Türkisch für Wieder­an­fänger

Datum
12. März 2018
Autor*in
Jan Hendrik Blanke
Redaktion
politikorange
Thema
#EWLako18
Türkische und Deutsche Flaggen

Türkische und Deutsche Flaggen

Nach der Frei­las­sung des Jour­na­listen Deniz Yücel scheinen sich die deutsch-türki­schen Bezie­hungen allmäh­lich zu entspannen – oder? Jan Blanke hat mit dem Poli­tik­wis­sen­schaftler Sharo Garip über die Lage in der Türkei gespro­chen.

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Derzeit sitzen in der Türkei noch fünf Deutsche in Haft. 30 weitere dürfen nicht ausreisen. / Foto: Suzanne Jaroas

28 Tage vor Deniz Yücel durfte Sharo Garip die Türkei verlassen. Die Anklage gegen beide lautete: Terro­ris­mus­un­ter­stüt­zung. Als Terro­rist oder Terro­ristin in der Türkei wird inhaf­tiert, wer von der Polizei in Verbin­dung mit dem Putsch­ver­such 2016 oder PKK (Partiya Karkerên Kurdi­stanê), der kurdi­schen Arbei­ter­partei gebracht wird. Aufgrund des letz­teren Vorwurfs wurde gegen Sharo Garip ein zwei­jäh­riges Ausrei­se­verbot verhängt. Vor seinem Ausrei­se­verbot war Garip, der in Deutsch­land Poli­to­logie und Sozio­logie studierte, Dozent für Politik an der Univer­sität der ostana­to­li­schen Stadt Van. An der Univer­sität konnte ich alles ohne Zensur unter­richten, ohne Probleme von der Univer­si­täts­ver­wal­tung oder der Polizei. Auch der Natio­nal­so­zia­lismus, die PKK, Frau­en­eman­zi­pa­tion oder Kurdi­stan waren unpro­ble­ma­ti­sche Themen“, so Garip. Als er jedoch im Januar 2016 die Peti­tion Wir werden nicht Teil dieses Verbre­chens sein“ unter­zeich­nete, sollte sich alles ändern.

Gefangen in der Türkei

Mit Garip unter­schrieben in der ersten Auflage 1.128 Akade­miker und Akade­mi­ke­rinnen die Peti­tion, die eine fried­liche Lösung im Konflikt um Kurdi­stan mit der PKK forderte, der nach den türki­schen Parla­ments­wahlen im Juni 2015 neu und gewaltsam aufflammte. Mitt­ler­weile haben 300 der Unter­zeich­nenden eine 15-mona­tige Haft­strafe erhalten, weiß Garip zu berichten. Wie auch er wurden beinah alle von ihnen aus dem Univer­si­täts­dienst entlassen. Für Menschen mit doppelter Staats­bür­ger­schaft wurden Ausrei­se­ver­bote verhängt, zunächst ohne Ankla­ge­schrift. Wer einmal aufgrund von Terro­ris­mus­un­ter­stüt­zung aus dem Staats­dienst entlassen worden ist, habe kaum eine Chance, erneut eine Anstel­lung zu finden. Garip wurde von der Deut­schen Botschaft mit Sozi­al­leis­tungen unter­stützt. Ansonsten war er auf sich gestellt.

Politik mit zwei­erlei Maß

Garip fühlt sich alleine gelassen vom deut­schen Staat. Man hätte zum Beispiel Univer­si­täts­part­ner­schaften auf Eis legen können, Dele­ga­tionen schi­cken oder medial mehr Druck aufbauen können“, um ein Zeichen zusetzten, dass Deutsch­land auch am Schicksal von Deutsch-Türken in der Türkei inter­es­siert ist, sagt Garip. Dabei war er zwar einer der ersten Deutsch-Türken, die Restrik­tionen in der Türkei erfuhren, aber bei Weitem nicht der einzige. Im Jahr 2017 waren laut Infor­ma­tionen des Auswär­tigen Amtes bis zu 54 Deut­sche in türki­schen Gefäng­nissen inhaf­tiert. Auf Garips Ausrei­se­verbot folgten in weniger als einem Jahr unter anderem die Verhaf­tung von Deniz Yücel (Jour­na­list), Peter Steudner (Menschen­rechts­ak­ti­vist) und Mesale Tolu (Jour­na­listin). Die deut­sche Außen­po­litik ist ein Skandal. Mit zwei­erlei Maß kann man keine Politik machen. Auf der einen Seite paktiert Deutsch­land mit der Türkei, auf der anderen Seite propa­giert es die Demo­kratie und Menschen­rechte“, sagt Garip mit verzwei­feltem Ton.

Deutsch­land und die Türkei

Für Ihn ist es unver­einbar, dass Deutsch­land mit der Türkei koope­riert, aber die im Grund­ge­setz fest­ge­legten Leit­ziele der deut­schen Außen­po­litik Frieden, Abrüs­tung und die Reali­sie­rung der Menschen­rechte sind. 2017 wurden Güter im Wert von 21,5 Milli­arden Euro in die Türkei expor­tiert, auf Waffen entfielen dabei 25 Millionen Euro. Die Unter­brin­gung von syri­schen Flücht­lingen in der Türkei unter­stützt Deutsch­land mit Milli­ar­den­zah­lungen. Auch setzt sich Deutsch­land für die Heran­füh­rung der Türkei an die EU ein. All das empfindet Garip als Symptome dafür, dass hier Politik mit zwei­erlei Maß gemacht werde. Er wirft der deut­schen Politik vor, schon viel zu lange zuge­sehen zu haben. Mit der Arme­nien-Reso­lu­tion im Juni 2016 begann die Verhär­tung der deut­schen Politik gegen­über der Türkei. Als Reak­tion verbot die Türkei deut­schen Parla­men­ta­riern und Parla­men­ta­rie­rinnen den Trup­pen­be­such in Incirlik. Ein Jahr später kündigte Sigmar Gabriel (SPD) auf der Pres­se­kon­fe­renz des Auswär­tigen Amtes eine neue Eska­la­ti­ons­stufe in der Bezie­hung zur Türkei an. Begrün­dung dafür waren die vielen inhaf­tieren Deut­schen. Reise­war­nungen wurden verschärft und ange­kün­digt, die EU-Beitritts­ver­hand­lungen auf den Prüf­stand zu stellen. Waffen­ex­porte, die an Nato-Partner norma­ler­weise einfach und schnell geneh­migt werden, wurden einge­schränkt, berich­tete die Süddeut­sche Zeitung. Die Planung der Luft­waf­fen­ver­le­gung aus Incirlik nach Jorda­nien wurde im Juli reali­siert.

Ausrei­se­verbot aufge­hoben

Zum Ende letzten Jahres kam Tolu frei. Steudner und Yücel folgten. Auch das gegen Sharo Garip verhängte Ausrei­se­verbot wurde aufge­hoben. Er erzählt, dass er froh sei, wieder nach Deutsch­land zurück­kommen zu können. Er sei auch wieder zurück an der Univer­sität und erhält dort ein Post­gra­duen­ten­sti­pen­dium. Der Wechsel in die Lehre an der Univer­sität Köln sei geplant. Während­dessen laufe der Prozess gegen ihn in der Türkei weiter. Was die türki­schen Insti­tu­tionen bewogen hat, die Deut­schen frei zu lassen, ist unbe­kannt. Es wurden bisher noch nicht alle Repres­sionen gegen deut­sche Bürge­rinnen und Bürger in der Türkei einge­stellt. Laut Recher­chen des Mittel­deut­schen-Rund­funks (MDR) sitzen nur noch fünf Deut­sche aus poli­ti­schen Gründen in türki­schen Gefäng­nissen. Gegen knapp 30 Personen wurde ein Ausrei­se­verbot verhängt. Die Haft­ent­las­sungen haben Wirkung gezeigt – beson­ders die von Yücel. In den deutsch-türki­schen-Bezie­hungen stehen die Weichen auf Entspan­nung. Kurz nach der Frei­las­sung Yücels thema­ti­siert Sigmar Gabriel (SPD) auf der Münchener Sicher­heits­kon­fe­renz Dees­ka­la­ti­ons­maß­nahmen: Wir müssen, glaube ich, dieses Momentum nutzen, jetzt alle Gesprächs­for­mate wieder zu beleben mit der Türkei – wissend, dass das nicht einfach wird, wissend, dass das nicht von heute auf morgen zu ganzen einfa­chen Zeiten führt.“ Wie schnell der Entspan­nungs­kurs mit der Türkei ablaufen kann, wurde Repor­te­rinnen und Repor­tern von Abge­ord­neten aus Kreisen des nord­rhein-west­fä­li­schen Land­tags berichtet. So wurden allein im Februar in Nord­rhein-West­falen fünf Demons­tra­tionen gegen den türki­schen Einmarsch in Afrin, im Januar dieses Jahres, mit der Begrün­dung abge­lehnt, dass die Demons­tran­tinnen und Demons­tranten der PKK nahe­stehen. In den Monaten Februar und März wurden nach Yücels Befreiung 31 Rüstungs­exporte in die Türkei wieder voll­um­fäng­lich geneh­migt. Und auch die Wahl­kampf­auf­tritte von AKP-Funk­tio­nären, die mit der Abstim­mung über das türki­sche Verfas­sungs­re­fe­rendum im April 2017 in Deutsch­land verboten worden sind, dürfen wieder statt­finden. Erst am Donnerstag durfte Bozdağ, der Außen­mi­nister der Erdoğan-Regie­rung in Baden-Würt­tem­berg auftreten. Trotz allem möchte Garip wieder in die Türkei zurück­kehren, um seinen Prozess zu führen .

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