Kühnert: Keine Lust, mit 50 als Voll­trottel in den Chro­niken zu stehen“

Datum
15. Mai 2019
Autor*in
Isabel Knippel
Redaktion
politikorange
Thema
#JPT19
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Foto: Jugendpresse Deutschland/Christopher Folz

Juso-Chef Kevin Kühnert will es besser machen, als die Ex-Juso-Vorsit­zenden Gerhard Schröder und Olaf Scholz. Auch die machten einst mit provo­kanten Thesen auf sich aufmerksam. Gehören solche Aussagen etwa zum Stan­dard­re­per­toire eines Juso-Vorsit­zenden? Das hat unsere Repor­terin Isabel Knippel versucht heraus­zu­finden.

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Juso-Chef Kevin Kühnert im Gespräch mit unserer Reporterin Isabel Knippel auf den Jugendpolitiktagen. Foto: Christopher Folz

Hallo, Kevin! Schön, dass du dir die Zeit nimmst. Wie schätzt du den Einfluss der Forde­rungen der Jugend­po­li­tik­tage auf die Bundes­po­litik ein: Können die Jugend­li­chen wirk­lich etwas verän­dern?

Alle aktuell rele­vanten Bewe­gungen sind Jugend­be­we­gungen. Fridays for Future“, die Proteste gegen Upload­filter, das Bündnis Unteilbar“ – das sind alles Bewe­gungen, die über­wie­gend von jungen Menschen getragen werden. Das liegt auch daran, dass unsere Gene­ra­tion zu wenig in Parteien und Parla­menten reprä­sen­tiert sind und viele das Gefühl haben: Ich kann nur von außen Einfluss gewinnen, ich muss auf die Straße gehen. Das ist ein rich­tiger Impuls, aber besser wäre, wenn man ihnen auch Verant­wor­tung gibt und sie in Parla­mente bringt. Daher glaube ich, der entschei­dende Punkt für Einfluss, wird in den nächsten Jahren die Frage sein: Wer öffnet den Jugend­li­chen die Tür zu Entschei­dungs­po­si­tionen?

Was könnten die Jugend­po­li­tik­tage daran konkret bewirken?

Sie können die Botschaft nach draußen tragen, dass es nicht stimmt, dass die Jugend poli­tik­ver­drossen ist. Poli­tisch zu sein fängt nicht erst an, wenn ich in eine Partei eintrete. Man kann auch auf andere Art und Weise poli­tisch sein: In Bewe­gungen, bei Demos, indem ich disku­tiere oder mich jour­na­lis­tisch einbringe. Wir haben es mit einer hoch­po­li­ti­schen Gene­ra­tion zu tun.

Kannst du als Juso-Vorsit­zender nach­haltig auf die Bundes­po­litik einwirken, fühlst du dich ernst genommen?

Wir Jusos haben uns in den letzten Jahren enorm Gehör verschafft. Das hat auch damit zu tun, dass wir Lücken und Leer­stellen genutzt haben, die andere gelassen haben. Das war ein großes Glück, und trotzdem ist der Umgang manchmal ein wenig unge­lenk. Viele wissen nicht, wie sie einen Ende-20-Jährigen behan­deln sollen, der poli­tisch aktiv ist. Da wird dann immer auf die Biografie geschaut. Darauf, was er oder sie schon geschafft hat. Und dann werden Kommen­tare gemacht à la Milch­ge­sicht“. Viele können sich das nicht verkneifen, es fällt aber immer häufiger auf dieje­nigen selbst zurück. Wenn ich mich inhalt­lich nicht mit einem Thema ausein­an­der­setzen will, dann greife ich jemanden persön­lich an. Das mag vor 30 Jahren gut funk­tio­niert haben, heute klappt das glück­li­cher­weise nicht mehr so einfach.

Dein Sozia­lismus-Inter­view in der Wochen­zei­tung Zeit hat viele Diskus­sionen und Hysterie hervor­ge­rufen. Wie begeg­nest du der massiven Kritik aus der eigenen Partei?

Ich fand die Kritik gar nicht so viel, ich hatte mit mehr gerechnet. Die zwei bis drei Leute, die sich wirk­lich übel zu Wort gemeldet haben, wundern mich jetzt nicht. Ich fand es erstaun­lich, wie viele zumin­dest gesagt haben, dass die Fragen richtig gestellt sind – unab­hängig davon, ob man mit den Antworten über­ein­stimmt.

Alle haben gemerkt, auch die, die mir nicht zuge­stimmt haben, dass es um Grund­sätz­li­ches geht. Darüber, wie wir eigent­lich zusam­men­leben. Was über­lassen wir dem Markt, was gehört in die Hände der Gesell­schaft? Mich nervt es, dass wir immer nur über Symptome disku­tieren und nicht über die Ursa­chen. Ein Beispiel: Wir reden über die schlechte Situa­tion in der Pflege, als wäre das eine Natur­ka­ta­strophe, die über uns gekommen ist. Dabei hat es doch damit zu tun, dass wir die Pflege priva­ti­siert haben und bestimmte Leute damit krasse Rendite machen. Ich möchte, dass das in das Bewusst­sein zurück­kommt. Nach zwei Tagen lächer­li­cher DDR-Hysterie ist es gut, dass wir mitt­ler­weile beim Kern des Problems ange­kommen sind.

Es ist nicht neu, dass Juso-Vorsit­zende viel Kritik aus der eigenen Partei bekommen. Gerhard Schröder wollte als Juso-Vorsit­zender Vorrechte der herr­schenden Klasse besei­tigen“. Olaf Scholz forderte die Über­win­dung der kapi­ta­lis­ti­schen Ökonomie“. Schröder hat später die umstrit­tene Agenda 2010 umge­setzt und Scholz folgt heute der schwarzen Null“-Politik der CDU. Verliert man den linken Geist, sobald man in die Bundes­po­litik geht?

Zur Wahr­heit gehört: Ich habe mehr als zwei Dutzend Vorgänger im Amt gehabt. Nur die wenigen, die poli­tisch ganz woan­ders gelandet sind, fallen einem direkt ein. Die Mehr­heit ist ihren Werten ziem­lich treu geblieben. Glaub­wür­dig­keit besteht aber auch nicht darin, über ein ganzes Leben hinweg immer das Gleiche zu sagen. Das wäre über­haupt nicht fort­schritt­lich. Ich finde es völlig okay, wenn Leute eine Meinung ändern. Es muss aber nach­voll­ziehbar sein. Bei Schröder ist es über­haupt nicht nach­voll­ziehbar und bei Scholz von Fall zu Fall auch sehr schwierig zu verstehen. Ich wehre mich aber gegen diesen Auto­ma­tismus, dass man von links unten nach rechts oben kommt. Jeder kann bewusst für sich entscheiden, wo man poli­tisch hinsteuert. Ich habe auch keine Lust, mit 50 als Voll­trottel in den Chro­niken zu stehen.

Gehören Aussagen zum Sozia­lismus zum Stan­dard­re­per­toire eines Juso-Vorsit­zenden? Glaubst du, deine Aussagen werden in den nächsten Jahren nicht mehr als revo­lu­tionär, sondern ganz selbst­ver­ständ­lich disku­tiert werden?

Ich bin vor 14 Jahren in einen Verein einge­treten, der Jung­so­zia­listen und Jung­so­zia­lis­tinnen“ heißt. Ich vertrete diese Stand­punkte aus Über­zeu­gung. Diese Posi­tionen standen schon immer in unseren Grund­satz­be­schlüssen. Wenn das klar wäre, hätte es viel­leicht diese Aufre­gung nicht gegeben. Ich glaube, dass in Zeiten wie diesen, wo sich soziale Verwer­fungen zuspitzen, nicht die Ideen oder Vorschläge im Zeit-Inter­view radikal sind. Für viele Menschen sind die gesell­schaft­li­chen Verhält­nisse radikal.

Im Gegen­satz zu den 70er Jahren unter Schröder als Juso-Vorsit­zenden erscheinen unsere Forde­rungen heute vielen Menschen logisch. Im Silicon Valley wird schon jetzt ganz offen über die Zerschla­gung von Digi­tal­kon­zernen disku­tiert. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren in großen Schlüs­sel­un­ter­nehmen ganz konkret darüber reden werden, ob wir sie teil­weise oder ganz in staat­liche Hand über­führen lassen wollen.

Diese Themen spre­chen ja vor allem junge Menschen an. War dein Zeit-Inter­view eine Taktik, um junge Wähler­stimmen für die SPD bei der Euro­pa­wahl abzu­fangen?

Also wenn ich mir anhöre, was manche in meiner Partei über das Inter­view denken, dann gibt es so kurz vor den Wahlen zumin­dest mal sehr unter­schied­liche Einschät­zungen darüber, ob das jetzt hilf­reich war – schließ­lich sorgt das Inter­view nun für Diskus­sionen. Ich habe da eine klare Posi­tion. Als wir bei der SPD auf Hundert Seiten die letzte Bundes­tags­wahl und unsere Fehler dabei ausge­wertet haben, gab es ein paar span­nende Fest­stel­lungen.

Die Kern­aus­sage war: Leute, wir müssen aufhören, so taktisch zu sein. Wir müssen aufhören, immer den Finger in die Luft zu halten und zu schauen, wie der Wind gerade steht. Und nur wenn mal keiner zuhört, dann kann man auch mal was Radi­kales fordern, aber sonst eher nicht. Wir müssen aufhören, zu sagen, dass wir keinen Streit und keine Diskus­sionen vor Wahlen wollen. So funk­tio­niert Politik nicht. Der wich­tigste Satz aus diesem Papier hat sich mir einge­brannt: Eine Partei, die versucht, es allen Recht zu machen, kann es am Ende niemandem recht machen. Danach versuche ich Politik zu machen. Deswegen schaue ich nicht auf den Kalender: Wenn man mich nach meiner ehrli­chen Meinung fragt, dann kriegt man die auch.

Ich habe viele kluge Beiträge in den letzten Tagen gehört, denen ich zwar inhalt­lich oftmals nicht zuge­stimmt habe, die aber nicht DDR-Vergleiche gemacht haben, sondern gesagt haben: rich­tige Fragen, falsche Antworten. Lasst uns disku­tieren! So wünsche ich mir eigent­lich Demo­kratie, dass man um offen­sicht­liche Miss­stände in der Gesell­schaft offen ringt und Lösungen sucht. Mehr will ich erstmal gar nicht.

Danke, Kevin!


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