Naivität erwünscht

Datum
11. März 2018
Autor*in
Samira El Hattab
Redaktion
politikorange
Thema
#EWLako18
Workshop-Vortrag von JUGEND RETTET // Bild: Erik-Holm Langhof

Workshop-Vortrag von JUGEND RETTET // Bild: Erik-Holm Langhof

© Erik-Holm Langhof
Thomas Schmidt und Wilko Bein­lich sind zwei junge Männer mit einem gemein­samen Ziel: Menschen aus Seenot zu retten. Samira El Hattab hat sich von den beiden mehr über ihre Arbeit für die Orga­ni­sa­tion Jugend Rettet erzählen lassen.

Wilko Beinlich und Thomas Schmidt erzählen von ihrer Arbeit für die Organisation Jugend Rettet. / Bild: Erik-Holm Langhof

Wilko Beinlich und Thomas Schmidt berichten von ihrem Engagement für die Seenotrettung / Bild: Erik-Holm Langhof

Samira: Wie seid ihr ihr dazu gekommen, für Jugend Rettet zu arbeiten?

Thomas: Ich habe auf Face­book gesehen, dass es die Orga­ni­sa­tion gibt und dass die jugend­li­chen Veran­stal­te­rinnen und Veran­stalter sich ein Schiff kaufen wollen. Mein erster Gedanken war sofort: Das wird ja nichts! Wenn Jugend­liche aufs offene Meer wollen, um Seenot­ret­tung zu betreiben, muss jemand mit Erfah­rung dabei sein. In einer Mail an die Jugend­li­chen habe ich etwas groß­spurig geschrieben, dass ich diese Erfah­rung als Schiff­bau­stu­dent mitbringe. Dann kam gleich die Antwort, dass sie mich dabei haben wollen. Als ich dann in die Arbeit invol­viert worden bin, habe ich schnell gemerkt, dass da doch schon ganz schön viel Ahnung drin steckt.

Wilko: Den glei­chen Hinter­grund habe ich auch. Ich bin Nautiker und fahre beruf­lich zu See. Mich hatte damals ein Kumpel ange­rufen, der im Kern­team von Jugend Rettet arbeitet. Er meinte: Hey, du kannst doch ein Schiff fahren! Wir brau­chen da deine Hilfe.‘ Das Tolle an Jugend Rettet ist für mich gerade das: diese naive Heran­ge­hens­weise. Zwar wird uns das auch immer wieder vorge­worfen, doch ich sehe darin eigent­lich einen Vorteil. Eine große Orga­ni­sa­tion würde viel­leicht bei der einen oder anderen Hürde einkni­cken, bei der wir eher versu­chen, einen neuen Ansatz zu finden, also out of the box“ zu denken. Und dass wir damit Erfolg haben, sieht man ja schon an der Tatsache, dass aus der Idee, die ursprüng­lich mal ein 18-Jähriger hatte, eine Orga­ni­sa­tion geworden ist, die inner­halb von zwei Jahren schon über 14.000 Menschen­leben gerettet hat.

Wie sieht euer Alltag als Seenot­retter aus?

Wilko: Ich mache die aktive Rettung und bin auf der IUVENTA, unserem Schiff, der Steu­er­mann. Ein normaler Tag“ auf See fängt damit an, dass wir Ausschau halten, ob wir ein Boot entde­cken oder über eins infor­miert werden, das wir retten müssen. Ist das der Fall, werden zuerst die Rettungs­boote start­klar gemacht. Nachdem sie ins Wasser gesetzt worden sind, gibt es einen ersten Kontakt zu den Menschen in Not. Dabei wird fest­ge­stellt, in welcher Situa­tion sich ihr Boot befindet. Wir klären, ob es Verletzte, Tote, Kinder oder Schwan­gere gibt, die akut Hilfe benö­tigen. Danach fangen wir an, Rettungs­westen zu verteilen, denn die Rettungs­westen, die die Menschen wahr­schein­lich für viel Geld von Schlep­per­banden gekauft haben, sind meist Fälschungen. Wenn wir Menschen retten müssen, nehmen wir sie mit auf unser Schiff, um sie an größere Einheiten weiter zu geben, die sie dann zum italie­ni­schen Fest­land bringen.

Thomas: Ich hoffe meist, dass ich nichts zu tun habe: Denn ich fange an zu arbeiten, wenn die die IUVENTA in eine Notsi­tua­tion gerät. Ich bin also ständig in Bereit­schaft.

Wie seid ihr unter­ein­ander vernetzt? Gibt es regel­mä­ßige Treffen in Deutsch­land?

Thomas: In den Städten ist es häufig so, dass sich die Leute regel­mäßig treffen. In Bremen und Hannover gibt es zum Beispiel jeden Monat einen Stamm­tisch. Das Berliner Team trifft sich sogar häufiger, weil sie wesent­lich stärker in die Arbeit invol­viert sind und dort auch unser Büro liegt. In anderen Gegenden sind die Leute auch wirk­lich allein unter­wegs. Wir versu­chen aber ein- bis zweimal im Jahr, mindes­tens ein Botschaf­ter­treffen auf die Beine zu stellen, um alle Helfe­rinnen und Helfer zusam­men­zu­bringen.

Wilko, du hattest vor dem Inter­view erzählt, dass du schon Todes­dro­hungen bekommen hast. Wie erklärst du dir das und wie bist du damit umge­gangen?

Wilko: Einige Popu­listen, wie Pegida und die AFD, versu­chen eine nega­tive Wirkung zum Thema Flücht­linge publik zu machen. Sie predigen eine Verall­ge­mei­ne­rung von einigen wenigen sehr schlechten Beispielen, bei denen sich Flücht­linge krimi­nell verhalten haben. Dieses Über einen Kamm scheren“ ist einfach. Leiden müssen unter solchen Gene­ra­li­sie­rungen Menschen, die sich nicht wehren können. Das finde ich sehr, sehr traurig. Alle diese Menschen, die wir gerettet haben, haben eine Familie, ein Schicksal. Ich bin unheim­lich froh darüber, dass wir dazu beitragen„ die Geschichten dieser Leute neu zu erzählen.

Thomas: Wie man damit umgeht, hängt von der Persön­lich­keit ab. Einige unserer Mitglieder finden es schwierig, auf Hass und Todes­dro­hungen zu reagieren, einigen fällt es leicht. Man darf es gene­rell nicht persön­lich nehmen und muss sich bewusst sein, dass man in dem Moment eigent­lich nur eine Projek­ti­ons­fläche für die Ängste und Gedanken einer gewissen Gruppe von Menschen ist, die das Gefühl haben , den Halt zu verlieren.

Jetzt mal zu einem posi­tiven Aspekt eurer Arbeit. Wilko, was war dein schönster Moment, den du auf See erlebt hast?

Wilko: Er ereig­nete sich gleich bei meiner ersten Rettung. Sehr weit draußen auf See hatten wir ein kleines Holz­boot entdeckt, zu dem wir eines der Rettungs­boote vorge­schickt hatten, um die Leute erst einmal in Sicher­heit zu bringen. Bis die IUVENTA ankam, dauerte es noch ein wenig. Die Menschen haben von uns Rettungs­westen und Wasser bekommen und alles war in diesem Moment für’s Erste gut. Weil sie durch die Sicher­heit wieder einen Hoff­nungs­schimmer bekommen haben, hat sich etwas bei diesen Menschen gelöst und sie haben ange­fangen, Halle­luja“ zu singen. Ein ganzes Boot voller Menschen, die Todes­ängste erlitten haben und nun voller Hoff­nung singen – das berührt einen. Dieses posi­tive Erlebnis begleitet mich bis heute auf jeder Mission.

Was muss ich mitbringen, um bei Jugend Rettet mitzu­ma­chen?

Thomas: Grund­sätz­lich mitma­chen kann man entweder, indem man sich für die Schiffs­be­sat­zung bewirbt oder als Botschafter an Land arbeitet. Wenn man gerne mit auf das Schiff möchte, haben wir einen Bewer­bungs­pro­zess, bei dem wir testen, ob die- oder derje­nige geei­nigt ist. Zuerst stellen wir Bewer­be­rinnen und Bewer­bern die Frage: Was bringst du mit? Wir nehmen aber nicht nur erfah­rene, sondern auch Leute mit, die einfach moti­viert sind. Dabei sind war aber nicht leicht­sinnig: Wir machen deut­lich, dass die Fahrt nicht nur ein Aben­teuer ist. In extremen Situa­tionen muss man sich in unserem Team aufein­ander verlassen können.

Stich­wort Ursa­chen­be­kämp­fung. Wenn ihr eine halbe Stunde Zeit mit der Bundes­kanz­lerin hättet, was würdet ihr ihr sagen?

Wilko: Ich kann das kurz fassen: 2015 hat Frau Dr. Merkel den schönen Leit­spruch Wir schaffen das“ gesagt. Ich dachte dann: Super, damit kannst du dich iden­ti­fi­zieren! Dann hat 2017 die CDU mit einem Deutsch­land geworben, in dem wir gut und gerne leben“ wollen. Ich habe mal versucht, mit einem CDU-Abge­ord­neten über diesen Slogan zu sprechsn. Wer ist wir? Und was versteht die CDU unter gut leben“? Darauf habe ich öffent­lich im ZDF keine Antwort zu bekommen. Daher würde ich von Frau Merkel gern wissen: Was ist das für ein Deutsch­land, in dem“ wir gut und gerne leben“ wollen?

Thomas: Das ist eine gute Zusam­men­fas­sung, die mag ich! Ich würde aber in den 30 Minuten schon noch etwas weiter gehen. Ich bin der Über­zeu­gung, dass, wenn man die Möglich­keit zur Zusam­men­ar­beit zwischen Menschen nutzt, das im Endef­fekt zu einem posi­tiven, effek­tiven und fort­schritt­li­chen Zusam­men­leben führt. Mitein­ander ist besser als drum­herum zu reden! Viel­leicht sind die Menschen, die wir draußen auf dem Meer retten, mögli­cher­weise dieje­nigen, die uns in der Zukunft zu irgend­etwas Coolen verhelfen. Jeder Mensch, den wir retten, bringt Erfah­rungen mit und die können uns in Deutsch­land viel­leicht irgend­wann mal helfen. Wir müssen nur zuhören.

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