Keine Angst zu reden

Datum
11. März 2018
Autor*in
Niklas Thoms
Redaktion
politikorange
Thema
#EWLako18
"Vertrauen in Institutionen und andere Menschen haben."

"Vertrauen in Institutionen und andere Menschen haben."

© Erik-Holm Langhof
Oft hat die Furcht vor einem Anstieg der Krimi­na­lität nichts mit der mess­baren Wirk­lich­keit zu tun. Trotzdem müssen wir sie wahr- und ernst­nehmen – diese Botschaft hatten die Redne­rinnen und Redner für die Teil­neh­menden des Forums Welt­bau­stelle Sicher­heit – Warum Angst ein schlechter Ratgeber ist“, das Niklas Thoms besucht hat.

Oft hat Furcht vor einem Anstieg der Krimi­na­lität nichts mit der mess­baren Wirk­lich­keit zu tun. Trotzdem müssen wir sie wahr- und ernst­nehmen – diese Botschaft hatten die Redne­rinnen und Redner für die Teil­neh­menden des Forums Welt­bau­stelle Sicher­heit – Warum Angst ein schlechter Ratgeber ist“, das Niklas Thoms besucht hat.

Ali Can und Dr. Dina Hummelsheim-Doß im Forum "Weltbaustelle Sicherheit"
Bild: Erik-Holm Langhof

Ali Can und Dina Hummelsheim-Doß im Forum "Weltbaustelle Sicherheit" / Bild: Erik-Holm Langhof

Jetzt reicht es, kann da mal bitte jemand den Stecker ziehen? Das hört ja gar nicht mehr auf.“ Die Nach­sicht von Mode­rator Manfred Belle mit der Technik im Raum hat ein Ende. Zum wieder­holten Mal hat mitten während der Diskus­sion zum Thema Angst in der Gesell­schaft“ der Projektor ange­fangen laut zu brummen. Anders als zuvor hört er jetzt jedoch nicht mehr auf. Belle ist genervt. Nach dem beherzten Eingreifen eines Teil­neh­mers herrscht endlich Ruhe. Wenn das mal so einfach mit manchen Menschen gehen würde“, sagt jemand. Großes Gelächter.

Der Satz kam von einem der Redner – Ali Can, der gerade von seinen Erfah­rungen im Gespräch mit besorgten Bürgern“ berichtet hat. Mit Menschen spre­chen, die sich fürchten – sei es vor Flücht­lingen, Armut oder dem Welt­un­ter­gang –, das macht Can öfter und mit viel Enga­ge­ment. Er ist der Gründer der so genannten Hotline für besorgte Bürger“. Unter der Tele­fon­nummer können Menschen anrufen, die gerne einmal mit einem Migranten des Vertrauens“ reden möchten, wie sich Can selbst­iro­nisch nennt. Der 23-Jährige glaubt, dass sich Ängste abbauen lassen, wenn man den Sorgen der Menschen zuhört und sie ernst nimmt.

Auch Dina Hummels­heim-Doß, die am Max-Planck-Institut für auslän­di­sches und inter­na­tio­nales Straf­recht forscht, kennt ein Rezept gegen Furcht: Wissen­schaft.

Blick in die krimi­no­lo­gi­sche Forschung

Denn aus der empi­ri­schen Sicht, die Hummels­heim-Doß einnimmt, sind Befürch­tungen vor einem Anstieg der Krimi­na­lität unbe­gründet – und somit auch kein guter Ratgeber“ im Alltag. Doch wie sehen die Forschungs­er­geb­nisse zu dem Thema genau aus?

Laut Hummels­heim-Doß sagen sie vor allem aus, dass es eine stetig wach­sende Kluft zwischen empfun­dener und tatsäch­li­cher Sicher­heit in Deutsch­land gibt. Denn obwohl eine große Angst in der Gesell­schaft herrscht, ist die Zahl der Straf­taten in Deutsch­land im Vergleich zum Vorjahr um 0,7 Prozent zurück­ge­gangen. Vergli­chen mit 2005 gibt es sogar einen Rück­gang um 6,4 Prozent.

Das klingt beru­hi­gend. Aller­dings gibt es eine kleine Einschrän­kung. So beziehen sich die Zahlen nur auf die der Polizei bekannten Delikte, das soge­nannte Hell­feld“. Doch auch im Dunkel­feld“ – das ist die Diffe­renz zwischen den amtlich regis­trierten Straftat und der vermut­lich began­genen Krimi­na­lität – lässt sich laut Hummels­heim-Doß kein gegen­tei­liger Trend erkennen. Es ist völlig egal, ob man sich Studien aus dem Hell- oder Dunkel­feld anschaut. Die Ergeb­nisse sind die glei­chen“, sagt die Forscherin.

Zu einem ähnli­chen Ergebnis kommt der Deut­sche Vikti­mi­sie­rungs­survey“. Anhand von Befra­gungen werden in ihm die Opfer­er­fah­rungen, Krimi­na­li­täts­furcht und das Sicher­heits­emp­finden der Bevöl­ke­rung unter­sucht. Nach dem Vikti­mi­sie­rungs­survey nimmt die Anzahl schwer­wie­gender Delikte in der Bundes­re­pu­blik ebenso ab wie die Wahr­schein­lich­keit, zum Opfer einer Straftat zu werden.

Auch im Vergleich mit anderen euro­päi­schen Ländern ist Deutsch­land ein weit­ge­hend sicherer Staat, in dem die Bürge­rinnen und Bürger eher selten unmit­telbar von Krimi­na­lität bedroht sind. Trotzdem zeigen die Umfra­ge­er­geb­nisse von Meinungs­for­schungs­in­sti­tuten, dass sich eine deut­liche Mehr­heit der Deut­schen in unsi­cheren Zeiten wähnt. Wieso?

Aufklä­rung wirkt präventiv

Offenbar sind die Medien Schuld. Denn das Sicher­heits­emp­finden hängt laut den Studien zu einem großen Teil davon ab, wie über Risiken und Gefahren kommu­ni­ziert wird. Mit Skan­dal­be­richt­erstat­tungen schüren Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen Ängste in der Bevöl­ke­rung. Nach Hummels­heim-Doß entsteht so eine allge­meine Verun­si­che­rung“. Krimi­na­lität wird von den Menschen als eine Art Projek­ti­ons­fläche betrachtet, in der ihre Exis­tenz- und Zukunfts­ängste greifbar werden“, erklärt die Sozio­login. Sorgen bereiten dabei etwa die Globa­li­sie­rung, die Migra­tion und Umwelt­pro­bleme.

Wenn Furcht also vor allem eine Kopf­sache ist – was lässt sich dann gegen sie tun? Auch darauf weiß die Wissen­schaft eine Antwort: noch mehr Kopf­sa­chen. Euro­pa­weite Studien zeigen, dass Bildung und Maßnahmen zur sozialen Siche­rung Ängste abbauen können.

Für Hummels­heim-Doß ist jedoch eine andere Sache noch wich­tiger: mitein­ander zu reden. Wie Ali Can glaubt die Sozio­login, dass sich durch Gespräche das Vertrauen in Mitmen­schen, aber auch in staat­liche Insti­tu­tionen fördern lässt. Ihre Aussage trifft im Publikum auf Zustim­mung. Viele Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer im Publikum nicken ener­gisch. Angst, im Anschluss an den Vortrag mit ihr und Can zu disku­tieren, hat hier keiner.

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