demo­kra­tie­för­de­rung oder auch Frei­wil­li­gen­dienste, etwa zwischen Abitur und Studium. An Fach­kräften in der Alten­pflege oder der Kinder­ta­ges­stätten mangelt es dennoch. Warum sollten junge Menschen dann nicht einfach gleich zum sozialen Dienst verpflichtet werden?

Wir haben den Eindruck, dass sich in unserem Land die Dinge ausein­ander entwi­ckeln, dass wir etwas brau­chen, was uns zusammen hält.“ Mit diesen Worten hat Bundes­ver­tei­di­gungs­mi­nis­terin und CDU-Bundes­vor­sit­zende Anne­gret Kramp-Karren­bauer jüngst die Debatte eines verpflich­tenden soli­da­ri­schen Jahres wieder ange­stoßen und damit ein Thema aufge­worfen, das nicht nur außer­halb ihrer Partei auf Gegen­wind stößt.

Die Idee jedoch ist gar nicht so neu. Seit der Abschaf­fung der Wehr­pflicht in 2011 debat­tieren Poli­ti­ke­rinnen und Poli­tiker immer wieder über Möglich­keiten, FSJ, FÖJ, BFD und ähnliche Formen des frei­wil­ligen soli­da­ri­schen Jahres attrak­tiver zu machen und mehr junge Menschen zu einem Gap Year nach der Schule zu bewegen. Auch die Vertei­di­gungs­mi­nis­terin hat sich dieses Thema zu eigen gemacht, auch even­tuell vor dem Hinter­grund einer poten­tiell zusätz­li­chen Wieder­ein­füh­rung der Wehr­pflicht. Trotz Werbe­ak­tionen der Bundes­wehr sucht auch diese hände­rin­gend Nach­wuchs. Ein Deutsch­land­jahr“, wie es von der CDU genannt wird, könnte da in beiden Berei­chen Abhilfe verschaffen.

Dem aller­dings setzte Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­terin Fran­ziska Giffey (SPD) auf dem 4. Enga­ge­mentTag in Berlin entgegen: Menschen, ob jung oder alt, sollten etwas frei­willig tun und nicht, weil sie zwangs­ver­pflichtet werden!“. Zudem lägen laut Giffey die Kosten einer (Wieder-)Einführung eines soli­da­ri­schen Jahres bei zwölf Milli­arden Euro, die Förde­rung des Frei­wil­ligen Jahres nach ihren Maßstäben koste derzeit nur eine Milli­arde Euro.

Mit Enga­ge­ment hätte ein verpflich­tendes Jahr wohl auch wenig zu tun, ist ein zentraler Punkt dessen ja, dass es aus dem Drang heraus, andere unter­stützen zu wollen, wächst. Dennoch könnte aus den Erfah­rungen eines sozialen Dienstes heraus ein Inter­esse an und das Bewusst­sein zur Notwen­dig­keit eben dieser gesell­schaft­li­chen Betei­li­gung geschärft werden.

Sinkende Aner­ken­nung für Frei­wil­lig­keit und Enga­ge­ment sieht Jens Mölich, Spre­cher der Dienst­leis­tenden des Frei­wil­ligen Ökolo­gi­schen Jahres in Berlin, als eine mögliche nega­tive Auswir­kung, sollte die soli­da­ri­sche Verpflich­tung zurück­kehren. Viele FSJ‑, FÖJ- und Bundes­frei­wil­li­gen­dienst­leis­tenden machen jedoch ohnehin die Erfah­rung, dass ein im eigenen Land verbrachtes Gap Year von Außen­ste­henden häufig kritisch beäugt wird.

Eine mögliche Lösung für den Diskurs äußert Dr. Thomas Röbke, Vorsit­zender des Spre­cher- und Spre­che­rin­nen­rates des BBE: Was ich mir wünsche ist, dass bürger­li­ches Enga­ge­ment in der Bildung in der Schule einen größeren Stel­len­wert bekommt, also dass es […] auch einen Enga­ge­ment­un­ter­richt gibt“, und spricht damit den Begriff des Service-Lear­nings“ an, dass also die Zivil­ge­sell­schaft zu einem Ort des Lernens wird – zum Beispiel durch verschie­dene Sozi­al­prak­tika in der Schul­zeit. Der derzeit akute Pfle­ge­not­stand wäre damit aller­dings nicht gelöst.

Ob man junge Menschen zu einem Jahr sozialer oder auch mili­tä­ri­scher Arbeit zwingen kann, ist demnach nicht entschieden. Einblicke in sonst ferne gesell­schaft­liche Bereiche, wie beispiels­weise die Alten­pflege, sorgen für eine Erwei­te­rung des Hori­zonts und die Ausein­an­der­set­zung mit Menschen unter­schied­li­cher sozialer Hinter­gründe begüns­tigt einen Ausbruch aus der ganz eigenen Filter­blase. Kramp-Karren­bauer wird es mit ihrer Idee des Deutsch­land­jahres“ trotzdem ziem­lich schwer haben, im Bundestag eine Zwei­drit­tel­mehr­heit zu erlangen.


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