Der Ausstieg ist möglich

Datum
19. März 2021
Autor*in
Anna Kauf
Redaktion
politikorange
Themen
#nofake 2021 #Gen Z

Die rechts­extreme Szene lebt und ist so aktiv wie nie zuvor. Hanna ist in einer rechts­extremen Familie aufge­wachsen und erzählt von ihren Erfah­rungen. Ein Feature von poli­ti­ko­range-Redak­teurin Anna Kauf.

Hannas (Anm. der Red.: Name geän­dert) Vater schimpft beim Abend­essen wieder. Er hat gerade die Nach­richten gesehen und jetzt ist er wütend. Diese blöden Ausländer klauen uns die Jobs! Dass du uns ja keinen von denen nach Hause bringst!“, sagt er. Niemand wider­spricht ihm. So erin­nert sich Hanna zurück an ihre Kind­heit, in der sie schon früh mit Ideo­lo­gien konfron­tiert wurde. Erst Jahre später fängt sie an, zu hinter­fragen, woran ihre Familie und Freund*innen fest glauben. Hanna schafft es recht­zeitig, aus diesen Struk­turen auszu­bre­chen, aber so wie ihr ergeht es nicht allen.

Rechts­extre­mismus ist kein neues Phänomen und dennoch konnte man vor allem in den letzten Jahren einen Aufschwung dieser Szene beob­achten. Anfang 2020 stufte der Verfas­sungs­schutz rund 33.000 Personen als poten­ziell rechts­extrem ein, die unter anderem in rechten Parteien wie der NPD, der Rechten oder dem Dritten Weg orga­ni­siert sind. Im Jahr 2018 waren es noch 8.000 Personen weniger. Rechts­extrem, das bezeichnet laut der Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung eine extreme poli­ti­sche Einstel­lung, die vertreten, bezeugt und verfochten wird im Sinne der Ideo­logie der äußerst Rechten. Während rechte Einstel­lungen noch mit dem Grund­ge­setz vereinbar sind, spre­chen sich rechts­extreme Posi­tionen ganz klar gegen die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung aus.

Erst kürz­lich wurde die gesamte AfD, die in fast allen Land­tagen und Parla­menten in Deutsch­land mitt­ler­weile gut vertreten ist, als Verdachts­fall einge­ordnet. Aufgrund einer Klage der AfD wurde diese Entschei­dung aller­dings nicht rechts­kräftig. Dennoch deutet dieser Schritt, wie auch der stei­genden Erfolg der AfD bei Wahlen, auf eine Tendenz hin. In Deutsch­land werden rechte und rechts­extreme Ideo­lo­gien immer beliebter und verbreiten sich vor allem in Pande­mie­zeiten wie ein Lauf­feuer.

Corona als Einstieg in die rechte Szene

Die Amadeu Antonio Stif­tung beschäf­tigt sich seit Jahren mit solchen Tendenzen. Durch Corona beob­achten wir seit letztem März sehr schnelle Radi­ka­li­sie­rungs­pro­zesse, die so vorher nur selten statt­fanden“, erklärt Lorenz Blumen­thaler, der in der Stif­tung als Bildungs­ar­beiter tätig ist. Insbe­son­dere in schwie­rigen Zeiten suchen Menschen im Verschwö­rungs­glauben Halt. Das erkläre auch, warum die Initia­tive Quer­denken“ inner­halb kürzester Zeit einen so hohen Zulauf hatte.

Gleich­zeitig werden extreme Posi­tionen in der Gesell­schaft immer salon­fä­higer. Menschen, die mit Reichs­kriegs­flagge und anti­se­mi­ti­schen Symbolen durch die Innen­stadt laufen, sind nicht mehr so ein unge­wohnter Anblick wie vor Corona. Oft laufen hier auch Leute mit, die genau wie Hanna auf den ersten Blick nicht dem Bild einer rechts­extremen Person entspre­chen. Die Hemm­schwelle sinkt, ein Zeichen in die falsche Rich­tung wird gesetzt und die Grenzen von Legi­ti­mität werden verschoben“, sagt Frank Greuel, der sich im Jugend­in­stitut Halle mit Extre­mismus-Präven­tion beschäf­tigt.

Dorf­leben und Echo­kam­mern

Gene­rell findet man rechte Struk­turen und Gedan­kengut an fast allen Orten in Deutsch­land. Dennoch seien tenden­ziell eher länd­liche Regionen betroffen, häufiger im Osten als im Westen Deutsch­lands, so Greuel.

Hanna wächst in einem kleinen Dorf in Sachsen in der Nähe von Chem­nitz auf. Das sagt eigent­lich schon alles“, meint sie im Inter­view mit poli­ti­ko­range-Redak­teurin Anna Kauf. Hanna hat eigent­lich eine ganz normale Kind­heit. Sie ist Einzel­kind, hat eine gute Bezie­hung zu ihren Eltern, die ihr viel Frei­heit lassen. Am Wochen­ende geht die Familie campen und unter der Woche verbringt Hanna viel Zeit mit Freund*innen. Trotzdem blickt Hanna eher mit nega­tiven Gefühlen auf diese Zeit zurück. In Hannas Dorf machen rechts­extreme Ideo­lo­gien die Grund­ein­stel­lung aus. Sie berichtet von den Treffen mit Gleich­alt­rigen in einer Garage. Die Jugend­li­chen hören rechts­extreme Musik und lachen über rechte Videos. Papi lacht darüber und Mami findet es witzig. Wenn alle das feiern, dann muss es wohl richtig sein“, dachte sich Hanna damals.

Auf Hannas Gymna­sium hingegen sind Neo-Nazis eher Außenseiter*innen und die Ausnahme. Die Haupt-und Mittel­schule war hingegen voll mit strammen Faschos“, sagt Hanna, Alpha-Jacken und Sprin­ger­stiefel waren prak­tisch der Dress­code.“ In ihrer Jugend hat es für Hanna kaum Alter­na­tiven gegeben. In einem Dorf wie ihrem gibt es selten Gegen­stimmen und die Jugend­li­chen kommen aus diesen Filter­blasen nur schwer heraus. Es entstehen soge­nannte Echo­kam­mern, in denen sich rassis­ti­sche Ansichten immer weiter hoch­schau­keln. Das Problem sei so komplex wie offen­sicht­lich: Jugend­liche wollen soziales Zusam­men­leben und Kontakt zu Gleich­alt­rigen. Der ist mitunter in diesen Gegenden nur mit Leuten möglich, die solchen Ideo­lo­gien anhängen, erklärt Frank Greuel. Wo gibt es alter­na­tive Jugend­kul­turen, an die Menschen wie Hanna sich wenden können?

Social Media als Radi­ka­li­sie­rungsweg

Durch das Internet wird Jugend­li­chen die Möglich­keit gegeben, sich über die Dorf­grenze hinaus zu vernetzen. Der typi­sche Neo-Nazi, der auf dem Schulhof CDs verteilt, um Anhänger*innen zu gewinnen, stirbt langsam aus. Statt­dessen finde sowohl der Rekru­tie­rungs- als auch der Radi­ka­li­sie­rungs­pro­zess häufig auf sozialen Platt­formen statt. Rechts­extreme waren schon immer sehr gut darin, sich Jugend­kul­turen schnell anzu­eignen und für ihre Zwecke zu instru­men­ta­li­sieren“, sagt Blumen­thaler. Beispiel­haft dafür sei die rechte Meme-Culture“, die sowohl auf Reddit, als auch auf Insta­gram aktiv vertreten ist. Menschen­ver­ach­tende und rassis­ti­sche Inhalte werden in einen witzigen“ Spruch verpackt, mit einem Foto versehen und von rechten Accounts oder Influencer*innen verbreitet.

Die Gefahren, die von rechten und rechts­extre­mis­ti­schen Inhalten im Internet ausgehen, sind ziem­lich offen­sicht­lich. Während der Verfas­sungs­schutz rechte Struk­turen wie in Hannas Dorf laut Blumen­thaler zumeist ganz genau beob­achtet, radi­ka­li­sierten sich Menschen online im Verbor­genen und könnten von Behörden nur schwer kontrol­liert werden. Auch die Atten­täter in Halle und Hanau haben sich zu Hause, vernetzt über das Internet, radi­ka­li­siert.

Ich wollte nur dazu gehören“

Während sich rechte Grup­pie­rungen in Idealen und Zielen unter­scheiden, ist die Moti­va­tion von Einsteiger*innen in die rechte Szene oft gleich. Hanna hat bei Dingen mitge­macht, an die sie nicht glaubte. Sie sagt, sie habe es gar nicht hinter­fragt, über menschen­ver­ach­tende Kommen­tare zu lachen oder Leute auszu­grenzen, sondern einfach die Meinung der Anderen über­nommen. Heute schämt sie sich dafür und sagt im Inter­view immer wieder, wie dumm sie war. Aber damals brauchte sie die Aner­ken­nung und das Zuge­hö­rig­keits­ge­fühl.

Für betrof­fene Personen ergibt diese Ideo­logie subjektiv Sinn“, erklärt Frank Greuel, der sich seit Jahren mit Jugend­li­chen in der Extre­mismus-Präven­tion beschäf­tigt. Laut Greuel ist die Zuflucht in rechte Struk­turen erklärbar, denn sie speise sich aus mensch­li­chen Bedürf­nissen wie Aner­ken­nung und Selbst­wert­stei­ge­rung.

Hanna erzählt davon, dass es bei ihr im Dorf kaum nicht-weiße Menschen gab. Alles; was sie als Jugend­liche wusste und woran sie geglaubt hat, basierte auf den Nega­tiv­bei­spielen, die ihr Vater aufführte. Wenn er sich beim Essen über Ausländer*innen beschwerte und ihr auftrug, denen ja aus dem Weg zu gehen“, bildeten sich auch bei Hanna solche Ansichten.

Alltags­ras­sismen bleiben unwi­der­spro­chen

Eine Erin­ne­rung: Hanna ist im Dorf mit Freun­dinnen unter­wegs. Sie ist 13 Jahre alt. An der Bushal­te­stelle treffen die Freun­dinnen auf eine andere Mädchen­gruppe. Eine von ihnen ist Schwarz. Ohne darüber nach­zu­denken, belei­digen Hanna und ihre Freun­dinnen das Mädchen mit rassis­ti­schen Schimpf­wör­tern. Heute tut Hanna ihr Verhalten leid und es fällt ihr schwer, diese Aktion nach­zu­voll­ziehen. Was hat das Mädchen getan, um so behan­delt zu werden?

Es ist ein Jahr später. Hanna ist fast 15 Jahre alt. Über den Sommer hat sie neue Freund*innen gefunden. Einer von ihnen ist nicht Weiß. Eines Tages klin­gelt er an ihrer Haustür. Panisch schickt Hanna ihn sofort weg, denn sie weiß, wenn Papa ihn sehen würde, gäbe es Stress.

Raus aus den rechten Struk­turen

Wenn Alltags­ras­sismus unwi­der­spro­chen bleibt, nehmen Jugend­liche leicht Vorur­teile mit. Die wenigsten schaffen es, so wie Hanna, diese im Laufe ihres Lebens komplett abzu­legen.

Der Ausstieg aus der Szene ist ein mühsamer, langer Prozess“, sagt Fabian Kauf­mann vom Nord­ver­bund Ausstiegs­hilfe. Es passiert nicht von heute auf morgen, dass Menschen sich komplett von ihrer Ideo­logie ablösen. Deshalb spricht Kauf­mann lieber von einem Dera­di­ka­li­sie­rungs­pro­zess. Sein Projekt Prisma“ arbeitet mit soge­nannten Neu-Rechten“ mit Ausstiegs­wunsch.

Hanna ist aus der Szene raus, bevor sie wirk­lich tief inte­griert war. Sie hat den rich­tigen Moment noch gefunden. Leider habe ich viel zu spät gelernt, meinen eigenen Kopf zu benutzen und die rich­tigen Freunde zu finden“, sagt sie im Inter­view. Sie beschreibt eine Situa­tion, die ihr bis heute sehr lebhaft in Erin­ne­rung geblieben ist:

Es ist 2015, das Jahr in dem hundert­tau­sende Geflüch­tete über das Mittel­meer nach Deutsch­land kommen. Hanna braucht einen neuen Ausweis und steht in der Schlange vor dem Bürgeramt in der nächst­grö­ßeren Stadt. Vor ihr steht eine Familie, die vermut­lich vor kurzem nach Deutsch­land gekommen ist. Hanna ist geschockt. Das war eine Familie mit sehr vielen Kindern und alle hatten nur eine Tüte dabei, mit allem drin, was sie besaßen“, erin­nert sie sich. Hanna hört genau zu, was die Dame von der Behörde sagt. Die Familie soll in einer Notun­ter­kunft leben. Nach einer kurzen Google-Recherche weiß Hanna, dass es sich dabei um eine Turn­halle handelt. Die können doch nicht den Winter in einer Turn­halle verbringen“, denkt sich Hanna, das sind doch Kinder.“ Sie möchte helfen und bietet der Mutter der Familie Geld an.

Diese Situa­tion ändert für Hanna vieles. Erst­mals lernt sie Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund wirk­lich kennen und hinter­fragt die Ansichten ihres Vaters. Zusammen mit einer Freundin beginnt Hanna ehren­amt­lich in einer Notun­ter­kunft für geflüch­tete Menschen zu arbeiten. Sie betreut Kinder und unter­stützt Mütter. Die waren wie Familie für mich“, sagt sie. Ihrem Vater erzählt Hanna vorerst nichts. Als er es doch heraus­findet, eska­liert er. Er erwartet, dass Hanna auf der Arbeit etwas angetan wird. Aber Hanna ist sich sicher, dass sie das Rich­tige tut und macht tagtäg­lich die Erfah­rung, dass die Menschen, die sie ihr Leben lang abge­lehnt hat, ihr gar nicht so unähn­lich und vor allem ganz normale Menschen sind.

Man muss sich Neo-Nazis entge­gen­stellen!“

Hanna ist jetzt 31 Jahre alt und hat ihr Leben komplett umge­dreht. Sie wirkt reflek­tiert und freund­lich und erzählt mit Scham von ihren Erfah­rungen. Heute ist Hanna über­zeugte Gegen­de­mons­trantin bei rechten Aufmär­schen in Chem­nitz. Es ist wichtig, dass man da ist. Die Zahl ist wichtig. Man muss Präsenz zeigen“, sagt Hanna. Sie möchte, dass rechts­extreme Menschen wissen, dass sie nicht die Mehr­heit sind. Hanna lässt Neo-Nazis nicht mehr unkom­men­tiert ihr Zuhause einnehmen. Auch Hannas Mutter hat diesen Sinnes­wandel durch­ge­macht und ist heute in fast allem Hannas Meinung. Nur ihr Vater postet weiterhin rechte und verschwö­rungs­ideo­lo­gi­sche Inhalte auf Social Media. Er glaubt an Chem­trails – angeb­liche Chemi­ka­lien in den Kondens­streifen von Flug­zeugen, die der Bevöl­ke­rungs­re­du­zie­rung dienen sollen – und Corona-Mythen.

Auf die Frage, wie sie damit umgeht, lacht Hanna. Bei ihrem Vater sei jegliche Hoff­nung leider verloren. Hanna vermeidet, wenn möglich, über das Thema zu spre­chen. Nur Fami­li­en­feiern bleiben anstren­gend.

Die Frage, wie man mit solchen Situa­tionen umgeht, beschäf­tigt auch Bildungs­ar­beiter Lorenz Blumen­thaler. Er fordert dazu auf, digi­tale Zivil­cou­rage zu leisten, um Hass und Hetze im Netz zu begegnen, damit bedenk­liche Inhalte nicht unkom­men­tiert blieben. Gene­rell wird in der Präven­ti­ons­ar­beit momentan ein Schwer­punkt auf digi­tale Ange­bote gesetzt. Die Amadeu Antonio Stif­tung hat dazu das Programm Good Gaming – Well played Demo­cray“ ins Leben gerufen, um rechts­extremem Hass auf Gaming Platt­formen zu begegnen und hoffent­lich zukünftig Taten wie in Hanau zu verhin­dern. Auch der Nord­ver­bund Ausstieg passt sich dem Wandel an und bietet zukünftig Ausstiegs­be­ra­tung über Chats oder anonyme E‑Mails an. Es besteht immer ein Unter­schied, ob man mit Leuten persön­lich oder digital spricht“, sagt Fabian Kauf­mann, digital und anonym sinkt die Hemm­schwelle, sich an uns zu wenden“.

Projekte wie diese geben Hoff­nung, dass auch in Zukunft für demo­kra­ti­schen Werte gekämpft wird. Denn selbst in einer pande­mi­schen Notlage zeigen viele Menschen Zivil­cou­rage und stellen sich mutig und selbst­be­wusst gegen rechte Struk­turen und Grup­pie­rungen. Häufig sind auf Gegen­de­mons­tra­tionen gegen Rechts mehr Teilnehmer*innen, als auf den eigent­li­chen rechten Veran­stal­tungen. Wie Hanna sagt: Die Rechten sind nicht die Mehr­heit.


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