Zivil­ge­sell­schaft­liche Frei­räume in Gefahr

Datum
25. März 2019
Autor*in
Jumoke Balogun
Redaktion
politikorange
Thema
#EWLako19
Smidt2

Smidt2

Für die Gesell­schaft sind Frei­räume von größter Bedeu­tung: Sie ermög­li­chen unter anderem das Meinungs­recht. Eine tragende Säule für die afri­ka­ni­sche Bürger und Bürge­rinnen stellen zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen dar. Unsere Redak­teurin Jumoke Balogun traf sich mit Hannah Smidt vom GIGA-Institut und fragte, wie es zum Verschwinden zivil­ge­sell­schaft­li­cher Frei­räume in Afrika kommt.

242825B2-10DA-4921-8B59-E1F0C612B09E

Hannah Smidt im Gespräch auf dem Podium / Foto: Konstantin Baur

Zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen pran­gern öffent­lich Menschen­rechts­ver­let­zungen an, die von Regie­rungen zu verant­worten sind. Deswegen werden sie häufig starken Kontrollen und Restrik­tionen unter­worfen. Dr. Hannah Smidt, wissen­schaft­liche Mitar­bei­terin am GIGA-Institut (German Institut of Global and Area Studies) in Hamburg, hat sich einge­hend mit diesem Thema beschäf­tigt und eine Forschungs­ar­beit hierzu veröf­fent­licht. Als Refe­rentin heißt sie die Eine-Welt-Landes­kon­fe­renz 2019 in Münster will­kommen.

Frau Smidt, welchen Fragen widmet sich Ihre Forschung am GIGA?

Bei meiner Arbeit fokus­siere ich mich auf zwei Haupt­fra­ge­stel­lungen. Die erste hat weniger mit dem zu tun, was hier auf der Eine-Welt-Landes­kon­fe­renz bespro­chen wird. Es geht nämlich darum, ob UN-Frie­dens­mis­sionen, die in Kriegs­re­gionen statio­niert sind, lokalen Akteuren helfen können, ein dauer­haftes, fried­li­ches und gesell­schaft­li­ches Zusam­men­leben zu bewirken. Und wenn ja, wie die Frie­dens­mis­sionen der UN das angehen. Die zweite Frage­stel­lung hat mehr mit zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tionen zu tun. Da beschäf­tige ich mich damit, warum immer mehr Regie­rungen zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen wie z.B. NGOs, aber auch lokale Vereine und Koope­ra­tiven, einschränken und welche Konse­quenzen diese Beschrän­kungen auf zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment haben. Zum Beispiel können Regie­rungen sehr wirksam lokale und inter­na­tio­nale Kritik ausschalten, indem sie zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tionen Einschrän­kungen aufer­legen.

Wie schränken Regie­rungen zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen ein?

Regie­rungen wenden verschie­dene Poli­tiken und Prak­tiken an. Zu den Maßnahmen gehören Gesetze, die es zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tionen unmög­lich machen, Geld aus dem Ausland zu bekommen. Dann gibt es eine ganze Reihe von Prak­tiken, durch die diese Orga­ni­sa­tionen in natio­nalen Medien als Agenten, Spione und Hand­langer von inter­na­tio­nalen Inter­essen verleumdet werden. Oder wo Demons­tra­tionen aufge­löst werden, Poli­zei­ge­walt herrscht und Büros inklu­sive Tele­fo­nate über­wacht werden.

Was wollen die Regie­rungen damit errei­chen?

Diese Maßnahmen sollen dazu führen, dass Leute diesen Orga­ni­sa­tionen nicht mehr beitreten und dass die Glaub­wür­dig­keit von Zivil­ge­sell­schaft in der eigenen Bevöl­ke­rung in Frage gestellt wird.

Wie reagieren zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen darauf?

2013 hat die Regie­rung von Kenia versucht, ein Gesetz zu erlassen, das Gelder aus dem Ausland, die die Zivil­ge­sell­schaft empfangen soll, auf einen Anteil von 15 % einzu­schränken soll. Daraufhin fanden mehrere große Demons­tra­tionen statt und zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen haben sich zu einer Koali­tion zusam­men­ge­schlossen. Außerdem haben sie Lobby­ar­beit betrieben und Parla­men­ta­rier kontak­tiert. Was sie mit ihren Gegen­maß­nahmen und ihrem Einsatz am Ende erreicht haben, ist, dass dieses Gesetz im Parla­ment nicht verab­schiedet wurde. Was aber auch zu sehen war, ist, dass bedrohte Akti­visten aus Kenia ausge­wan­dert sind und einige der Orga­ni­sa­tionen, denen der Vereins­status aberkannt worden war, ihre Büros schließen mussten. Kenia aber hat eine sehr starke und viel­fäl­tige Zivil­ge­sell­schaft, die starke Anpas­sungs­stra­te­gien für den Wider­stand entwi­ckelt. Immer mehr zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen greifen auf soziale Medien zurück, um der natio­nalen Propa­ganda der Regie­rung entge­gen­zu­treten und ihren Forde­rungen so Gehör zu verschaffen.

Wie schaffen es die Regie­rungen, diese Machen­schaften zu recht­fer­tigen – trotz umfas­sender Kontrolle durch die UN oder der Unter­zeich­nung von Menschen­rechts­ver­trägen?

Es gibt verschie­dene Recht­fer­ti­gungs­stra­te­gien von Regie­rungen. Einmal recht­fer­tigen sich Regie­rungen damit, dass die natio­nale Souve­rä­nität zurück­ge­wonnen werden muss und dass deswegen die Einmi­schung aus dem Ausland einge­dämmt werden muss. Eine andere Stra­tegie, sich zu recht­fer­tigen, ist die Bekämp­fung des Terro­rismus. Kenia­ni­sche Soldaten sind zum Beispiel im Kampf gegen die soma­li­sche Terror­miliz Al-Shabaab enga­giert, da sich in Kenia auch der schwere Terror­an­schlag an der West-Gate-Mall ereig­nete. Die Regie­rung benutzt diesen Kampf gegen den Terro­rismus als Recht­fer­ti­gung, um zivile Frei­heiten einzu­schränken und zu sagen Wir müssen zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen besser kontrol­lieren, weil diese Orga­ni­sa­tionen Terro­rismus unter­stützen“. Wenn Regie­rungen es geschafft haben, viele zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen zum Aufgeben zu bewegen, wird es für diese schwie­riger, gegen die Einschrän­kungen vorzu­gehen. Dadurch sind die Machen­schaften der Regie­rungen weniger sichtbar und es bietet sich mehr Spiel­raum dafür, zivil­ge­sell­schaft­liche Frei­räume noch kleiner werden zu lassen. Es hat natür­lich auch eine abschre­ckende Wirkung, wenn Büros geschlossen werden müssen oder Akti­visten verhaftet werden.

Welche Folgen hat diese Entwick­lung für die Zivil­ge­sell­schaft afri­ka­ni­scher Staaten?

Was wir sehen, ist ein Rück­gang von Protesten und unab­hän­gigen Orga­ni­sa­tionen, die in den Ländern regis­triert sind. Wir sehen auch weniger inter­na­tio­nale Berichte, die Menschen­rechts­ver­let­zungen von den Regie­rungen anklagen. Für Amnesty Inter­na­tional und Human Rights Watch wird es schwie­riger, lokale Partner zu finden, die unab­hängig agieren können und auch die nötigen Ressourcen haben. Die Folgen lassen sich noch nicht genau abschätzen, weil es momentan sehr wenig Studien dazu gibt. Ich glaube, dass wir dazu noch mehr Forschung betreiben und wachsam bleiben müssen.

Wie kommt es, dass zivil­ge­sell­schaft­liche Frei­räume sogar in demo­kra­tisch gewählten Nationen kleiner werden?

Es ist natür­lich ein Para­doxum, dass Regie­rungen, welche von der Bevöl­ke­rung gewählt wurden, zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen einschränken, die für die Bevöl­ke­rung sehr wichtig sind. Regie­rungen wollen an der Macht bleiben. Wenn es zivil­ge­sell­schaft­liche Orga­ni­sa­tionen gibt, die Regie­rungen für ihr Fehl­ver­halten kriti­sieren, ist es auch für demo­kra­ti­sche Staaten ein Anreiz, Akteure mundtot zu machen.

Wir leben in Zeiten der Digi­ta­li­sie­rung: Welche Chancen bieten die sozialen Medien in betrof­fenen Ländern?

Soziale Medien können als alter­na­tives Sprachroh wirken, wenn die Regie­rung natio­nale Medien für sich verein­nahmt hat. In dem Punkt sind soziale Medien sehr wichtig. Das haben wir unter anderem auch in Kenia gesehen. Was ich unter anderem im Senegal erlebt habe, ist, dass über soziale Medien Demons­tra­tionen publik gemacht wurden.

Wann und wie begann Ihr Inter­esse an Politik, Forschung und für den afri­ka­ni­schen Konti­nent?

Ich habe Poli­tik­wis­sen­schaft im Bachelor studiert und bin dann im Master­stu­dium für ein Jahr an die Johns-Hopkins-Univer­sity in Balti­more gegangen. Dort habe ich einen Kurs zu Zivil­ge­sell­schaft in Afrika belegt. Im Anschluss habe ich ein drei­mo­na­tiges Prak­tikum bei der Fried­rich-Ebert-Stif­tung im Senegal in Dakar gemacht. Zu dieser Zeit hat sich eine soziale Bewe­gung aus Musi­kern und Studen­ten­ak­ti­visten gebildet. Während des Prak­ti­kums konnte ich Inter­views mit diesen Akti­visten führen. Für mich war es sehr span­nend zu sehen, wie die Zivil­ge­sell­schaft auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent trotz weniger Mittel eine große Mobi­li­sa­tion hervor­rufen kann. So habe ich ange­fangen, mich für die Zivil­ge­sell­schaft in Afrika und für die Bezie­hungen zwischen zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tionen in Afrika und Deutsch­land zu inter­es­sieren.

Was gefällt Ihnen beson­ders an Ihrer Arbeit?

Viele Sachen! Ich arbeite zu wich­tigen und rele­vanten Themen mit vielen intel­li­genten und inter­es­sierten Leuten zusammen. Alles in allem macht mir das sehr viel Spaß und deswegen bin ich gerne Forscherin.


Empfohlene Beiträge

Werde Teil unserer Community

Entdecke spannende Geschichten, vernetze dich mit anderen jungen Journalist:innen und gestalte die Medienlandschaft von morgen mit. Melde dich jetzt an und bleibe immer auf dem neuesten Stand.

Wehrpflicht Redaktion Gruppenbild