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Datum
25. August 2017
Autor*in
Sabine Baumgärtel
Redaktion
politikorange
Thema
#poTANDEM17
Demokratische Schulen quadratisch

Demokratische Schulen quadratisch

Foto: Jugendpresse Deutschland / Leonard Palm

Demokratische Schulen

Spielen und lernen – geht das überhaupt? Foto: Jugendpresse Deutschland / Leonard Palm

Lernen ist doof und macht keinen Spaß? Das denken wohl viele, aber es kann auch anders sein. Sabine Baum­gärtel berichtet aus einer Schule, in der Kinder und Jugend­liche morgens vor Freude kaum erwarten können, dass sich die Schul­tore öffnen.

Morgens fällt das Aufstehen schwer. Was kann ich heute sagen, damit ich nicht in die Schule muss? Bauch­schmerzen viel­leicht? Ich habe solche Angst vor der Physik­klausur, stun­den­lang habe ich versucht, mir das Wissen rein­zu­prü­geln, aber nichts bleibt im Kopf. Ich verstehe es einfach nicht. Wahr­schein­lich, nein, bestimmt bin ich einfach zu dumm zum Lernen.“ So oder ähnlich läuft es wohl in vielen Kinder- und Jugend­zim­mern jeden Morgen. Selbst­zweifel, Stress und Druck sorgen dafür, dass viele Schü­le­rinnen und Schüler die Lust am Lernen verlieren und sich nur mit größter Mühe jeden Morgen aus dem Bett quälen. Wozu denn Verhält­nis­rech­nung verstehen, Englisch­vo­ka­beln pauken oder mich im Schü­lerrat enga­gieren, wenn mich Politik doch eh nicht inter­es­siert?“ Vielen Schü­lern fehlt der prak­ti­sche Nutzen des Unter­richts, sie lernen nur für die Klau­suren – und nicht fürs Leben, wie es doch so schön heißt. Sie haben das Gefühl, wenig bis gar nichts an den Schulen mitbe­stimmen zu können.

Jenseits der Regel­schule

Ganz anders sieht es in der demo­kra­ti­schen Schule in Stettin, Polen aus. Moment mal – sollte nicht jede Schule demo­kra­tisch sein?“ Demo­kra­tisch im Sinne der Gleich­be­rech­ti­gung und der aktiven Betei­li­gung – ja klar, natür­lich. Tatsäch­lich ist demo­kra­ti­sche Schule“ aber eine Bezeich­nung für eine beson­dere Art von Schule: eine, in der Schüler selbst lernen, wann und wie sie wollen – ohne Noten, ohne Klau­suren, ohne Bauch­schmerzen.

Jeden Morgen um zehn treffen wir uns, alle Schü­le­rinnen und Schüler, Mento­rinnen und Mentoren. Dann sagt jeder, was er heute machen will – ein Kind möchte Geschichte lernen, jemand anderes möchte den ganzen Tag Mine­craft spielen“, sagt Piotr Sztela (39), der an der kleinen Schule arbeitet. Er nennt sich Mentor, nicht Lehrer: Wir helfen den Schü­lern, selbst zu lernen. Wir geben ihnen Bücher und erklären ihnen, was sie brau­chen. Die Verant­wor­tung, etwas zu lernen, liegt aber bei ihnen.“

Trotz dieser Frei­heit ist das Leben in der Schule aber nicht komplett frei von Regeln: alle Schüler beschließen sie gemeinsam und demo­kra­tisch. Dabei geht es aber nicht um eine einfache Mehr­heit: Alle sollen sich bei uns sicher fühlen, also versu­chen wir eine Lösung zu finden, mit der es allen gut geht“, erklärt Piotr. Wenn ein Schüler von einem anderen Schüler in Ruhe gelassen werden, so kann er Stop“ sagen, dies muss dann auch respek­tiert werden. Auch das war eine Idee der Schü­le­rinnen und Schüler.

Fürs Leben lernen

Lernen die Kinder denn aber auch wirk­lich oder spielen sie den ganzen Tag? Tatsäch­lich finden sie selbst viele Wege, sich prak­tisch Neues anzu­eignen. Wenn man einen Kuchen backen will – braucht man Verhält­nis­rech­nung, um die Mengen­an­gaben für mehr Personen umzu­rechnen. Wenn man ein Buch auf Englisch lesen will – muss man Voka­beln lernen. Und wer sich demo­kra­tisch betei­ligen will – der muss lernen, mit anderen Kompro­misse zu finden. So lernen die 25 Schüler zwischen 5 und 17 Jahren gemeinsam – aber auch mal alleine – aus dem Leben und für das Leben. Mit der Zeit entwi­ckeln alle ihr eigenes Projekt, finden ihre eigene Vorliebe.

Am Ende jeden Schul­jahres müssen trotzdem alle eine Prüfung schreiben, damit sie in das nächste Schul­jahr aufsteigen können. Bisher ist niemand durch die Prüfung gefallen“, sagt Piotr. Wenn es keinen Druck von oben gibt, dann finden die Schüler von selbst Moti­va­tion: Lernen soll Spaß machen, das ist wohl die wich­tigste Botschaft der Einrich­tung.

Eine demo­kra­ti­sche Schule ist sicher nicht das Rich­tige für jeden einzelnen Schüler. Einige gehen wieder, weil sie mit der Frei­heit nicht klar­kommen und mehr Orien­tie­rung brau­chen. Das ist nicht schlimm, denn jeder Mensch ist anders. Um hier erfolg­reich zu sein, braucht es viel Moti­va­tion, Krea­ti­vität und Verant­wor­tungs­be­wusst­sein. Das ist für die Erwach­senen genauso anspruchs­voll wie für die Kinder und Jugend­li­chen.

Schulen wie die in Stettin helfen aber insbe­son­dere den Kindern und Jugend­li­chen, die auf Regel­schulen Probleme hatten – Schüler mit Lern­be­hin­de­rung, mit Autismus oder Schüler, die gemobbt wurden. Alle können sich hier frei entfalten und ihren eigenen Weg finden. Die Atmo­sphäre ist freund­lich, mit der Zeit ist hier eine kleine Familie entstanden, die sich unter­stützt und aufein­ander aufpasst.

Und statt jeden Morgen mit einem flauen Gefühl im Magen aufzu­wa­chen, wachen diese Stet­tiner Schüler wohl vor allem mit einer Frage im Kopf auf: wie kann ich die Welt heute entde­cken?


Die Seite der demo­kra­ti­schen Schule in Stettin findet ihr hier. Wenn ihr mehr zu demo­kra­ti­schen Schulen lernen wollt, schaut mal auf der Seite der Euro­pean Demo­cratic Euro­pean Commu­nity (EUDEC) vorbei.

Förderung von Axel Springer Stiftung, deutsch polnisches Jugendwerk, Stiftung für deutsch polnische Zusammenarbeit, Think Big und Erasmus +

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