Fishing for women’s rights? So wollen die Parteien für Gleich­be­rech­ti­gung sorgen

Datum
23. September 2021
Autor*in
Felicitas Nagler
Redaktion
politikorange
Themen
#BTW21 #Leben
Vorschau und Instagram_PayGap_Christopher Folz (1)

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Noch gilt in vielen Städten: Tradi­tion über Gleich­be­rech­ti­gung, auch beim Fischertag in Memmingen. Dabei wünschen sich junge Frauen endlich ein gender­ge­rechtes Deutsch­land. Welche Partei das leisten kann, hat sich Feli­citas Nagler genauer ange­sehen.

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Die Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei 19%. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Ein Kano­nen­schuss durch­bricht die kalte Morgen­luft. Mit Kriegs­schreien jucken die Memminger Männer in den Memminger Stadt­bach – bewaffnet mit Stroh­hüten und großen Keschern. Die Menge, die sich am Ufer tummelt, fängt an zu jubeln und Bilder zu knipsen. Jeden Moment könnte es passieren: Der größte Fisch könnte gefangen werden und der Bruder oder Vater wird Memminger Fischer­könig. Beim nächsten Fischertag, nach Corona, könnte auch eine Fischer­kö­nigin gekrönt werden, hat das Land­ge­richt in Memmingen diesen Sommer beschlossen.

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Die Memminger jucken in den Stadtbach, 2019. Foto: privat

Eine junge Fischer­tags­expertin aus Memmingen begrüßt das Urteil. Ich möchte meiner zukünf­tigen Tochter nicht sagen müssen, dass sie nicht in den Bach darf, weil sie das falsche Geschlecht“ hat“, erklärt sie. Gleich­be­rech­ti­gung solle in allen Situa­tionen ohne Ausnahme statt­finden. Trotzdem blickt sie dem nächsten Fischertag eher kritisch entgegen. Viele Teil­nehmer des Vereins würden noch an tradi­tio­nellen Rollen­bil­dern fest­halten und könnten nicht akzep­tieren, dass Frauen das gleiche Recht zuge­spro­chen wurde. Die junge Memmin­gerin sieht genau deshalb für die Bundes­tags­wahl im September viel Hand­lungs­be­darf. Sie erwähnt auch, wie wichtig es für sie ist, die Frau in der Wirt­schaft zu stärken und gegen sexua­li­sierte Gewalt vorzu­gehen, also für Gleich­be­rech­ti­gung in allen Lebens­be­rei­chen einzu­treten.

In Memmingen, aber auch in allen Orten Deutsch­lands spielt der Femi­nismus eine große Rolle für viele junge Frauen und Erstwähler*innen, wenn es darum geht, eine Partei auszu­su­chen. Welche*r Kandidat*in wird sich dafür einsetzen, dass ich fair bezahlt werde? Welche Partei kann dafür sorgen, dass Gender­ge­rech­tig­keit auch in länd­li­cheren Städten und Dörfern ankommt? In ihren Wahl­pro­grammen versu­chen die Parteien, diesen Fragen nach­zu­gehen und decken dabei verschie­dene Aspekte ab. poli­ti­ko­range wagt den Gleich­be­rech­ti­gungs-Check.

Gewalt gegen Frauen

Gewalt gegen Frauen in Deutsch­land sowie ihre desas­trösen Auswir­kungen werden von den meisten Parteien aner­kannt – nur im Wahl­pro­gramm der AfD findet sie keine Erwäh­nung. Die Union plant, im Straf­ge­setz­buch eine Kate­gorie für häus­liche Gewalt einzu­führen. Die SPD möchte Schwer­punkt­staats­an­walt­schaften für Femi­zide” einrichten und betont außerdem, Frauen am Arbeits­platz vor Gewalt schützen zu wollen, nach der ILO Konven­tion 190. Die Grünen fordern eine Krimi­na­lis­tik­re­form“ und möchten, genau wie FDP und Linke, mehr Plätze in Frau­en­häu­sern schaffen. Außerdem fordern sie einen eigenen Aufent­halts­titel für betrof­fene Frauen, die von der Aufent­halts­ge­neh­mi­gung ihres gewalt­tä­tigen Part­ners abhängen. Bis auf Union und AfD spre­chen sich alle Parteien klar für eine Durch­set­zung der Instanbul-Konven­tion aus: Dieses UN-Abkommen verpflichtet die Mitglieds­staaten zu Sensi­bi­li­sie­rung in Bezug auf sexua­li­sierte Gewalt, folg­lich also Gewalt­prä­ve­ni­tion, Einrich­tung von Frau­en­häu­sern und Schutz durch wirk­same straf­recht­liche Normen.

Verhü­tung und Mens­trua­tion

Linke, Grüne und SPD spre­chen sich für kosten­lose Verhü­tung aus. Die Linken erwähnen außerdem kostenlos zugäng­liche Mens­trua­ti­ons­pro­dukte. Forschung zu Verhü­tungs­mit­teln für Männer werden von beiden roten Parteien gefor­dert. Weder AfD noch Union oder FDP weisen konkrete Pläne auf, um Verhü­tung für alle Menschen zugäng­li­cher zu gestalten und um Peri­oden­armut nach­haltig zu bekämpfen.

§218, 219a Bei den Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen dreht sich viel um die Para­gra­phen 218 und 219a im Straf­ge­setz­buch. Schwan­ger­schafts­kon­flikte gehören nicht ins Straf­recht“, erklärt die SPD und unter­stützt damit, gemeinsam mit Grünen und Linken, die Abschaf­fung der beiden Para­gra­phen, womit sie Schwan­ger­schafts­ab­brüche in Deutsch­land grund­sätz­lich entkri­mi­na­li­sieren würden. Die FDP möchte zumin­dest den 219a strei­chen, der gegen ein Werbe­verbot von Abtrei­bungen spricht, weshalb Infor­ma­tionen zu Abtrei­bungen, auch online, noch sehr limi­tiert sind. Weder Union noch AfD äußern sich in ihren Wahl­pro­grammen zu dem Thema.

Frau­en­quote und und Frau­en­för­de­rung

Noch immer sitzen Männer viel häufiger als Frauen auf Führungs­posten in Wirt­schaft, Politik und Wissen­schaft. Die FDP erkennt das Problem und fordert viel mehr Trans­pa­renz und möchte Grün­de­rinnen und Frauen in der Wissen­schaft empowern. Sie spre­chen sich aber gegen starre Quoten“ aus und vertrauen auf die Selbst­ver­pflich­tung der Unter­nehmen zur Förde­rung von Frauen. Verschie­dene Arten von Quoten werden wieder von grün, rot und rot gefor­dert: Die Linken wollen die Hälfte aller Führungs­po­si­tionen mit Frauen besetzen, die SPD nur bei börsen­no­tierten Unter­nehmen und in der Politik (Pari­täts­ge­setze), die Grünen fordern vor allem die Förde­rung von Pfleger*innen und dazu eine Frau­en­quote an den Spitzen der medi­zi­ni­schen Branche. Die Union möchte zumin­dest eine Förde­rung von Frauen in MINT-Fächern und – Berufen. Für die AfD stellen jegliche Frau­en­quoten eine Form der Diskri­mi­nie­rung“ dar, da sie angeb­lich die Annahme unter­stützen, Frauen könnten nur durch eine Karriere ein erfülltes und aner­kanntes Leben“ errei­chen.

Pay Gap

Am fort­schritt­lichsten beim Thema Gender Pay Gap sind die Parteien Grüne und Linke. Sie fordern ein Entgeld­gleich­heits­ge­setz“, das alle Unter­nehmen dazu verpflichtet, Pläne zur Schlie­ßung des Pay Gaps vorzu­legen. Die Lösung der FDP ist wieder Eigen­ver­ant­wor­tung und Trans­pa­renz, bei der größere Firmen ihre Daten selbst auswerten und vorlegen müssen. Das aktu­elle Entgeld­trans­pa­renz­ge­setz ermög­licht es Frauen, die Gehalts­un­ter­schiede in ihrem Unter­nehmen selbst heraus­zu­finden. CDU und CSU räumen ein das Gesetz wenigs­tens zu evalu­ieren.

Prosti­tu­tion

Auch, wenn Feminist*innen unter­ein­ander diverse Meinungen zu Sexar­beit und Prosti­tu­tion haben, bleibt es ein zentrales Thema des öffent­li­chen Diskurses. Die Frauen-Union sprach sich für ein allge­meines Verbot der Prosti­tu­tion aus, Bestra­fung der Freier und gesund­heit­liche und psycho­lo­gi­sche Betreuung für Aussteiger*innen. Im Wahl­pro­gramm der CDU und CSU kommt ein verstärkter Schutz der Sexarbeiter*innen zum Tragen, sowie eine Kontrolle der Prosti­tu­ti­ons­stätten. Der letzte Punkt wird auch von den Grünen unter­stützt, die zukünftig eine Erlaub­nis­pflicht für Stätten in dem Gewerbe fordern. Linke möchten eine Entstig­ma­ti­sie­rung und das wirt­schaft­liche Empower­ment für selbst­stän­dige Sexarbeiter*innen.

Frauen, Frieden und Sicher­heit: Reso­lu­tion 1325

Die UN Sicher­heits­rats­re­so­lu­tion aus dem Jahr 2000 beinhaltet den Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegs­ge­bieten sowie die Stär­kung der Teil­habe von Frauen an poli­ti­schen Prozessen bei der Bewäl­ti­gung und Verhü­tung von Konflikten. Deutsch­lands femi­nis­ti­sche Außen­po­litik hat bisher sehr zu wünschen übrig gelassen. FDP, SPD und Grüne spre­chen sich in ihrem Wahl­pro­gramm klar für eine Umset­zung des Plans aus. Frauen, wie das Wahl­pro­gramm der Freien Demo­kraten es formu­liert, spielen eine elemen­tare Rolle in der inter­na­tio­nalen Frie­dens­si­che­rung, Streit­schlich­tung und Krisen­prä­ven­tion“.

Nach allen diesen Vorschlägen bleibt trotzdem noch eine Frage offen: Welche Partei kann sowohl in Gesetzen, als auch in der Gesell­schaft selbst für Gender­ge­rech­tig­keit sorgen? Die Gleich­be­rech­ti­gung selbst ist schließ­lich seit 1949 im Grund­ge­setz veran­kert – und trotzdem ist der Femi­nismus noch nicht bei allen ange­kommen.

Beim nächsten Fischertag wird sich in Memmingen zeigen, ob sich etwas verän­dert hat: werden sich Frauen über­haupt trauen, mit in den Bach zu jucken? Oder werden wieder nur Männer, Väter und Söhne gemeinsam nach dem größten Fisch suchen? Wann wird es normal sein, das auch die Tochter mitma­chen darf? Das Stigma um Frauen beim Fischertag wird weiterhin bleiben.


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