Obwohl die Mauer gefallen ist, ziehen sich manche Grenzen weiter: durch die Verteilungen von Vermögen, Erbschaften oder Spitzenpositionen. Dabei zieht vor allem der Osten den Kürzeren, außer bei rechten Wahlergebnissen. Galten diese Ergebnisse bisher als ostdeutsches Phänomen, können sie uns einiges über die Zukunft Deutschlands und (fehlende) Generationengerechtigkeit verraten. Ein Kommentar von Leni Klehr.
Nach einer langen Trennung wieder zueinanderzufinden, ist nicht unbedingt leicht. Es braucht Kompromisse, viel Zuhören und Verständnis. Was zwischenmenschlich schon schwer ist, birgt auf nationaler Ebene ganz andere Herausforderungen. Deutschland ist dafür wohl das Paradebeispiel schlechthin. Die deutsch-deutsche Grenze trennt uns nicht mehr physisch, aber ist dennoch zu spüren — und beeinflusst so Generationengerechtigkeit.
„Es sind die kleinen, nicht unsichtbaren, aber unbewussten Dinge, die dazu führen, dass bestimmte Kreise sich einfach nicht für Ostdeutsche öffnen“, sagt Claudia Müller, derzeit einzige Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Rede ist von fehlendem Wissen über Zugänge zu Stipendien oder Führungspositionen. Was Eltern nicht kennen, können sie ihren Kindern nur schwer beibringen. Auch die Brandenburgerin Isabelle Vandre (MdB, Die Linke) betont dieses Problem und verweist zudem auf das Lohngefälle zwischen Ost und West. Ihre Eltern rutschten nach der Wende selbst in die Arbeitslosigkeit, wie eine Million andere Ostdeutsche. Als Folge dieser biografischen Brüche konnte im Osten nur schwer Vermögen aufgebaut werden, geerbt wird weniger als im Westen und auch bei Führungspositionen sind Ostdeutsche gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil unterrepräsentiert. Diese Probleme sind bekannt, doch kritisch ist, wie damit umgegangen wird.
Nicht das Was, sondern das Wie
Auch in diesem Text fällt einfachheitshalber der Begriff „Osten“ – hier ist jedoch nicht das Was, sondern das Wie von Bedeutung. Wenn medial über den Osten berichtet wird, dann überdurchschnittlich oft in Verknüpfung mit rechter Ideologie und Demokratiefeindlichkeit, wie Forschende analysierten. Besonders nach Wahlen wird dieses vereinfachte Bild reproduziert. Die ostdeutschen Bundesländer, denen durch plumpe Bezeichnungen ihre verschiedenen Facetten abgesprochen werden, sind aber nicht die Übeltäter.
Die Frage der Gerechtigkeit geht viel tiefer, so ist es vielmehr eine Sache der Strukturstärke einer Region, die Ungleichheit und Wahlergebnisse beeinflusst. Am stärksten ist die AfD weiterhin in ostdeutschen Bundesländern. Den verhältnismäßig größten Zuwachs erhielt sie jedoch nach der Bundestagswahl 2025 im Westen, was steigende Zahlen in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein zeigen. Dass der Westen dem Osten bei der Zustimmung zur AfD nur knapp vier Jahre hinterherhinkt und immer schneller aufholt, stellt auch die Amadeu Antonio Stiftung fest. Es wäre fatal zu vergessen, dass es im Westen genauso Unzufriedenheit und strukturschwache Gebiete gibt – oder wie Claudia Müller es sagt: „Es ist nie nur ein ostdeutsches Problem“.
Die Menschen hinter den Parametern
Strukturelle Unterschiede, die Teilhabe und damit auch Generationengerechtigkeit beeinträchtigen, beschäftigen auch die Kommunalpolitik. Besonders im ländlichen Raum müssen Strukturen gestärkt werden, um dem Vakuum von Jugendangeboten entgegenzuwirken, genauso wie es häufigere ÖPNV-Verbindungen und bessere Möglichkeiten zur zivilgesellschaftlichen Partizipation braucht. Es werde vor Ort bereits gute Arbeit geleistet, beschreibt Sonja Eichwede (SPD), doch es sei ein Kampf auf kommunaler Ebene, denn die nötigen Mittel vom Bund fehlen. Eine Frage der Finanzierung also.
Aus diesen Beobachtungen lässt sich einiges ableiten, ein besonderes Augenmerk sollte jedoch immer auf den Menschen liegen, die hinter diesen Parametern stehen. Leere Worte zahlen keine Miete und vergeben kein Stipendium. Zum Wohle einer heranwachsenden Generation, für die gesellschaftliche Spaltung zum Alltag gehört, sollten wir Strukturen angehen und nicht an Oberflächlichkeiten kratzen. Demokratie garantiert keine Gerechtigkeit für alle, doch ehrliche Perspektivwechsel könnten ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Jugendmedienworkshops im November 2025 entstanden. Das Projekt wird von der Jugendpresse Deutschland, dem Deutschen Bundestag und der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert.
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