Der erste Schritt war für mich, laut zu sein“

Datum
17. April 2018
Autor*in
Katharina Petry
Redaktion
politikorange
Thema
#IWgR 2018
Renate Künast _ Katharina Petry (4)

Renate Künast _ Katharina Petry (4)

Die Bundes­tags­ab­ge­ord­nete und Grünen-Poli­ti­kerin Renate Künast enga­giert sich laut­stark gegen Hate Speech. Inga Glökler, Katha­rina Petry und Felix Seyfert haben mit ihr über Hass, den Umgangston im Bundestag und ihre eigene Iden­tität gespro­chen.

Renate Künast _ Katharina Petry (2)

"Der Hass in der Gesellschaft hat sich nicht vermehrt, sondern umorganisiert", sagt Renate Künast im Interview mit unseren Autorinnen und Autoren.

Frau Künast, leben wir in einer hass­erfüllten Gesell­schaft?

Unsere Gesell­schaft ist durch ihre Wahr­neh­mung der Social Media geprägt. Dort findet viel Rassismus, Anti­se­mi­tismus und Hass statt. Ich glaube aber nicht, dass das in der Realität mehr geworden ist. Bestimmte Einstel­lungen sind immer in unserer Gesell­schaft vorhanden. Um das heraus­zu­finden, darf man natür­lich nicht fragen: Sind Sie rechts­extrem?“. Es geht um die konkreten Inhalte. Zehn bis fünf­zehn Prozent der Bevöl­ke­rung sind feind­lich gegen­über anderen einge­stellt, egal, aus welchen Kreisen sie selbst kommen. Meiner Erfah­rung nach hat sich Hass in der Vergan­gen­heit nur unter­schied­lich gezeigt. Die NPD hing immer stark dem Natio­nal­so­zia­lismus an. Die AfD dagegen war ja ursprüng­lich eine euro­kri­ti­sche Partei, die von Bernd Lucke gegründet wurde. Ihr schlossen sich Menschen an, die andere Einstel­lungen hatten und Lucke schließ­lich heraus­drückten“. Und jetzt sieht man durch Höcke, Gauland, Storch und Co. wie die Partei immer weiter nach rechts geschoben wird. In der AfD hat die Neue Rechte einen neuen Orga­ni­sa­ti­ons­rahmen gefunden, unter den auch Pegida fällt. Meine These ist, dass sich der Hass nicht vermehrt, sondern nur umor­ga­ni­siert hat und moderne Werk­zeuge nutzt.

Wie zeigen sich Hass und Rassismus – abge­sehen von der AfD – im Bundestag?

Rassismus ist eine Verkür­zung, im glei­chen Atemzug müssen wir auch über Sexismus und Anti­se­mi­tismus reden. Die AfD macht durch ihre Sprache klar, was ihre Ansichten sind. Extreme Einstel­lungen äußern sich aber auch oft auf eine Art, bei der man genauer hinschauen muss. Bei der #metoo-Debatte wurde immer wieder von vielen Seiten gesagt: Das ist doch nur Spaß“. Man war der Spiel­ver­derber, wenn man sich wehrte. Auch beim Thema Grenzen schließen“ merkt man, dass auf einer bestimmten Klaviatur gespielt wird. Man muss sich zum Beispiel nur einmal anschauen, was der neue Bundes­in­nen­mi­nister dazu sagt. Die Frage ist: Warum gibt es keinen Wirk­me­cha­nismus in den Leuten, keinen Anstand, der ihnen sagt, dass man keine Hass­pa­rolen verbreiten sollte? Ich glaube, es kommt daher, dass man behauptet, man sei bürger­lich, und habe einen gewissen Anstand. Nach und nach wird das dann demas­kiert. Menschen, die Hass verbreiten wollen, bedienen sich extremer Emotionen, um Gefühle gegen eine Partei, Poli­ti­ke­rinnen und Poli­tiker oder auch andere Menschen­gruppen zu orga­ni­sieren. Der Gesund­heits­mi­nister Jens Spahn sprach neulich abschätzig von Wirt­schafts­flücht­lingen“. Er benutzt das Wort als abso­lute Abwer­tung, um das Gefühl zu bedienen, dass Ausländer uns die Arbeits­plätze stehlen. Der Alltag wird dadurch verän­dert, es kommt zu einer Art Tempe­ra­tur­er­hit­zung“. Das ist eine ganz neue, latente Form von Rassismus. Diese führt zu mehr Aggres­sionen oder auch Über­griffen wie in Nieder­dorf. Die verbale Verschie­bung tendiert nach rechts. Die Frage ist: Bedienen wir Emotionen oder klären wir sach­lich auf?

Auch online schlägt die Sprache um: Rassismus wird durch Hass­kom­men­tare sichtbar. Was kann man gegen diese virtu­elle Gewalt tun?

Zual­ler­erst gilt es, darüber zu reden und das Ganze öffent­lich zu machen. Man darf diese Kommen­tare nicht auf sich selbst beziehen. Frauen werden oft häss­lich“ genannt, wie neulich Frau Kramp-Karren­bauer. Natür­lich ist sie nicht häss­lich“. Aber was ist das für ein Mensch, der so etwas schreibt, retweetet und dem gene­rell nichts Besseres einfällt, als über das Aussehen der neuen Gene­ral­se­kre­tärin der CDU zu schreiben? Man muss sich vor Augen führen, dass solche Menschen demo­kra­ti­sche Prozesse zerstören möchten. Sie wieder­holen Dinge immer wieder, tun so, als seien alle Poli­tiker Deppen. Unser Begriff von Meinungs­frei­heit ist sehr breit ange­legt, und das ist gut so. Es führt aller­dings auch dazu, dass manche Menschen anfangen, ihn umzu­for­mu­lieren. Neulich in Nieder­dorf wurden Angela Merkel und Sigmar Gabriel als Volks­ver­räter bezeichnet und symbo­lisch an einen mit ihren Namen verse­henen Galgen gehängt. Das lehnt klar an die NS-Zeit an. Es gibt einen Punkt, an dem es Zeit ist, Dinge anzu­zeigen und sich gemeinsam zu wehren. Gegen­wehr gibt es übri­gens auch online. Im Netz gibt es viele Initia­tiven und Bewe­gungen, wie die Hashtag-Kampagne #wirs­ind­hier, die einem dabei helfen, dem Hass zu trotzen.

Ein schönes Beispiel sind die Dattel­täter. Das sind Youtube­rinnen und Youtuber, die Videos gegen Frem­den­hass machen und aufklären. Die sind cool. Und sie zeigen schon Schul­kin­dern, was geht, und was nicht.

Im Gegen­satz zu den Opfern sitzen die Täte­rinnen und Täter von Hass­kom­men­taren oft deso­zia­li­siert vor ihrem Computer. Wie erreicht man diese Leute präventiv?

Ein schwie­riger Punkt. Es gibt Menschen, die kommen aus der digi­talen Welt gar nicht mehr heraus. Aber auch Personen, die in einer Blase leben, kommu­ni­zieren. Ich glaube, man muss präven­tive und recht­liche Hilfe mitein­ander verbinden. Um präventiv zu arbeiten, bedarf es Medi­en­kom­pe­tenz an Schulen und in allen anderen Lebens­be­rei­chen, etwa beim Sport. Es geht ums Kommu­ni­zieren und um den Anstand. Die digi­tale und die analoge Welt haben sich mitein­ander verbunden. Kommen­tare, Likes und Posts im Netz sind für Opfer realer Druck. Man muss sich kritisch darüber unter­halten, was da genau passiert.

Sie setzen sich für einen guten Ton in unserer Gesell­schaft ein, sind Mitglied im Natio­nal­ko­mitee der No Hate Speech Move­ment und haben im August 2017 ihr Buch Hass ist keine Meinung“ veröf­fent­licht. Was bewegt Sie persön­lich zu Ihrem Enga­ge­ment gegen Hass?

Dazu gekommen bin ich über meine eigenen Erfah­rungen. Ich wurde teil­weise mit Hass­kom­men­taren über­schüttet. Nach den Vorfällen der Silves­ter­nacht in Köln sagte ich bei der Talk­show Hart aber Fair“ meine Meinung: Ich sagte, dass sexu­elle Gewalt auch im Alltag häufig vorkommt, und wir auch darauf schauen müssen. Die Art der Debatte um die Silves­ter­nacht war wie ein kurzer Hype, wohl auch weil es um Nord­afri­ka­ne­rinnen und Nord­afri­kaner ging. Die #metoo-Debatte zeigt aber, dass das Feld noch weiter ist. Am nächsten Tag las ich auf Face­book Kommen­tare wie einige Afri­kaner müssten mal über Sie steigen“. Das waren Kommen­tare, aus denen nur eines sprach: Hass, Hass, Hass. Ich frage mich: Was passiert da eigent­lich in unserem Land? Und ab da konnte ich nicht einfach stehen bleiben. Der erste Schritt war für mich, laut zu sein – zu sagen, dass der Hass exis­tiert. Es gibt viele andere Leute, die so etwas erleben, und für die möchte ich meine Stimme erheben. Schweigen kommt für mich nicht in Frage, und immerhin führen wir durch mein direktes Anspre­chen von Hass nun eine gesell­schaft­liche Debatte über das Thema. Daran knüpft auch mein Buch Hass ist keine Meinung“ an.

Für Ihr Buch haben Sie die Täte­rinnen und Täter der Hass­kom­men­tare aufge­sucht und sie zur Rede gestellt. Was waren die Reak­tionen auf diese Methode?

Die Reak­tionen waren sehr positiv. Viele Leute fragen sich ja selbst, wie man reagieren sollte. Gibt es über­haupt eine klare Antwort auf Hass? Meine Heran­ge­hens­weise – zu hinter­fragen, wo der Hass herkommt, indem ich die Leute, die mich öffent­lich angreifen, besuche – kam gut an. Auch ich habe dadurch Hinweise bekommen, was die Leute umtreibt. Mittag­essen in Schulen, mise­rable Bezah­lung von Erzie­he­rinnen, Erzie­hern, Pfle­ge­rinnen und Pfle­gern, Arbeits­lo­sig­keit, Alters­armut – über diese Themen müssen wir im Bundestag tatsäch­lich mehr disku­tieren. Einen Mann, den ich besucht habe, fragte mich: Kümmert sich auch mal wieder jemand um uns?“

Neben dem Buch habe ich übri­gens auch ein ironi­sches Face­book-Tool öffent­lich gemacht. Darin beschreibe ich, wie mir Menschen am besten Hate-Posts zuschi­cken können. Ich wollte mich darüber lustig machen. Das war meine Methode, mit dem Hass umzu­gehen.

Was bedeutet Iden­tität für Sie?

Eine der schwie­rigsten Fragen über­haupt. Die Antwort ich bin deutsch“ reicht nicht aus. Ich bin im Ruhr­ge­biet aufge­wachsen, einem Schmelz­tiegel, und unmit­telbar an der Grenze zu Holland. Es war ein Teil meiner Kind­heit, die offenen euro­päi­schen Grenzen zu erfahren, und ohne Perso­nal­aus­weis zwischen den Staaten hin und herzu­fahren. Diese Offen­heit macht mich nun aus. Für mich sind meine Werte, Ziele, und vor allem meine Verant­wor­tung meine Iden­tität. Mich einzu­mi­schen und alle Menschen respekt­voll zu behan­deln, das macht mich aus.

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