Noch viel zu tun

Trans flag - Unsplash, Sharon McCutcheon, frei

Trans flag - Unsplash, Sharon McCutcheon, frei

Foto: Sharon McCutcheon; Quelle: Unsplash

Der Weg zur recht­li­chen Aner­ken­nung ihres tatsäch­li­chen Geschlechts ist für trans* Personen häufig entwür­di­gend. Tilmann Koch im Gespräch mit Kalle Hümpfner, Referent*in für gesell­schafts­po­li­ti­sche Arbeit beim Bundes­ver­band Trans*, über die recht­liche Lage von trans* Personen in Deutsch­land und drin­gend nötige Reformen.

Foto: Sharon McCutcheon; Quelle: Unsplash

Foto: Sharon McCutcheon / unsplash

Was muss eine trans* Person in Deutsch­land tun, um recht­lich aner­kannt zu werden?

Kalle Hümpfner: Da muss erstmal eine Namens- und Perso­nen­stands­än­de­rung durch­ge­führt werden – das ist die Voraus­set­zung für eine neue Geburts­ur­kunde, mit der dann ein neuer Perso­nal­aus­weis oder Reise­pass bean­tragt werden kann. Die Geset­zes­lage dazu in Deutsch­land ist veraltet: Das soge­nannte Trans­se­xu­el­len­ge­setz – einge­führt in den 80er Jahren – sieht vor, dass es ein Gerichts­ver­fahren gibt. Bei dem werden zwei recht teure Gutachten einge­for­dert, durch die das Gericht dann entscheiden soll: Liegt wirk­lich eine Tran­si­den­tität vor? Bei der Begut­ach­tung werden häufig sehr entwür­di­gende Fragen gestellt. Etwa nach sexu­ellen Vorlieben oder nach der Wahl der Unter­wä­sche.

Das Verfahren in Deutsch­land wurde schon häufig als nicht menschen­rechts­kon­form kriti­siert. Bis 2011 mussten trans* Personen eine Steri­li­sa­tion machen, sich also Eier­stöcke oder Hoden entfernen lassen, bevor sie ihren Perso­nen­stand ändern durften. Zum Glück haben Aktivist*innen vor Gericht erstritten, dass das gekippt wurde. Aber ganz allge­mein: Aus der Politik kam in den letzten 40 Jahren wenig Enga­ge­ment, meis­tens wurden Gerichte aktiv, weil sich trans* Personen gegen Benach­tei­li­gung einge­setzt haben.

Wo liegt denn das Problem bei der derzei­tigen Regel?

Durch meine Arbeit in der Trans*beratung weiß ich, dass die recht­li­chen Hürden eine große Belas­tung für die Betrof­fenen sind. trans* Personen sind teil­weise jahre­lang mit Büro­kratie und dem Stellen von Anträgen beschäf­tigt. Und auch im Alltag stört es, wenn nicht der rich­tige Name oder das rich­tige Geschlecht auf den Unter­lagen steht – etwa, wenn bei Bewer­bungen jedes Mal aufs Neue erklärt werden muss, wieso zum Beispiel unter­schied­liche Namen in Anschreiben und Zeug­nissen auftau­chen. Auch so etwas wie eine Poli­zei­kon­trolle wird noch einmal zusätz­lich belas­tend erlebt, wenn die Beamt*innen kriti­sche und über­grif­fige Fragen wegen der Doku­mente stellen, weil Name und Aussehen vermeint­lich nicht zusam­men­passen.

In den Medien war im vergan­genen Jahr häufig von der dritten Option“ zu hören. Betrifft die auch trans* Personen?

Viele Leute haben das mitbe­kommen: Vor dem Stan­desamt können mitt­ler­weile Menschen mit einem Attest, das das Vorliegen einer Vari­ante der Geschlechts­ent­wick­lung“ bestä­tigt, eine Namens- und Perso­nen­stands­än­de­rung bean­tragen. Vari­ante der Geschlechts­ent­wick­lung“ ist ein Begriff aus der Medizin, der die natür­liche Viel­falt bei Geschlechts­merk­malen umfasst, jedoch als eine Krank­heit fasst. Gemeint sind hier also inter­ge­schlecht­liche Personen, die unter­schied­lichste biolo­gi­sche Geschlechts­merk­male haben und deren Körper nicht den gängigen Vorstel­lungen eines männ­li­chen“ oder weib­li­chen“ Körpers entspre­chen. Ob das Gesetz auch für trans* Personen gilt, denen meis­tens bei der Geburt ein Geschlecht zuge­schrieben wird, mit dem sie sich im späteren Leben aller­dings nicht iden­ti­fi­zieren, ist umstritten. Wichtig fest­zu­halten ist: inter* wie trans* Personen sind fremd­be­stimmt. Inter­ge­schlecht­liche Personen sind auf eine*n Ärzt*in ange­wiesen, der ihnen ein Attest ausstellt, trans* Personen auf Gutachter*innen.

Es ist gerade vieles in Verhand­lung. Aktuell gibt es eine Verfas­sungs­be­schwerde vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt – da geht es um die Frage: Steht die dritte Option“ auch für nicht-binäre, nicht-inter­ge­schlecht­liche Personen offen? Also können Personen, die sich als weder männ­lich noch weib­lich verstehen, deren Körper aber von der Medizin als männ­lich oder weib­lich einge­ordnet werden, diese Rege­lung nutzen? Das wird hoffent­lich demnächst vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt verhan­delt.

Wie sähe eine möglichst diskri­mi­nie­rungs­freie Regel aus?

Trans*, inter* und nicht-binäre Personen sollten die Möglich­keit haben, mit einer einfa­chen Erklä­rung vor dem Stan­desamt ihren Namen und Perso­nen­stand zu ändern. Diese Ände­rung sollte durch die Gesetzgeber*in möglichst schnell erfolgen, am besten noch in dieser Legis­la­tur­pe­riode.

Einfache Erklä­rung heißt: Keine weiteren Gutachten oder Atteste sind nötig. Denn Geschlecht und Iden­tität sind nicht diagnos­ti­zierbar. Die Erfah­rungen der Vergan­gen­heit zeigen: Gutachter*innen können auch nichts anderes schreiben als das, was die Person erzählt. Es gibt keinen Erkennt­nis­wert, nur weil das alles von einer Person mit Abschluss doku­men­tiert wird. Die Selbst­aus­kunft der Person muss ausrei­chen.

Konser­va­tive Politiker*innen würden sicher einwenden, damit sei die Hürde ja viel zu niedrig.

Ja, diese Gegen­reden hört man. Häufig wird befürchtet, dass es eine Art Belie­big­keit gibt. Dass Menschen ihren Eintrag nach zwei Wochen plötz­lich wieder wech­seln. Aber die Erfah­rungen aus anderen Ländern wie Malta und Argen­ti­nien, die seit Jahren einen selbst­be­stimmten Geschlechts­ein­trag ermög­li­chen, zeigen: Es kommt wirk­lich nur in Einzel­fällen vor, dass Personen den Eintrag mehr als einmal ändern.

Stich­wort andere Länder: Hinkt Deutsch­land im globalen Vergleich hinterher oder zählen wir zu den progres­si­veren Staaten?

(lacht) Also, das Trans­se­xu­el­len­ge­setz, das ich eingangs erwähnt habe, war das zweite Gesetz dieser Art welt­weit. Anfang der 80er. Seitdem ist aber viel passiert. Damals war Deutsch­land viel­leicht etwas fort­schritt­li­cher, heute sind wir aber aller­höchs­tens Mittel­feld. In Island konnten wir in den letzten Monaten beob­achten, wie ein selbst­be­stimmter Geschlechts­ein­trag einge­führt wurde. Da ist viel Bewe­gung inter­na­tional. Das stimmt uns hoff­nungs­voll, dass es eine entspre­chende Gesetz­ge­bung in Deutsch­land auch in den nächsten Jahren geben wird. Es gibt aber noch einiges zu tun, was Rechte von trans* Personen angeht.

Zum Beispiel?

Im Gesund­heits­system sind geschlechts­an­glei­chende Maßnahmen an eine Diagnose gekop­pelt, die trans* Personen eine psychi­sche Störung zuschreibt. In anderen Ländern müssen sich trans* Personen nicht mehr als psychisch krank labeln lassen, um Zugang zu Hormonen oder geschlechts­an­glei­chenden Opera­tionen zu haben. Deutsch­land ist an diesem Punkt leider noch nicht so weit. Oder das Thema trans und Eltern­schaft…

Was ist da das Problem?

Ganz prak­tisch: Wenn trans* Personen ein Kind bekommen, dann werden sie wieder mit ihrem früheren, bereits abge­legten Namen in die Geburts­ur­kunde einge­tragen. Eine Fremd­be­zeich­nung, die als sehr schmerz­haft wahr­ge­nommen wird. Oder trans* Personen stellen sich gegen die Eintra­gung in der Geburts­ur­kunde unter einem falschen Namen und Geschlechts­ein­trag und es gibt gar keine Geburts­ur­kunde für das Kind. Beides führt im Alltag zu einer stän­digen Not, sich erklären und outen zu müssen, um zum Beispiel das Sorge­recht nach­zu­weisen.

Was neben den Themen selbst­be­stimmter Geschlechts­ein­trag, Zugang zum Gesund­heits­system und Eltern­schaft auch nicht vergessen werden darf, ist die Gewalt, der trans* Personen im öffent­li­chen Raum ausge­setzt sind. Vor allem trans* femi­nine Personen of Color oder Schwarze Personen werden häufig belei­digt oder ange­griffen.

Was müsste geschehen?

Häufig sind es Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen, die solche Zahlen erfassen. Um das Problem von Gewalt im öffent­li­chen Raum gegen trans* Personen zu lösen, braucht es eine gesamt­ge­sell­schaft­liche Verän­de­rung und mehr Bewusst­sein für die Anfein­dungen, denen trans* Personen ausge­setzt sind. Wichtig ist aber in jedem Fall eine gute und stabile Finan­zie­rung von Bera­tungs­stellen aus dem Anti-Gewalt-Bereich. Und grund­sätz­lich ist natür­lich die Frage, wie die Gesell­schaft insge­samt mit Viel­falt umgeht und wie sie sich gegen den Rechts­ruck stellt.

Kalle Hümpfner, vielen Dank für das Gespräch.

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