Bewah­rung der Zivil­ge­sell­schaft am Küchen­tisch

Datum
26. Juni 2020
Autor*in
Marlene App
Redaktion
politikorange
Themen
#EINEWELT Zukunftsforum 2020 #Leben
Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion EineWeltLaKo2020

Bei der digital statt­fin­denden Podi­ums­dis­kus­sion Regain civic space – wie können wir Frei­räume bewahren oder zurück­be­kommen?“ disku­tierten Vertreter*innen zivil­ge­sell­schaft­li­cher Orga­ni­sa­tionen über shrin­king spaces. 

Der Laptop steht aufge­klappt und bereit vor mir, die letzten Maison­nen­strahlen scheinen durchs Fenster. Vor knapp zwei Monaten hätte die Eine-Welt-Konfe­renz in Münster statt­finden sollen, jetzt kommt sie zu mir an den Küchen­tisch.

Thema der heutigen Podi­ums­dis­kus­sion ist Regain civic space – wie können wir Frei­räume bewahren oder zurück­be­kommen?“. Sie findet zum ersten Mal im digi­talen Raum statt. Davon merkt man aber nichts, viel­leicht auch weil außer der erfah­renen Jour­na­listin und Mode­ra­torin Monika Hoegen extra noch ein Tech­niker mit in der Zoom-Konfe­renz sitzt.

Hinter den Kameras über­ra­schen vier unver­pi­xelte Gäste von verschie­denen gemein­nüt­zigen Orga­ni­sa­tionen und Insti­tu­tionen. Ferda Ataman ist als Spre­cherin der neuen Deut­schen Orga­ni­sa­tionen dabei, ebenso Aktivist*innen bekannter NGOs wie zum Beispiel Werner Rätz von Attac und Johannes Bayer von SeaWatch. Klaus Warden­bach vom Bundes­mi­nis­te­rium für wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung (BMZ) wirft dagegen einen Blick auf die staat­liche Perspek­tive.

Warum müssen wir über­haupt über Frei­räume für zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment reden? Die Antwort liegt auf der Hand: Acht von zehn Menschen leben in einem Staat, wo der Raum für die Zivil­ge­sell­schaft stark einge­schränkt ist, das bedeutet: Die äußeren poli­ti­schen Umstände machen poli­ti­sches Enga­ge­ment dort fast unmög­lich. Ein anderes Wort dafür sind Shrin­king Spaces, ihre Vertei­lung kann man sich im Atlas der Zivil­ge­sell­schaft ansehen. Frauenrechtler*innen und Umweltaktivist*innen seien davon am meisten betroffen: Wider­spruch kann tödlich sein“, klärt Monika Hoegen auf. Zwei Wochen später, Mitte Juni 2020, als ich diesen Bericht zu Ende schreibe und die Black­Li­ve­s­Matter-Bewe­gung die Welt in Atem hält, erscheint das Gewicht dieser Wörter schwerer denn je.

Doch wenn man den Berichten der Gäste zuhört, scheint es, dass solche Einschrän­kungen in Deutsch­land für den*die Außenstehende*n nicht unbe­dingt offen­sicht­lich sind. Klaus Warden­bach vom BMZ zum Beispiel hat in seinem Förder­re­ferat für Deut­sche in Auslands­pro­jekten die Erfah­rung gemacht, dass poli­ti­sche Projekte deut­lich eher von Shrin­king Spaces betroffen sind als kari­ta­tive Projekte. Doch selbst eine staat­liche Insti­tu­tion stößt schon an die Grenzen ihres Hand­lungs­spiel­raums, wenn sie Gelder für unter­drü­ckende Staaten kürzt.

Auch für Werner Rätz hat die Unter­schei­dung zwischen poli­tisch und kari­tativ eine wich­tige Bedeu­tung. Seinem Verein Attac wurde die Gemein­nüt­zig­keit entzogen, weil sie zu poli­tisch“ sei. Das bedeutet für seinen Verein vor allem Finan­zie­rungs­pro­bleme, weil seitdem zum Beispiel keine Spen­den­be­schei­ni­gungen mehr ausge­stellt werden dürften. Er selbst könne aber zwischen Vorschriften und unter­schied­li­chen Inter­essen von Ordnungsamt, Polizei etc. oft selbst nicht entscheiden, ob eine solche Einschrän­kung nun poli­ti­sche Stra­tegie oder gesell­schaft­liche Entwick­lung sei.

Auch für Atamann sind Ressourcen ein wich­tiger Faktor, denn sich zu enga­gieren, muss man sich leisten können“. Diese Erfah­rung habe sie als Teil einer jungen NGO, die sich vor allem für Minder­heiten und gesell­schaft­liche Rand­gruppen einsetzt, oft gemacht. Die Lösung sei hier interne Profes­sio­na­li­sie­rung, z.B. durch effek­ti­vere Öffent­lich­keits­ar­beit, aber natür­lich auch staat­liche Förde­rung.

SeaWatch als allge­mein bekannte Orga­ni­sa­tion mangelt es nicht an gesell­schaft­li­cher Aufmerk­sam­keit. Es seien vor allem unter­schwel­lige Regu­lie­rungen, die Johannes Bayer und seiner Crew oft das Leben schwer machen. Da die euro­päi­schen Staaten schlecht gegen den Schutz der Menschen­rechte vorgehen können, haben sie bisher vor allem versucht, Opera­tionen auf See durch Geset­zes­än­de­rungen recht­lich zu erschweren. Ändert ein Land zum Beispiel seine Vorgaben für den Status von Schiffs­rei­senden, muss ein Boot, dass in gefähr­li­chen Rettungs­si­tua­tionen agiert, mögli­cher­weise auf einmal die Anfor­de­rungen an ein Kreuz­fahrt­schiff erfüllen. Für eine Orga­ni­sa­tion, die sich im legalen Rahmen bewegen muss, entstehe hier­durch ein unnötig großer Verbrauch von Ressourcen sowie von men- und women­power.

Dadurch stellt sich auch die Frage, wie weit Zivil­ge­sell­schaft gehen darf, um ihre Ziele durch­zu­setzen. Rätz defi­niert die Antwort für sich als bedin­gungs­ab­hängig“, oft müsse man sich Rechte einfach nehmen, wenn sie, wie vieler­orts die Menschen­rechte, nicht einklagbar sind.

Trotz der Hinder­nisse, die Aktivist*innen in den Weg gestellt werden, glauben sie an das Bestehen einer enga­gierten Zivil­ge­sell­schaft. Warum? Werner Rätz verwendet dafür das Bild einer Jauche­grube: Schaut man darauf, sei die Plörre zwar ruhig und undurch­sichtig, aber unter der Ober­fläche brodelt und reagiere immer etwas. Atamann findet andere Worte: Ob bestimmte Werte sich durch­setzen, hänge nicht nur davon ab, ob sie wichtig und richtig sind, sondern auch davon, wie viele Menschen hinter ihnen stehen.

Nach einer Stunde des Zuhö­rens und anschlie­ßender Frage­runde per Live­chat bleibt vor allem der Gedanke im Raum, dass es für das Bestehen von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Frei­räumen erstens viele Menschen braucht, die dafür einstehen wollen, zwei­tens aber auch eine wache Öffent­lich­keit, die diese Menschen in ihrer Arbeit unter­stützt und ihnen zuhört. Das kann zum Beispiel eine kleine Spende, eine Unter­schrift für eine Peti­tion oder sogar Wider­stand gegen menschen­rechts­feind­liche Gesetze bedeuten. Und dass man die Rechte und Möglich­keiten, die man als Bürger innehat, voll­ends ausnutzt, um sich für die Verän­de­rung, die man sehen will, einzu­setzen.


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