Sollten Medien die Natio­na­lität von Straf­tä­tern nennen?

Datum
10. Oktober 2018
Autor*in
Annick Goergen
Redaktion
politikorange
Thema
#JMT18
Foto: Jugendpresse Deutschland/Annkathrin Weis

Foto: Jugendpresse Deutschland/Annkathrin Weis

Foto: Jugendpresse Deutschland/Annkathrin Weis

Manche Eilmel­dungen enthalten Mutma­ßungen, die Inter­es­sen­gruppen gezielt ausnutzen. Deswegen sollten TV-Sender und Zeitungen erst gar nicht über Vermu­tungen berichten, findet unsere Redak­teurin Annick Goergen.

 Man stelle sich eine weiße Lein­wand vor – das schier endlose Poten­zial, welches diese leere Fläche bietet und die Möglich­keit, die eigenen Ideen und Vorstel­lungen darauf zu proji­zieren. Auch in der jour­na­lis­ti­schen Bericht­erstat­tung kann es solche Leer­stellen geben. Doch während diese im Bereich der Kunst inspi­rie­rend wirken können, führen fehlende Infor­ma­tionen im Jour­na­lismus dazu, dass Lese­rinnen und Leser oder Zuschaue­rinnen und Zuschauer die Lücken mit eigenen Über­zeu­gungen füllen. Werden Infor­ma­tionen willent­lich oder unüber­legt verschwiegen, entsteht Raum für Speku­la­tionen. Ein Beispiel dafür ist der Fall des Amok­fah­rers in Münster im Früh­jahr dieses Jahres: Am 7. April fuhr ein 48-jähriger Deut­scher mit einem Camping­wagen in eine Menschen­masse im Müns­te­raner Zentrum und erschoss sich anschlie­ßend selbst. Die Infor­ma­tion, dass es sich bei dem Täter um einen deutsch­stäm­migen Mann handelte, ging aus der ersten Pres­se­mit­tei­lung der Polizei aller­dings nicht deut­lich hervor. Darin stand ledig­lich, dass der Mann in Münster ansässig gewesen sei. Diese Lücke nutzten Rechts­po­pu­listen und auslän­der­feind­liche Grup­pie­rungen. Aus einem Täter, über dessen Natio­na­lität die Leser nur mutmaßen konnten, wurde ein Täter mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund und einem isla­mis­ti­schen Tatmotiv.

Immer unter Druck

Beatrix von Storch, Bundes­tags­ab­ge­ord­nete der AfD, kriti­sierte daraufhin auf Twitter Merkels Flücht­lings­po­litik, obwohl es zu dem Zeit­punkt noch keine Hinweise zum Tatmotiv oder ausführ­liche Infor­ma­tionen zum Täter gab. Der Tather­gang war für von Storch Ursache genug, von einem isla­mis­ti­schen Terror­an­schlag auszu­gehen. Auch bei der Live-Bericht­erstat­tung wollten Kommen­ta­toren, unter anderem beim Sender n‑tv, einen Zusam­men­hang zwischen der Amok­fahrt und der Flücht­lings­krise erkannt haben.

Dieser Fall bietet sich an, um ein aktu­elles Problem bei der Bericht­erstat­tung und der Frage nach Pres­se­frei­heit und Pres­se­ethik zu disku­tieren. Durch die Schnell­le­big­keit unserer Gesell­schaft stehen Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen immer unter Druck, Nach­richten so schnell wie möglich zu verbreiten. Die Zeit für Recherche wird geringer und die damit verbun­denen Wissens- und Infor­ma­ti­ons­lü­cken können willent­lich von Rezi­pi­enten und Rezi­pi­en­tinnen zu eigenen Propa­gan­da­zwe­cken genutzt werden.

Der Pres­se­kodex, der 1973 zur Selbst­re­gu­lie­rung der Presse einge­führt wurde, sieht die Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen in einer Sorg­falts­pflicht: Unbe­stä­tigte Meldungen, Gerüchte und Vermu­tungen sind als solche erkennbar zu machen.” Doch wäre es nicht nötig, sogar einen Schritt weiter­zu­gehen? Nämlich Vermu­tungen erst gar nicht zu veröf­fent­li­chen und nur über Fakten zu berichten? Die Aufgabe der Presse ist es, Menschen zu infor­mieren und Miss­stände aufzu­de­cken. Mutma­ßungen, wie die der erwähnten TV-Jour­na­listen, sind weder infor­mativ noch tragen sie zum gesell­schaft­li­chen Diskurs bei.

Unnö­tige Fokus­sie­rung auf Natio­na­li­täten

Wie man durch die Ände­rung des Pres­se­ko­dexes vor einem Jahr erkennen kann, hat sich der Pres­serat bereits mit der Frage nach einer mögli­chen Diskri­mi­nie­rung von Personen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund befasst. Mit dem Ergebnis: Die Zuge­hö­rig­keit [zu reli­giösen, ethni­schen oder anderen Minder­heiten] soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begrün­detes öffent­li­ches Inter­esse.” Dieses Vorgehen könnte jedoch das Entstehen von Lücken begüns­tigen.

Die Natio­na­lität eines Straf­tä­ters oder einer Straf­tä­terin ist in den meisten Fällen nur dann von öffent­li­chem Inter­esse, wenn diese das Tatmotiv erklärt. Handelt es sich bei dem Verbre­chen beispiels­weise nicht um eine rechts­ra­di­kale Tat, ist die Erwäh­nung der Natio­na­lität eines deut­schen Verbre­chers meist irrele­vant. Obschon das Gleiche auch für auslän­di­sche Straf­täter und Straf­tä­te­rinnen gelten sollte, wird deren Natio­na­lität in der Bericht­erstat­tung häufiger erwähnt als bei deut­schen.

Die inkon­se­quente Erwäh­nung der Natio­na­li­täten von Tätern und Täte­rinnen kann eine unnö­tige Fokus­sie­rung auf diesen Aspekt zur Folge haben. Das Resultat: die Stig­ma­ti­sie­rung von Natio­na­li­täten. Zudem könnte der Anschein erweckt werden, dass es unver­hält­nis­mäßig viele Täter und Täte­rinnen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund gibt. Dies könnte das Miss­trauen gegen­über Minder­heiten befeuern.

Den Wind aus den Segeln nehmen

Um gegen eine mögliche Diskri­mi­nie­rung von Minder­heiten vorzu­gehen und für Gleich­be­rech­ti­gung inner­halb der Bericht­erstat­tung zu sorgen, wäre eine konse­quente Nennung der Natio­na­li­täten aller Straf­täter und Straf­tä­te­rinnen sinn­voll. Auf diesem Weg könnte außerdem verhin­dert werden, dass sich die Leser und Lese­rinnen um Infor­ma­tionen betrogen fühlen und das Vertrauen in die Presse verlieren. Im Zeit­alter des Inter­nets verbreiten sich Infor­ma­tionen mit hoher Geschwin­dig­keit. Entscheiden sich Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen dafür, die Natio­na­lität eines Täters nicht zu veröf­fent­li­chen, garan­tiert dies nicht, dass die Natio­na­lität des Täters oder der Täterin nicht auf einem anderen Weg an die Öffent­lich­keit gelangt. Dadurch könnte die Frage nach dem Grund für das Verschweigen aufkommen.

Dieser Lösungs­an­satz würde außerdem verhin­dern, dass Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen Selbst­zensur üben. Sie wären dazu ange­halten, den Infor­ma­ti­ons­ge­halt ihrer Bericht­erstat­tung zu verdichten und Natio­na­li­täten grund­sätz­lich zu nennen. Leere Räume könnten dann nicht als Projek­ti­ons­flä­chen genutzt werden. Das würde auch rechts­ra­di­kalen und auslän­der­feind­li­chen Grup­pie­rungen den Wind aus den Segeln nehmen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Koope­ra­tion zwischen der Jugend­presse Deutsch­land und dem Verein Eed be Eed (“Hand in Hand”) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Print­aus­gabe des Weser-Kuriers.


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